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Autobiografisch gefärbt. Helga Schütz stellte ihren Roman „Sepia“ vor.

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Kultur: Etwas Heimweh war immer dabei Helga Schütz stellte ihren neuen Roman „Sepia“ vor

Im Herbst 1944 zog die siebenjährige Helga Schütz auf Anraten ihrer Großmutter aus dem Niederschlesischen nach Dresden. Viele glaubten ja damals, eine Kunststadt wie diese werde gewiss von den Bomben verschont.

Im Herbst 1944 zog die siebenjährige Helga Schütz auf Anraten ihrer Großmutter aus dem Niederschlesischen nach Dresden. Viele glaubten ja damals, eine Kunststadt wie diese werde gewiss von den Bomben verschont. Das Gegenteil trat ein. Der späteren Drehbuch- und Roman-Autorin war es wohl bestimmt, den Untergang dieser angeblich schutzbefohlenen Stadt mitzuerleben. Das prägt ein Leben lang, das hinterlässt Narben.

In ihrem neuen Roman muss man nach den Spuren ihrer vielen Gestern gar nicht erst suchen. „Sepia“ ist so etwas wie eine künstlerisch gestaltete Autobiografie, freilich in der dritten Person und mit gelegentlich fremd wirkendem Präsens verfasst. Sie beschreibt die 50er und 60er Jahre in der DDR, ihre Jugend also, ihr berufliches Werden am Ende der Nachkriegszeit.

Am Sonntag war die Potsdam-Premiere dieses Werks, darin ist viel Potsdam enthalten und so viel Helga Schütz. Entsprechend zahlreich der Besuch in der Villa Quandt, darunter ihr ehemaliger Filmkollege und Partner Egon Günther. Peter Walther vom Brandenburgischen Literaturbüro führte nach der 45-minütigen Lesung ein kurzes Gespräch. Fragen aus dem Publikum gab es fast keine. Vielleicht lag es daran, dass er zwar die Autorin vorstellte, aber zu wenig vom Buch. Möglicherweise waren auch die gelesenen Kapitel nicht so geeignet, daraus tieferen Gewinn zu ziehen. Helga Schütz jedenfalls fing einfach mit dem Vorlesen an, ohne Gruß ins Parkett.

Zuerst die Situation in Dresden, Mitte der 50er Jahre, als Rafaela Reich alias Eli ihre sichere Anstellung als Gärtnerin im Botanischen Garten aufgibt, um in Potsdam ein Studium der Kinematographie zu beginnen. Künstlerisch hat diese Eli zwar nichts zu bieten, dafür entstammt sie der Arbeiterklasse, und weil man damals 25 Prozent der Bewerber solcher Herkunft fördern wollte, wurde sie auch genommen. Als Quote sozusagen. Anton, ihr Großvater und Vormund, leistet nur schwachen Widerstand, er mag die 17-Jährige nicht gerne ziehen lassen, dafür bekommt er dann regelmäßig Post aus Potsdam, wo sie ihr neues Leben schildert.

Ein anderes Kapitel erzählt ihr Leben als fleißige Studentin in der ehemaligen Bezirksstadt. Helga Schütz konnte dabei aus dem Vollen schöpfen, denn Elis Geschichte ist mit ihrer eigenen Vita teilweise sogar deckungsgleich verbunden. So erzählte sie, selbst diesen Quoten-Sonderstatus bekommen zu haben, gleichwohl sie als „schöpferisch ungeeignet“ galt. Immerhin hat so wenig Talent dann für mehr als 30 Filme und Bücher gereicht.

Helga Schütz besuchte ab 1955 die Arbeiter- und Bauern-Fakultät in Potsdam, drei Jahre später begann das kinematographische Studium, Sektion Dramaturgie. Seit der Zeit gehört sie zu Potsdam, zum Film, später auch zur Literatur. Niederschlesien ist für sie „eine verlorene Gegend, wo ich nicht mehr hin kann“, wie sie sagt. Und Dresden? Ab und zu, schon wegen der Kultur, betont sie. Dort habe sie die Trümmer sehr geliebt. Ganz schöne Trümmer, die zeigen, was da mal war. „Das war meine Kindheit!“ Und von der befreit man sich nicht, am wenigsten, wer die „Lichterbäume“ am Himmel von Elbflorenz sah. Nicht mal durchs Bücherschreiben, „Sepia“ zeigt das ja an!

Leider Gottes kamen dann doch wieder die steingrauen Fragen nach ihrer Stellung zum DDR-System, zu Tabus und Zensur, und ob sie nicht manchmal ans Abhauen in den Westen gedacht hätte. Bei ihren Reisen nach Frankreich und in die Schweiz sei immer etwas Heimweh dabeigewesen, antwortete sie. „Man hat hier Wurzeln geschlagen, und Wurzeln reißt man nicht gerne aus“. Dies wollten ihr die Leute im Publikum aber partout nicht glauben. Vielleicht waren sie weder vertrieben noch durch Städteverbrennung genarbt. Oder einfach nur ohne Gedanken. Gerold Paul

Helga Schütz, „Sepia“, erschienen im Aufbau Verlag, 400 Seiten, 22,99 Euro

Gerold Paul

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