zum Hauptinhalt
Wie im Puppenhaus. Das Bühnenbild von Alexander Wolf spiegelt die Gleichzeitigkeit der Handlungen in Alan Ayckbournes Stück „Familiengeschäfte“. Ayckbourne war selbst Schauspieler, bevor er Stücke schrieb. Heute zählt er zu Großbritanniens populärsten Gegenwartsdramatikern.

© HL Böhme /HOT

"Familiengeschäfte" am Hans Otto Theater Potsdam: Großes Theater, was nun?

Wenn es im Mittelstand kracht: Die Komödie "Familiengeschäfte" feierte Premiere im Potsdamer Hans Otto Theater - mit überragender Schauspielerleistung.

Potsdam - Komödien, sagt Tobias Wellemeyer, seien das Schwerste. Das ist nichts Neues, das weiß jeder, der im Geschichtenerzählergeschäft ist. Und jeder weiß auch: Am lustigsten wird es, wenn das, worum es geht, eigentlich gar nicht lustig, sondern sehr ernst ist. Traurig. Also eigentlich hätte Tobias Wellemeyer mit seiner Inszenierung von Alan Ayckbourns „Familiengeschäfte“, die am Samstag Premiere im Hans Otto Theater hatte, viel richtig machen können.

Weil die Geschichte um die Familie, die ein Möbelunternehmen hat, sich aber zwischen moralischen Ansprüchen und Geldgier zerfetzt, genauso viel Potenzial zum Drama wie zur Komik hat. Weil die Figuren versaut sind und verdorben, weil sie Sex lieben und oft furchtlos sind. Und weil Wellemeyer dreizehn großartige Schauspieler hat, die für ihn da auf der Bühne sprühen, sich verausgaben, voller Ideen für Details ihrer Figuren sind – Gesten, Blicke, Hüftschwünge – und die bis in die kleineren Rollen ausgefeilt sind. Weil sie alle zu jeder Zeit präsent sind.

Die Handlung wird in der Küche oder im Schlafzimmer vorangetrieben

Das Bühnenbild (Alexander Wolf) ist eine Art aufgeklapptes Haus: oben links das Schlafzimmer, rechts das Bad. Unten Küche, Flur und Wohnzimmer. Alles in weiß und cremefarben, schlicht, aber elegant, wie übrigens auch die ständig wechselnden, immer schimmernden Kostüme (Ines Burisch) der luxusliebenden Mischpoke. Und so passiert es also oft, dass die Handlung in Küche oder Schlafzimmer vorangetrieben wird, während Melanie Straub etwa im Wohnzimmer weiter auf Zehenspitzen um ihren Hund herumtänzelt oder sich lasziv um ihren Schwager wickelt; Eddie Irle als schmachtender Italiener nackt im Kleiderschrank vor sich hin leidet oder sich von Meike Finck am Hundehalsband herumschleifen lässt. Oder Raphael Rubino quasi-erotische Beziehungen mit einer Karotte pflegt.

Jeder von ihnen ist so gut, dass man sich, vor allem in der zweiten Halbzeit, wenn sich die Story vor dem blutigen Finale etwas in die Länge zieht, wünscht, ihren Geschichten und Abgründen tiefer hinabfolgen zu können. Vor allem Melanie Staub als Harriet, der gequälten, schwer essgestörten Ehefrau, die ihren Mann verabscheut und ihren Hund dafür liebt und ihrem Gegenpart, Raphael Rubino als Desmond, der sich aus der Lustfeindlichkeit seiner Ehe ins Kochen flüchtet. Oder Meike Finck als Anita, die als Liebhaberin genau so hart ist wie als Geschäftsfrau und die die hedonistische Saat ist, die die ganze Familie langsam vergiftet. Und dann natürlich Nina Gummich als Sammy, der von dieser überwältigenden, blinden Wut aller klugen Teenager getriebenen Tochter und der einzigen richtigen Hauptrolle in diesem Reigen von Hauptrollen, Jack McCracken, gespielt von Jon-Kaare Koppe.

Der übernimmt ganz zu Anfang des Stückes das Familienunternehmen vom alten, geistig schon ziemlich schwachsinnigen Patron Ken Ayres (Christoph Hohmann), der allen misstraut und gern mit der Schrotflinte wedelt. McCracken ist eine grundehrliche Haut. Dafür liebt ihn seine Frau Poppy (Andrea Thielemann) - und hält es ihm dennoch vor. Weil er nie so viel Geld nach Hause bringt, wie der Erste der Familie.

Grundvertrauen als oberstes Prinzip, wenn da nicht Gier, Korruption und Eifersucht wären

McCracken aber tritt an, den ganzen Laden neu aufzubauen. Grundvertrauen soll oberstes Prinzip werden, aber natürlich stößt er quasi sofort auf eine Mauer aus Gier, Korruption und Eifersucht. Klar irgendwie, dass ihn seine Tochter Sammy da nicht ernst nehmen kann. Ihre ganze Abscheu für ihn und die Sippe kann Gummich ihnen mit ihren hochgezogenen Schultern entgegenschleudern. Dass sie ab und an „ihr Kotzfressen“ schreit, macht es besser, nötig ist es fast nicht mehr.

All die schauspielerische Brillanz macht einen als Zuschauer zugleich traurig. Weil man ständig denkt: Wie viel mehr hätten die verdient. An Stoff, an Schwere, an Leichtigkeit. Sie alle wirken unterfordert, zu groß für dieses maximal mittelmäßige Stück, das zwar etwas vom Scheitern aller Werte im Neoliberalismus erzählt und an einigen Stellen sehr lustig ist, das es aber nicht schafft, beides zu verbinden. Eine großen traurig-komischen Bogen zu spannen zwischen der Gier und der Engherzigkeit im Kleinen, also der Familie, und der im System, im Geschäft. Und so geht man am Ende etwas ratlos und fragt sich: war das jetzt eine Anbiederung ans Potsdamer Publikum, dem man so richtig Großes nicht zutrauen mag? Denn das Schwere einfach lustig zu erzählen, macht noch lange keine Komödie, es sei denn, man heißt Quentin Tarantino. Eine Komödie wird es bei allen anderen erst, wenn sie den tragischen Kern darin nicht ausblenden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false