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Kultur: „Es lebt sich leichter, wenn man vergessen kann“

Christoph Hein ist am Sonntag bei Lit:potsdam zu Gast. Anlass für acht Fragen per E-Mail

Herr Hein, im Herbst 2017 erscheinen acht Libretti von Ihnen – zu Luther. Was genau interessiert Sie, einen Pfarrerssohn, der den Eltern aber nicht im Glauben folgte, an dem Reformator Luther?

Der Reformator, der Machtmensch, der geschickte Politiker, der sich im Kampf zwischen der Zentralmacht (Papst und Kaiser) und den gleichfalls mächtigen Regionalfürsten ungemein geschickt hindurchschlängelt und ihre Pläne und Taten für seine Reform und seine Absichten zu nutzen versteht – als hätte er „Il Principe“ von dem fünfzehn Jahre älteren Niccolò Machiavelli gelesen.

Sie werden am Sonntag im Rahmen der Lit:potsdam aus Ihrem aktuellen Roman „Trutz“ lesen. Ort der Lesung ist das Museum Barberini. Wird das Ihr erster Besuch im neuen Haus?

Ja, ich werde das Museum Barberini zum ersten Mal nach seiner Eröffnung oder Wiedereröffnung sehen.

Dem Roman ist das Vorwort eines Ich-Erzählers vorangestellt, der behauptet, der Roman sei durch ein „Versehen“ entstanden: die zufällige Begegnung des Erzählers mit dem Protagonisten Maykl Trutz, dessen Familiengeschichte der Roman erzählt. Gab es einen solchen Zufall tatsächlich?

Nein, dieses Treffen gab es nicht. Die Handlung und alle Figuren sind erfunden, frei erfunden; doch danach habe ich die freierfundene Geschichte sorgfältig recherchiert. Einer der Anstöße für den Roman war, dass ich vor 40 Jahren mehrere Emigranten kennenlernte, die die Nazizeit in der Sowjetunion überlebten, auch im Hotel Lux und in der Verbannung. Ein anderer Anstoß war der Wunsch, meine Zeit und mein Jahrhundert zu beschreiben.

Rainer Trutz, der Vater von Maykl, stemmt sich gegen den Nazismus und den Kommunismus, verbiegt sich nicht. Steckt im Namen „Trutz“ auch der Aufruf zum Trotz gegen vereinnahmende Ideologien?

In dem Namen steckt viel. Beginnend mit einem der ersten großen deutschen Romane: „Trutz Simplex“.

„Trutz Simplex“ ist ein Schelmenroman von Grimmelshausen. Wo ist der Bezug zu „Trutz“, der das 20. Jahrhundert umspannt?

Grimmelshausen lebte in einem vergleichbaren Jahrhundert, daher ist sein Schelmenroman voll mit Krieg, Mord und Totschlag, Vergewaltigungen. Um nichts wird einem der Kopf abgeschlagen, das kommt mir alles sehr bekannt vor.

„Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist“, zitiert Maykl Trutz am Ende, als einziger Überlebender seiner Familie, unter Tränen ein Operettenlied. Unglücklich also, wer nicht vergessen kann?

Es lebt sich gewiss leichter auf dieser Erde und in jedem Staat, wenn man vergessen kann und die Fünf eine gerade Zahl ist.

Auf die Frage nach der Position des Autors antworteten Sie kürzlich mit dem Verweis auf Flaubert: Der Autor soll überall anwesend und nirgends sichtbar sein. Warum ist der beste Autor unsichtbar?

Der Autor muss überall anwesend sein, doch nicht sichtbar. Er hat sich zurückzuhalten, um seinen Figuren freien Raum zu geben. Er hat sie erfunden, aber er ist nicht ihr Richter, ihr Ankläger oder ihr Verteidiger. Was immer sie tun, er muss es sie tun lassen und ihnen nicht mit Moral lehren. Er hat genau zu beschreiben und keinerlei Wertungen abzugeben. Die erfundenen Figuren haben einen Anspruch darauf, dass man sie – was immer sie auch tun und wie immer sie sich verhalten – respektiert.

Sie haben als Dramatiker begonnen, in den letzten Jahren schienen Sie sich vom Theater abgewendet zu haben. Jetzt schreiben Sie an einem neuen Stück – Titel: „Sanssouci“. Steht da etwa Potsdam im Mittelpunkt – oder doch die Sorglosigkeit?

Nein, weder noch. Es geht in dem Stück nicht um das Potsdamer Schloss, das Stück spielt in einem Hotel mit diesem Namen.

Die Fragen stellte Lena Schneider

Christoph Hein, Jahrgang 1944, ist einer der wichtigsten deutschen Gegenwartsautoren. Der Durchbruch gelang ihm 1982/83 mit der Novelle „Der fremde Freund“. Zuletzt erschien „Trutz“.

Christoph Hein: Trutz.

Suhrkamp Verlag

Berlin 2017,

477 Seiten, 25 Euro.

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