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Ausgesperrt. In das FH-Gebäude durften die Künstler beim Kehraus nicht. Die Performances und Installationen fanden rund um den gesperrten Bau statt.

© Ronny Budweth

Fachhochschule in Potsdam: Abschied von der Innenstadt

Die Nacht ist eine Inszenierung der Ausgesperrten, denen ein Lass-Krachen-Abschied verwehrt blieb. Viele ursprüngliche Ideen waren plötzlich nicht mehr umsetzbar oder mussten an die Open Air Situation angepasst werden.

Potsdam - Der Kehraus ist zunächst ein Kehrein. Nach der wochenlangen und gefühlt bereits finalen Abwesenheit der Studenten fahren diese Samstagnacht noch mal einiges auf, um sich endgültig von dem Haus zu verabschieden. Das Haus an sich steht still, ein Klotz, ein toter, eingezäunt und bewacht. Gleich zwei verschiedene Sicherheitsdienste patrouillieren, hinterm Bauzaun in orangen Westen, auf dem Platz in gelben Westen, dazu 20 Mann Polizei. Mindestens. „Zur Gefahrenabwehr“, sagt der Sprecher. Die Kollegen sitzen gemütlich in den Wagen.

Gefahren gibt’s keine abzuwehren. Die Nacht ist eine unschuldige Inszenierung der Ausgesperrten, denen ein Lass-Krachen-Abschied verwehrt blieb. Viele ursprüngliche Ideen des Grand Finales waren plötzlich nicht mehr umsetzbar oder mussten an die Open Air Situation angepasst werden. Und so wird der Alte Markt zur Spielwiese, ein hübsches Bild für alle, die sich hier mehr Leben wünschen. So könnte es immer sein, so hätte es schon längst sein können, denkt man. Aber Studentenleben gab es hier so gut wie nie. Der Abschied wirkt insofern etwas aufgesetzt. Verloren. Künstlich. Traurig.

Das Gold aus dem Sanikasten – ein seltsames Pendant zum goldenen Atlas

„Verloren“ ist irgendwie auch das Thema von Carsten Hensel. Der bildende Künstler aus Groß Glienicke war gebeten worden, eine Performance zum Abschied beizutragen. Aber das Gebäude ist zu und damit die Spannung weg, sagt Hensel. „Jetzt haben wir hier so ein Outdoor-Rummel-Happening“. Sein Ersatzprogramm: „Exit – letzte Handlungen“. Er hat einen Reisekoffer aufgebaut, der unter einer goldenen Rettungsfolie verschwindet, und wandert selbst über den Platz, positioniert sich mal hier, mal da, hockt wie eine Statue in verschiedenen Posen, gerne mit goldener Folie, in der sich Lichter brechen, auch das der Boden-Leuchtspots vor dem Landtagseingang. Das Gold aus dem Sanikasten – ein seltsames Pendant zum goldenen Atlas. Der Glanz des Barock trifft auf das Leuchten der Rettungsdecke, Hensel findet diese Paarung ganz hübsch – ein Spiel mit „profanem Notfallmaterial“.

Auch die Künstlerin Birgit Cauer, wie Hensel vom Atelierhaus Groß Glienicke, ist bei Kehraus dabei. „Lebensader. Installation“ heißt ihr Projekt. Cauer, die gerne mit viel Material arbeitet und das, was andere wegwerfen, recycelt, hat dieses Mal Schläuche aller Art mitgebracht. Die Kunststoffröhren und Schläuche in verschiedenen Durchmessern, Farben und Oberflächen, wie man sie von Baustellen oder aus dem Baumarkt kennt, liegen gebündelt auf dem Platz.

Originalschlüssel der FH wurden zu Haken für ein Schlüsselbrett gebogen

Mehrere Studentinnen wird sie im Laufe des Abends nacheinander mit Schläuchen umwickeln, bis sie eine Art Gestell um sich herum tragen. Zuletzt wird jeweils eine Lichterkette eingeflochten. Die Schlauchenden verschwinden symbolträchtig in einem Gullydeckel vor dem FH-Gebäude. So, als liefen sie unterirdisch weiter. „Wir zapfen noch ein letztes Mal das Gebäude an, laden auf und tanken Energie“, sagt Cauer. Die Studentinnen hätten sich an diesem Ort immer sehr wohl gefühlt und wollen jetzt etwas von der Energie des alten Hauses mitnehmen. Dann wird kurz vor zehn ausgestöpselt. Die lebenden Installationen nehmen den Weg zu Tram und Casino unbeleuchtet, um sich dann am neuen Ort wieder ans Netz zu klemmen. So der Gedanke hinter der Schlauch-Kunst.

Die meisten Teilnehmer und Spaziergänger über den Alten Markt interessieren sich für die Ausstellungen zur Geschichte des Hauses, die an verschiedenen Fotowänden erzählt wird. In einem der drei zu Galerien umfunktionierten Lkw kann man zudem selber tätig werden und auf einer Schreibmaschine texten. „Der Kehraus als Fastnacht zum Abschied? Das unsichtbare sichtbar gemacht? Was bleibt? Im Kopf? Eine Illusion!“ hat jemand gedichtet. Handfester sind die Reliquien, die Studenten entworfen und in Handarbeit hergestellt haben. Originalschlüssel der FH wurden zu Haken für ein Schlüsselbrett gebogen, daneben liegt Schmuck, Broschen, Ringe und Armreifen mit dem Gestaltungselement der Fassadensterne.

„Wenn Ihnen kalt wird, gehen Sie ins Potsdam Museum zum Aufwärmen“

Der Abend beginnt aber zunächst mit Musik von einer Band, die selber schon eine kleine Reliquie ist: „Der Expander des Fortschritts“ gehörte zur alternativen Musikszene der DDR, gegründet 1986 im Umfeld der Humboldtuniversität Berlin. Eckehard Binas, heute Präsident der FH Potsdam, war eines der Bandmitglieder. Für das „Reenactment“ in Potsdam sitzt er wieder am Keyboard, außerdem Susanne Binas-Preisendörfer am Saxophon und Thomas Görsch am Schlagzeug. Ein Gitarrist der neuen, jungen Garde ergänzt die Band. Der Sound von damals passt ins Heute, ein zeitloser Mix aus Pink-Floydschem Experimentieren und Rammstein, Elektro und Punk, Wortgemurmel und Aktivismus. Ein Turm wird aufgebaut und umgestoßen, „The Wall“ lässt grüßen.

Dann darf Hanne Seitz, FH-Professorin für Theorie und Praxis ästhetischer Bildung, das Fest eröffnen, mit einer kleinen Rede im Singsang einer Sonntagspredigt. „Wenn Ihnen kalt wird, gehen Sie ins Potsdam Museum zum Aufwärmen.“ Da befinden sich auch die Toiletten und mancher FH-Student betritt das Museum an diesem Abend zum ersten Mal. Um 22 Uhr ist es vollbracht, vier Tänzerinnen in Kittelschürzen kehren den Platz mit Metall-Rechen, deren Kratzen elektronisch verstärkt wird: ein Höllenlärm, dann gespenstische Stille. 

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Bericht: Mit Performances, Installationen und erneuten Diskussionen wurde Abschied genommen.weiter: Beim Kehraus am Samstag stand die Fachhochschule in am Alten Markt ein letztes Mal im Mittelpunkt. 

Kommentar: Endlich ist Schluss mit der FH! Auch wenn es zu befürchten gilt, dass die Debatte darüber noch weiter geführt wird. Man fragt sich, wem das alte DDR-Gebäude eigentlich nutzt, meint PNN-Redakteur Matthias Matern in seinem Kommentar. 

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