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Festival für Neue Dramatik: Wenigstens tut es kurz weh

Existenziell und vielstimmig: Die sechste und letzte Ausgabe des Wildwuchs-Festivals am HOT.

Potsdam - Kunstblut, Gewalt, nackte Haut und Sex – für Zuschauer im Theater heutzutage nichts Außergewöhnliches. Auch die „ganz großen Themen“, Liebe und Politik etwa, werden auf den Bühnen nahezu inflationär behandelt. Wie soll das also gehen, in Sachen Theater das Rad neu erfinden? Ein Theater machen, das etwas ganz Neues zeigt? Das sind die Fragen, die Sie sich stellt. Sie, das ist eine Figur im Theaterstück „Der Efeu muss weg“ von Sarah Kilter. Und Sie ist auf der Suche nach einer zündenden Idee für die Bühne. Wie eine erfolgreiche Bühnenautorin zu sein hat, wird hier zur Existenzfrage.

Zusammen mit zwei weiteren Stücken von Studenten der Berliner Universität der Künste (UdK) wurde am Samstagabend Kilters Text beim Wildwuchs-Festival am Hans Otto Theater (HOT) erstmalig aufgeführt. Zu sehen bekamen die Zuschauer insgesamt drei grundverschiedene Stücke, die schwer in einen Vergleich gesetzt werden können.

Krankheit und Tod auf sekundärer Ebene

So ist „Das Kind malt“ von Dorian Brunz ein gut sortiertes, klassisches Kammerspiel mit schlichtem Bühnenbild: Ein junges Paar – gespielt von den UdK-Studenten Ella Mariann Yar und Kai Christian Hankammer – wird mit der Situation konfrontiert, das Kind einer verstorbenen Bekannten bei sich aufzunehmen. Was nicht in die Pläne der beiden passt, die als Wissenschaftler dem Klimawandel den Kampf angesagt und vor allem ihren beruflichen Aufstieg vor Augen haben, Auslandsreisen inklusive. Es ist ein Stück, das sich einem aufbrechenden Beziehungskonflikt widmet und auf einer sekundären Ebene Krankheit und Tod thematisiert. Das namenlose Kind bleibt im gesamten Stück ein Geheimnis, es ist nicht zu sehen, sitzt nur nebenan und malt. Und wie sich die beiden am Ende entscheiden, bleibt auch offen.

Regelrecht bombastisch tobt sich dagegen „Die Ermordung des Kaisers Elagabal“ von Giorgi Jamburia auf der Bühne aus. Die Szenen sind getaucht in blutrotes Licht, es wird gesungen und getanzt zu brachialer Metal-Musik, es mordet der Kaiser Elagabal direkt nach dem Geschlechtsakt. Der jugendliche Herrscher, den es um das Jahr 200 herum im alten Rom tatsächlich gab, wird von einer Frau gespielt (Paula Kober), die Frauen im Stück werden von Männern dargestellt, allesamt Studierende der UdK. Jamburia spielt mit den Geschlechterrollen und ist fasziniert von seiner ambivalenten Herrscher-Figur, die vom Opfer – Elagabal prostituiert sich als Kind, bevor er Kaiser wird – zum Täter wird.

Schaffensprozess des Scheiterns

Dennoch ragen Kilters Text und die Regie von Regisseur Elias Perrig aus verschiedenen Gründen aus diesem Abend heraus. In schlichtem Bühnenbild, bestehend aus drei Schreibtischen mit Stühlen, erschafft das Alter Ego Kilters – also eine junge Autorin, gespielt von Patricia Coridun – Figuren für ein Theaterstück. Sie, eine andere Frau (Franziska Melzer) und ein Mann (Jonas Götzinger), sitzen rechts und links neben ihr und führen aus, was sie sich ausdenkt. Die Zuschauer sehen diesem Schaffensprozess und seinem Scheitern zu – etwa, wenn einfach keine überzeugende Liebesszene gelingen will oder versuchte tiefgründige Dialoge unfreiwillig komisch daherkommen.

Immer wieder sind dabei durch die Figuren die verschiedenen Stimmen der Autorin zu hören, die Selbstkritik, der Zweifel, der Zynismus, die sie im Schreibprozess begleiten. Denn wie muss jemand sein, der Theatertexte schreibt? Was, wenn derjenige keine unglückliche Kindheit, keine Probleme, keine Persönlichkeitsstörung im Angebot hat, aus denen er schöpfen kann? Unglaublich komisch ist das, wenn es dann heißt: „Also mache ich mir Probleme“, und eine Figur anfängt, sich einen Nagel abzukauen, der dann lästigerweise zwischen den Zähnen hängenbleibt und somit zum gewünschten Problem wird. Natürlich wird auch daraus kein Stück, aber es tut wenigstens kurz weh und bleibt für einen Moment im wahrsten Sinne des Wortes hängen.

Selbstironie im Gepäck

Es ist ein großes Vergnügen, diesem Kreisen um das Autoren-Ich zuzusehen. Mit viel Selbstironie, aber auch einem großen Spiegel für die Welt des Theaters, fliegen die Klischees nur so durch den Raum. Zum Beispiel das, dass Künstler sich ja immer nur um sich selbst drehen, alle dünn sind, denn sie essen kaum was. Oder: Dass es nichts Wichtigeres gibt, als das Publikum zu wertschätzen und viele Kontakte zu knüpfen, zu netzwerken. Mit alldem identifiziert sich die Autorin auf der Bühne natürlich nicht tatsächlich – fast jeder Gedanke wird sogleich wieder durch einen neuen ersetzt. Die Dialoge sind temporeich, witzig, klug und kurzweilig. Und legen die Vermutung nahe, dass sich das echte Autoren-Ich offenbar nicht wenige Sorgen um die Qualität der eigenen Texte macht.

Mit dem scheidenden Intendanten Tobias Wellemeyer fand das Wildwuchs-Festival zum letzten Mal in dieser Form statt. Ob es eine Weiterführung in ähnlicher Weise geben wird, ist aktuell noch offen, bleibt aber zu hoffen – es wäre schade, wenn es in Potsdam künftig nicht mehr die Möglichkeit gäbe, Talente wie Sarah Kilter zu entdecken.

Andrea Lütkewitz

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