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Festival für Inklusion am Waschhaus: Öffidioten, Wommer und all wir anderen

Das Potsdamer Inklusionsfestival „bewegend anders“ für Menschen mit und ohne Behinderung ging am Wochenende in die zweite Runde. In Theateraufführungen, Ausstellungen und Konzerten wurde erlebbar, wie Integration funktionieren kann.

Die Ausstellung mit dem ungewöhnlichen Namen „mockulig!“ ist ein Schatz. Sie wurde am Samstagabend im Rahmen des 2. Potsdamer Inklusionsfestivals „bewegend anders“ im Kesselhaus des Waschhauses in der Schiffbauergasse eröffnet. Hier hängen jetzt noch eine Woche lang mehr als zwei Dutzend zumeist farbenfrohe Bilder mit sehr unkonventionellen Titeln. „Kakimassel“, „Wutorplosion“ oder „Wommer“ ist dort unter anderem zu lesen.

28 Schüler der 7. bis 10. Klasse der Oberlinschule haben diese erdacht und zugleich in Bilder umgesetzt. Und auch erklärt, was sie bedeuten. „Kakimassel“ bezeichnet eine Alltagssituation von Menschen, die Unterstützung bei allen ihren täglichen Verrichtungen brauchen. „Man wird gezwungen, auf der Toilette zu sitzen“, schreibt eine Jugendliche, „obwohl man gar nicht muss und wartet mindestens 20 Minuten, bis jemand kommt.“

Authentische Innensicht in Gefühle von Menschen mit Behinderungen

Pflegealltag eben, sagt man sich als Außenstehender. Doch „Ich wurde vergessen“ steht auch noch da und eben dieses beinahe poetische Wort, das den ganzen Vorgang zusammenfasst. So etwas bleibt haften. Eine „Wutorplosion“ kriegt dagegen jemand, der sich etwa als Autist zu stark beobachtet fühlt und „Wommer“ beschreibt jemanden, der nie zufrieden ist.

Eine solch authentische Innensicht in Gefühle und Gedanken von Menschen mit Behinderungen, die man als aufmerksamer Betrachter im Waschhaus bekommt, ist sehr selten. Sie zeigt die Jugendlichen vor allem als selbstständige Subjekte und genaue Beobachter ihrer Umwelt. Dies kann wie beim „Öffidioten“ – das sind die, die Rollstuhlfahrern gedankenlos ihre Gepäckstücke an den Kopf knallen – auch den sogenannten Normalos humorvoll-kritisch die Augen öffnen.

„Herr der Fliegen“ mit Flamenco und Rollstuhl

Eine ganz andere Herangehensweise zeigt die eigens für das Inklusionsfestival inszenierte Tanztheaterproduktion „Herr der Fliegen“, die unter der Regie von Anja Kozik zur Premiere kam. Kozik lud Künstler wie den Musiker Carlo Philipp Thomsen, die Flamencotänzerinnen Jojo Hammer und Vera Köppern, die Schauspielerin Juliane Götze sowie das Tüftlerduo Clemens Kowalski und Oscar Loeser ein, um gemeinsam mit vier jungen Frauen mit Behinderung und Studentinnen der Hoffbauer-Schule eine multimediale Performance zu kreieren. 

Am Anfang und am Ende fährt eine junge Frau mit Down-Syndrom auf Rollschuhen behände durch die Szenerie, eine superschlanke, schwarzgekleidete Ballerina schält sich langsam aus dem roten, von der Decke hängenden Vertikaltuch und die Flamencotänzerinnen lassen immer wieder rhythmisch ihre Absätze klacken. Jede von ihnen kann sich in ihrer einzigartigen Individualität zeigen und auch immer wieder Bestandteil dieser sehr diversen Gruppe sein. Wenn diese neun Frauen gemeinsam tanzen, sind das starke Bilder. Genau wie am Schluss, als die Performerinnen rote Wollknäule ins Publikum werfen und die Fäden bald symbolisch alle miteinander vernetzen. Denn anders als der Titel „Herr der Fliegen“ vermuten lässt, geht es bei Kozik viel stärker um das Verbindende als das Trennende in der Frauengruppe - und sie erlebt andere Situationen, als in dem dystopischen Roman von William Golding beschrieben werden.

Mehr Vertrauen in die Kreativität der Beteiligten hätte gutgetan

Über diese literarische Projektionsfläche werden zudem noch Auszüge aus Kathrin Passigs starkem Text „Sie befinden sich hier“ gelegt, was die Performance nochmals verdichtet, aber letztendlich überlädt. Und man wird an einigen Stellen den Eindruck nicht los, dass hier ein sehr vielschichtiges Konzept umgesetzt wird, anstatt auf das Zusammenwachsen der sehr unterschiedlichen Kreativität aller Beteiligten zu vertrauen.

Allerdings tragen ein Probenzeitraum von vier Wochen und die Zusammenarbeit von Professionellen und Laien dazu bei, eher integrative Konzepte umzusetzen, anstatt wirklich inklusiv etwas gemeinsam entstehen zu lassen. Schade, denn ein wenig mehr Improvisationsfreude hätte „Herr der Fliegen“ gutgetan. Diese kam jedoch im Film über die Band „Jacke wie Hose“, der im weißen Festivalzelt vor dem Waschhaus lief, zum Ausdruck und begeisterte die Fans. Und auch die Fotoausstellung „Selbst bestimmt pur authentisch“, die Porträts von Menschen mit Behinderungen zeigt, ermöglicht einen wunderbaren Zugang in gar nicht so „bewegend andere“ Lebenswelten.

Astrid Priebs-Tröger

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