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Am Samstag wurde der trockengelegte Kanal zu einem Ort, der sich um die Kunst dreht. Die Veranstaltung „Aufbruch. Raum in Sicht“ bot Musik, Diskussionen und Performances – wie hier vom Tanzkollektiv „chiffre:blu“.

© Andreas Klaer

Fehlender Arbeitsraum: Künstler und Kreative stellen im Stadtkanal aus

Freiraum für Künstler kostet Geld. Über Potsdams Kreativszene wurde am Samstag diskutiert.

Potsdam - Noch bis vor ein paar Monaten arbeitete Julia Brömsel Tür an Tür mit anderen Künstlern im Potsdamer Rechenzentrum. Doch als im September 2017 die Mietpreise von sieben auf zehn Euro pro Quadratmeter anstiegen, fühlte sie sich gezwungen, aus ihrem Atelier auszuziehen. „Der Preis hat mich weggetrieben, es war mir finanziell nicht möglich, zu bleiben“, sagt die Malerin, die inzwischen in einem Künstlerkollektiv in Werder (Havel) arbeitet. Am Samstag ist sie zur Veranstaltung „Aufbruch. Raum in Sicht“ im Potsdamer Stadtkanal gekommen, bei der es um die Frage gehen sollte: „Wohin mit Potsdams Kunst?“ – unter anderem um Fälle wie den ihren also. Einen Tag lang präsentierten sich dafür Künstler und Kreative aus ganz Potsdam mit ihren Arbeiten im Stadtkanal, traten Musiker auf, wurde Theater gespielt, fanden Podiumsdiskussionen statt.

Vier Potsdamer Studenten – Simon Knop Jacobsen, Tilman Böhnke, Lea Budzinski und Elias Amler – stehen hinter „Aufbruch“. Sie setzten das Event im Rahmen ihres Studiums der Kulturarbeit und Europäischen Medienwissenschaften als Projektarbeit an der Fachhochschule Potsdam um. „Wir wollten unser Studienprojekt dazu nutzen, um unter anderem auf die Raumsituation von Potsdamer Künstlern, ja, deren regelrechte Abwanderung aus Potsdam aufmerksam zu machen“, so Knop Jacobsen.

Wie berichtet klagen Potsdams Kreative schon länger über hohe Mietpreise oder mangelnden adäquaten Arbeitsraum und verlagern zunehmend ihr Arbeitsumfeld ins Potsdamer Umland oder nach Berlin. Der Stadtkanal in der Mitte Potsdams biete sich hervorragend an, der Öffentlichkeit zu zeigen, „wie reich die Stadt an Kunst, vor allem auch jüngerer Menschen, ist“ – und mit welchen Problemen diese zu kämpfen hätten. Es solle zur öffentlichen Diskussion darüber angeregt werden, in welcher Form „wie viel Platz in einer Gesellschaft und in einer Stadtmitte für Kunst“ gegeben sei. „Wir wollen zeigen, was es neben dem Barberini noch alles gibt“, so Knop Jacobsen.

Junge Kunst sei nicht so häufig mit Ateliers oder auch Verkaufsprodukten in Ladengeschäften in der Innenstadt zu finden, meint etwa Illustratorin und Siebdruckerin Nora Fritz, die bei „Aufbruch“ einen Stand des Rechenzentrums betreute. „Die Mieten in der Innenstadt sind unerschwinglich“, sagt sie – und für Künstler mit unregelmäßigem Einkommen nicht bezahlbar. „Potsdam ist wie eine große Ausstellung hergerichtet, aber das Leben in der Innenstadt fehlt irgendwie.“ Und: „Vor allem auf der Brandenburger Straße fehlt die lokale Kunstszene komplett“, meint auch Julia Brömsel. Hier gebe es fast nur noch Ladenketten, die hohe Mieten zahlen könnten.

Wohin denn nun also mit Potsdams Kunst – diese Frage stand auch bei der Podiumsdiskussion am Mittag im Mittelpunkt. So diskutierten Annette Paul vom Rat für Kunst und Soziokultur, der zuständige Rathaus-Koordinator Harald Kümmel und Philip Stadler, Kandidat der Wählergruppe Die Andere, über den Stellenwert der Kunst- und Kreativwirtschaft in der Stadt. Rund 50 Besucher hörten dabei zu.

Stark in den Fokus rückte dabei die Planung eines neuen Kreativzentrums auf dem Gelände des früheren Langen Stalls und der alten Feuerwache in Potsdams Mitte, deren potenziellen Mieter die aktuellen Nutzer des Rechenzentrums sind, das 2023 abgerissen werden soll. Beschlossen wurde das neue Quartier von der Stadtverordnetenversammlung am 8. Mai – und wurde umgehend von den Betroffenen kritisiert. Während Kümmel versicherte, dass bei der Ausschreibung der Stadt der Investor bevorteilt werden solle, der am Ende die günstigsten Mietkonditionen bieten könne und die Künstler dabei einbezogen werden sollen, äußerten sich Paul und Stadler zum Vorhaben grundsätzlich kritisch. Beide kritisierten, dass der kreativwirtschaftliche Aspekt zu viel Gewicht bekäme. Aktuell soll die Warmmiete zwölf Euro pro Quadratmeter nicht übersteigen – wozu Stadler sagte, dass diese erst einmal vom Künstler erwirtschaftet werden müssten. Ein „Filetgrundstück“ an einen privaten Investor zu vergeben, finde er grundfalsch, sagte er. Schon jetzt könnten sich viele die aktuelle Miete im Rechenzentrum nicht mehr leisten, und er frage sich, wie viel Kunst am Ende noch übrigbleibe. Außerdem warf er der Stadt vor, das Rechenzentrum müsse für den Wiederaufbau der Garnisonkirche weichen. Auch Paul äußerte, dass Kunst ein Losgelöstsein von wirtschaftlichen Zwängen brauche, um innovativ zu sein. Eine Frage, die außerdem im Raum stehe, sei die Frage nach einer Mietpreisbindung.

Unter den Mitwirkenden und Besuchern war man sich einig, dass Veranstaltungen wie „Aufbruch“ gebraucht werden, um die Anliegen von Kreativen in der Stadt in die Öffentlichkeit zu tragen. Dass „Aufbruch“ im nächsten Jahr wieder stattfinden könne, wünsche man sich unter den Organisatoren, so Knops Jacobsen. Eine Übernahme durch das Rechenzentrum oder den Offenen Kunstverein Potsdam sei denkbar, aber bislang unentschieden.

Andrea Lütkewitz

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