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Kultur: „Es geht um die innere Freiheit“

Seit 2003 feiern Sven Till und Wolfgang Hoffmann weltweit Erfolge mit „Pandora 88“. Nun zeigen sie es wieder in Potsdam.

Herr Hoffmann und Herr Till, Sie tanzen zusammen in einem Raum, nicht größer als eine Telefonzelle. Ihr Stück heißt „Pandora 88“, man denkt an die Büchse der Pandora, aus der alles Übel entweicht. Was hat es mit dem Titel auf sich?

HOFFMANN: Uns ging es gar nicht so sehr um das Übel, sondern eher um die Wahrheit, das Essentielle. Wenn man Bewegungstheater macht, kann man sich nicht verstecken, jede kleinste Bewegung steht wie in einem Vergrößerungsglas. Deswegen machte für uns der Titel Sinn. Wir haben auch nach einem Namen gesucht, der wie ein Raumschiff klingt.

Ein Raumschiff?

HOFFMANN: Eine der Sichtweisen ist, dass wir im All sind. Der Ort ist ja nicht festgelegt, ob wir Gefangene oder im Weltall sind. Klar ist, dass wir eine lange Zeit gemeinsam dort verbringen.

TILL: In dem Entstehungsprozess waren auch Recherchen zu Science Fiction-Filmen enthalten. Aus Überlegungen, da ist ein Ort, zwei Leute sind da, man weiß nicht, wie lange schon und wie lange sie da noch bleiben werden. Es hat etwas von Gefangensein, aber auch Laboratorium, kleiner Raum. Die Zeit spielt eine große Rolle, es gibt da eine Referenzszene zu „A Space Odyssey“ von Stanley Kubrik.

Tanzen misst sich ja immer auch an den Grenzen des Raumes. Aber was ist, wenn der Raum so eng begrenzt ist, wie ist Tanzen da noch möglich?

HOFFMANN: Erstaunlicherweise gibt es ja viel Bewegungsmöglichkeit und gerade diese Beschränkung hat für uns eine enorme Spielbreite eröffnet. Ich fühle mich oft erschlagen von zu vielen Möglichkeiten. Und wenn man Grenzen hat, fokussiert das einen auch. Dann kommt es letztlich auf deine Mentalität an, ob du es als Anreiz siehst, Spaß daran hast oder ob du dich davon frustrieren lässt, bestimmte Sachen nicht machen zu können. Letztlich geht es in dem Stück um innere Freiheit. Die man hat oder nicht hat, egal wie groß der Raum ist.

Wie ist das Stück 2003 entstanden?

TILL: Zum einen war die Raumidee da, die wir entwickelt haben. Daneben gab es eine inhaltliche Recherche, eine Materialsammlung, persönliche Erfahrungen. Uns wurde bald klar, dass es sehr viel mit unserer persönlichen Geschichte zu tun hatte, im Osten verortet zu sein. Nämlich auch auf einem kleinen Raum groß geworden zu sein, eine Situation, die geschlossen ist, sich aber als offen darstellt.

HOFFMANN: Für mich kommt das Buch „The Evil Creadling“ hinzu. Es ist die Geschichte einer Geiselhaft eines irischen Lehrers, der viereinhalb Jahre von dem Islamischen Djihad in Beirut gefangengenommen war, mit einem Journalisten zusammen die meiste Zeit in Gefangenschaft verbracht hat und danach ein Buch geschrieben hat über diese Freundschaft, die die beiden mental am Leben gehalten hat: „Eine teuflische Umarmung“. Das hat mich schwer beeindruckt. Letztlich ist davon im Stück nicht viel übrig geblieben, aber diese Recherche war trotzdem wichtig für die Authentizität des Stückes.

Nun sind Sie seit zwölf Jahren mit dem Stück unterwegs, es gab weltweit über 140 Aufführungen. Was war die eindrücklichste Erfahrung?

HOFFMANN: Für mich ist das nach wie vor das Opernhaus von Sydney in Australien. Wir haben drei Wochen in dem konischen Gebäude gespielt, das war ein Höhepunkt. Schöner konnte ich es mir nicht vorstellen. Wir sind durch den Botanischen Garten an den hängenden Fledermäusen vorbei zu der Arbeit gegangen, das war ein Erlebnis. Dort wurden wir als Europas führende Theaterkompagnie verkauft (lacht). Wichtig waren auch die Aufführungen in Teheran. Wo es so wichtig war für die Leute, etwas von außen zu sehen. Wo so viel hineininterpretiert wurde, dass man selbst eine Hochachtung vor dem Publikum bekam.

Gab es auch irritierende Erfahrungen?

TILL: In Edinburgh fing eine Frau im Publikum an zu weinen. Emotional hochberührt. Die von der Beklommenheit und der Klaustrophobie sprach, die sich in den Zuschauerraum übertrage

HOFFMANN: Und für uns war Klaustrophobie nie wirklich ein Thema.

