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Kultur: Fenster in die Vergangenheit

„Faszinierender Blick. Potsdamer Veduten“ zeigt die Stadt – so idyllisch wie sie wohl nie war

Das Wichtigste zur neuen Ausstellung im Potsdam Museum steht groß auf der Eingangstür: die Definition des nicht unbedingt geläufigen Wortes Vedute. Eine Vedute, ist da zu lesen, ist „die wirklichkeitsgetreue Darstellung einer Landschaft oder eines Stadtbildes“. Im 18. und 19. Jahrhundert dienten Veduten der Verbreitung „reizvoller Seiten einer Stadt“. Kommt an diesen Ort!, sagten Veduten. Tourismusmaßnahmen also, oder auch: künstlerisch anspruchsvolle Offensiven in Sachen Stadtmarketing – lange bevor es Tourismus und Marketing als Konzepte überhaupt gab.

Kommt in diese Stadt!, das sagt auch die Schau „Faszinierender Blick. Potsdamer Veduten des 18. und 19. Jahrhunderts“, die ab dem morgigen Samstag im Potsdam Museum zu sehen ist. Museumsdirektorin Jutta Götzmann bezeichnet sie unumwunden als „eine Hommage an die Schönheit Potsdams“. Die „reizvollen Seiten“ der Stadt, die hier zu sehen sind, kommen in Potsdam, wo so viel um die Architektur des 18. und 19. Jahrhunderts gestritten wird, natürlich nicht ganz ohne ambivalenten Beigeschmack aus. Soll das heutige Potsdam irgendwann wieder ganz aussehen wie das idyllische, von keinem Hochhaus gestörte Nebeneinander von Schlössern, Gärten und Kirchen, die auf den Gemälden, Gouachen und Radierungen hier zu sehen sind?

Das ist eine Frage, die das Potsdam Museum zwar nicht beantworten muss, mit einer solchen Schau aber – bewusst oder nicht – mit in den Raum stellt. Sogar das echte historische Potsdam war wohl nie ganz so schön wie das, das die Ausstellung zeigt. Das macht auf geradezu ironische Weise das Motiv von Daniel Berger (nach Peter Ludwig Lütke) von 1796 deutlich, das auch auf dem Cover des fein aufbereiteten Ausstellungskatalogs zu sehen ist: Auf dem Hang des, natürlich unbebauten, Brauhausberges liegt hier ein Jüngling hingestreckt, verträumt den Blick auf eine Dame in Haube und deren blaugewandetes Töchterchen gerichtet. Um sie herum ein paar Schafe.

Dass der Wahrheitsgehalt der historischen Ansichten mit Vorsicht zu genießen sei, schreibt Kuratorin Uta Kaiser auch im Katalog: „Es wird oft mehr gezeigt, als mit bloßem Auge wahrnehmbar.“ Auch einzelne Proportionen verschieben sich, je nach dem Interesse des Künstlers. So sieht die ohnehin schon große Nikolaikirche gerne mal noch riesiger aus.

In fünf thematisch und geografisch gegliederten Sektionen werden mehr als 130 Stadtansichten präsentiert – ausgewählt aus den knapp 750 im Fundus der Sammlung befindlichen Blättern. Ein erster absoluter Hingucker und so etwas wie das Herz der Schau ist im zweiten Raum Karl Lindemann-Frommels großformatiges Gemälde „Blick auf die Stadt vom Brauhausberg“, entstanden im Auftrag des damaligen Prinzregenten Wilhelm I im Jahr 1861. Trotz des Entstehungsdatums zeigt es fast keine Spuren von Industrialisierung: Potsdam als vorindustrielle kleinstädtische Idylle. In Blickhöhe gehängt, zieht das Gemälde einen fast körperlich in seinen Bann. Man möchte über den Schotterweg in der Bildmitte in das milde Abendlicht und diese idealisierte Vergangenheit hineinlaufen, immer den drei Spaziergängern auf dem Bild hinterher, über die Lange Brücke und am Schloss vorbei bis zum Alten Rathaus, wo das Gemälde als Dauerleihgabe der Berliner Nationalgalerie jetzt hängt.

Das Sommerblau von Lindemann-Frommels Himmel findet sich in der Gestaltung der Museumswände wieder: ein „italienisches Blau“, wie Restaurator Oliver Max Wenske es beschreibt. Es war eine Modefarbe in der Raumgestaltung des 19. Jahrhunderts. Italien stand schon damals hoch im Kurs, woran das Museum Barberini jetzt wieder täglich erinnert. Wie Fenster in die gerade beginnende helle Jahreszeit habe er sich die Bilder bei der Hängung vorgestellt, sagt Wenske. Auch daher das diskrete Blau, das darunter liegt. Auch daher die wohltuende Entscheidung gegen große Rahmen. Einen Tick zu betulich wirken dabei die in verschnörkelter Schrift angebrachten Zitate aus zeitgenössischen Reiseführern. Auch wenn sie inhaltlich durchaus hübsches Beiwerk zum Gezeigten sind. „Das zierlichste und edelste Gebäude in ganz Potsdam“ heißt es etwa an einer Stelle über das Alte Rathaus, den heutigen Sitz des Museums.

Ausstellung und Katalog sind im Übrigen nur mit tatkräftiger Unterstützung von außen möglich geworden. Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur fördert seit 2015 das Digitalisierungsprojekt „Brandenburg im Bild“, an dem das Potsdam Museum neben Eberswalde, Neuruppin und Brandenburg/Havel beteiligt ist. Nur hierdurch, und durch ein paar andere Sponsoren, konnten einige der Veduten aus dem Sammlungsbestand des Potsdam Museums der dringend notwendigen Restaurierung unterzogen werden. Jetzt warten sie auf den Sommer – und auf die Touristen: Die gesamte Schau ist auf Deutsch und Englisch zu entdecken. Bis Anfang Juli, dann verschwinden sie wieder in den Schutz des Depots.

„Faszinierender Blick. Potsdamer Veduten des 18. und 19. Jahrhunderts“ vom 1. April bis 9. Juli im Potsdam Museum

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