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Premiere für die Polinnen. Anna Dejewska (links) und Joanna Waluszko leben seit Langem in Potsdam und sind Kennerinnen der zeitgenössischen Kunstszene in Polen. Von Freitag bis Sonntag findet in der fabrik das von ihnen organisierte Festival Nitka statt.

© Andreas Klaer

fabrik Potsdam: Polnische und deutsche Kunst: Kunstvoll Fäden spannen

Auf Tuchfühlung: Das erste Festival für zeitgenössische polnische und deutsche Kunst in der fabrik.

Beziehungen zwischen Ländern müssen nicht immer staatstragende Bedeutung haben. Es sind oft die feinen Geflechte, die die Länder miteinander verbinden, aus Fäden, die die Geschichte und die Menschen über Jahrhunderte gewoben haben. Dass diese Gewebe sich immer wieder auch neu spannen, will das erste deutsch-polnische Festival zeitgenössischer Kunst am Wochenende in der fabrik zeigen. Dessen Name, Nitka, das polnische Wort für Faden, steht dafür emblematisch. Mehr als eine reine Schau der Künste in beiden Ländern will Nitka bestehende und entstehende Verbindungen zwischen jungen polnischen und deutschen Künstlern aufzeigen. Es wird, geht es nach den Initiatorinnen Anna Dejewska und Joanna Waluszko, im wahrsten Sinne des Wortes eine Aufnahme der künstlerischen Beziehungen werden.

„Wir wollen keine fertigen Produktionen aus Polen präsentieren. Diese Zeiten sind vorbei“, sagt Anna Dejewska, die Anfang des Jahres die Idee für das Festival hatte. „Der Zuschauer soll integriert werden in die künstlerischen Auseinandersetzungen, sodass es zu Begegnungen kommt.“ Das Programm ist weit gefächert: Vom zeitgenössischen Tanz über Skulpturen und Kunstworkshop, Theater für Kinder, Performance bis hin zur deutsch-polnischen Jam-Session. Mit einer Podiumsdiskussion zur „Kunst der Verbindung“ will Nitka die Annäherungen nicht nur mit dem Publikum, sondern auch zwischen den Künstlern ermöglichen und sichtbar machen. Und zwar auch zwischen den Polen selbst: denen, die im Lande leben und denen, die nach Potsdam, Berlin oder Leipzig zogen.

Wie etwa die zwischen Janusz Orlik und Joanna Lesnierowska im Eröffnungsstück „Insight“, das zugleich Deutschlandpremiere ihrer aktuellen Tanzproduktion ist. Er lebt in Polen, sie, gebürtige Gdanskerin, ist seit Jahren in Potsdam als Künstlerin in Residence in der fabrik zu Gast. Der künstlerische Dialog zwischen beiden begann vor inzwischen fast einem Jahrzehnt. Wie befruchtet sich eigentlich die gemeinsame Arbeit, wenn die Nationalitäten die gleichen sind, aber die Lebensmittelpunkte verschieden? Oder ist es egal, wo man lebt, da die Unterschiede in transnationalen Identitäten eh verschwimmen?

Zumindest bei den künstlerischen Themen und Motiven scheint es trotz Globalisierung noch Unterschiede zu geben. „Ich beobachte oft, dass die Künstler aus beiden Ländern verschiedene soziale Ebenen mitbringen“, sagt die Sängerin und Komponistin Joanna Waluszko, die zusammen mit Anna Dejewska das Festival organisiert. „Etwa bei dem Thema Flüchtlinge beobachte ich sehr viel mehr Engagement auf deutscher Seite. In Polen ist das künstlerisch kein Thema. Wenn aber die Künstler aus beiden Ländern zusammenarbeiten, entsteht so ein Prozess, bei dem sie vielleicht auch ein gemeinsames Thema finden.“

Dejewska und Waluszko kennen die zeitgenössische Kunst zwischen Potsdam und Poznan, der Hauptachse des Festivals, und pflegen seit Langem die Verbindungen zwischen beiden Städten. Joanna Waluszko ist 1974 in Poznan geboren, studierte an der dortigen Akademie für Musik Gesang und Komposition und steht in engem Kontakt zu Studienkollegen und Künstlern der Stadt. Anna Dejewska leitet in Potsdam eine deutsch-polnische Agentur und beobachtet die polnische Kunstszene: „Die Künstler aus Polen sind sehr gut ausgebildet und sie haben ein hohes Selbstwertgefühl. Das war vor 20 Jahren noch nicht so stark.“ Allerdings sei die polnische Kunst hierzulande weitaus präsenter als die deutsche in Polen, so Joanna Waluszko. Weil es die Künstler eher nach Westen zieht, wie beide vermuten? Immerhin war es bei Joanna Waluszko so: Seit 2007 lebt sie zumeist in Potsdam. Am Festivalsonntag wird sie mit einem Liederkonzert ihre eigene Identitätssuche präsentieren. In ihrem Programm „Mother Code“, in dem Waluszko Werke von Dvorak, Bernstein, Lutoslawski und Yves interpretiert, widmet sie sich allerdings keinem spezifisch polnischen, sondern einem universellen Thema: den Verbindungen und Mustern zwischen Mutter und Kind.

Für das Festival sei Potsdam ideal, sagt Joanna Waluszko. Bei der Festivalschwemme und der Jagd nach Neuem im benachbarten Berlin sei die Stadt wie „eine schöne Insel“. Hier könne man von dem reißenden Strom der Großstadt abweichen und habe Zeit für Begegnungen und Gespräche. Und mit der fabrik hätten sie als Festivalneulinge einen erfahrenen Partner gefunden. Nitka sei auch für die fabrik ein Gewinn, sagt Manager Laurent Dubost: „Wir hätten das Festival selber nicht initiiert, die Kenntnisse der polnischen Kunstszene, die Netzwerke und Verbindungen der beiden sind viel wert.“ Da sind sie wieder, die Fäden.

Das gesamte Festivalprogramm gibt es hier >>

Grit Weirauch

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