TILL: Ich glaube, dass es auch mit einer körperlichen Erfahrung zu tun hat, die für uns eine ganz andere ist als etwa im anglophonen Raum – einem kulturellen Raum, wo Berührung und körperliche Erfahrung ganz anders gesehen wird. Das hat unseren Interpretationsraum natürlich auch erweitert und unser Spiel mitbeeinflusst.

HOFFMANN: Auch in Teheran. Das begann schon damit, dass mehr Publikum in das Stück reinwollte, als Platz war. Sie sind es dort gewohnt, dass jeder viel Platz für sich hat. Als wir sahen, dass mehr Menschen in die Vorstellung wollten, haben wir das Publikum auf die Bühne geholt und ihnen gesagt, dass sie enger sitzen müssen. Frauen und Männer mussten sich aneinander kuscheln. Das war schon enorm. Und dazu kommt, dass sich im Iran Männer und Frauen nicht auf der Bühne berühren dürfen. Das heißt, dass im Theater auch Männer Frauen darstellen. Die Frauen haben es deswegen ganz klar aus der Sichtweise gesehen, dass einer von uns beiden im Original eine Frau ist und haben das Stück so gelesen.

Wie hat sich das Stück denn in den vergangenen zwölf Jahren verändert?

HOFFMANN: Wir haben das Stück ja zwei Jahre lang intensiv gespielt. Dann bin ich nach Dublin gegangen. Wir haben beide mehr in Leitungsfunktionen gearbeitet als auf der Bühne. Wir haben uns in unregelmäßigen Abständen zum Spielen getroffen. Dann war es eigentlich so, dass das Stück die Konstante war und wir mit völlig neuen Geschichten kamen. Die Proben bestanden darin, dass wir miteinander quatschten um uns auf ein gemeinsames Level zu bringen. Wir mussten uns erst wieder eintunen miteinander. An der Struktur des Stückes haben wir eigentlich gar nichts gemacht, es ging eher darum, sich immer wieder neu zu treffen. Wir sind nie an einen Punkt gekommen, wo wir gesagt haben, jetzt ist es fertig oder perfekt. Ich finde bis heute, dass in dem Stücken Szenen sind, die nicht befriedigend sind.

TILL: So ein Theater ist ja auch nicht normal – und in unserer Perspektive schon. In anderen Perspektiven werden Theaterstücke gemacht, geprobt, und dann ist Premiere. Dann gibt es vielleicht noch kleine Arrangements und Details, aber eigentlich geht der Regisseur da nicht mehr ran. Dann wird das Stück durchgespielt und dann gibt es die nächste Produktion. Bei uns war es von Anfang an ein Prozess, der über ein Jahr hinausging, immer wieder auch mit den am Stück Beteiligten es feinzutunen und weiterzuentwickeln und Fragen zu stellen. Ich habe schon das Gefühl, dass wir in den ersten Jahren eine ganze andere Grenzenergie gespürt haben. Es gab viel mehr Verletzungen in den ersten Jahren – und das nicht nur, weil wir nicht wussten, wie breit die Kiste ist (lacht), sondern diese Intensität anders versucht haben, nach außen zu bringen.

Heute ist das Stück milder?

TILL: Heute ist es sehr Zen, glaube ich.

HOFFMANN: Es kommt eine Erfahrung rein und man merkt, ungestümes Spielen macht es nicht unbedingt intensiver fürs Publikum.

TILL: Das war auch in Teheran verrückt, dadurch, dass wir durch die Zensur mussten, mussten wir dreimal am Tag spielen und das hätten wir in der ersten Fassung nie geschafft, da wären wir nach anderthalbmal gestorben.

Sie mussten vor Zensoren spielen?

HOFFMANN: Eine Doppelvorstellung war gebucht und am Tag vorher hat man uns gesagt, dass wir am Nachmittag vor den Aufführungen vor einem Trio aus Zensoren spielen sollen.

Das hätte also auch schiefgehen können?

HOFFMANN: Ja, stimmt. Wir wussten nicht so recht, wie wir das nehmen sollten, dass wir nicht wirklich zensiert wurden. Außer, dass sie uns gebeten haben, Unterhemden anzuziehen. Normalerweise spielen wir die letzten Szenen mit freiem Oberkörper. Aber darauf waren wir vorbereitet.

TILL: Und die Unterhemden tragen wir immer noch.

Das Gespräch führte Grit Weirauch

„PANDORA 88“ – Bewegungstheater mit Wolfgang Hoffmann und Sven Till: Freitag und Samstag jeweils um 20 Uhr, Sonntag, 13. Dezember um 16 Uhr in der fabrik, Schiffbauergasse 10, Eintritt 14 Euro, Abendkasse 16 Euro.

Sven Till ist ausgebildeter Steinmetz und Tänzer. Till ist Gründungsmitglied der fabrik und Mitbegründer der Potsdamer Tanztage, heute ist er Künstlerischer Leiter der fabrik.

Wolfgang Hoffmann, 48-jährig, ist Tänzer und Unternehmer.

1990 gründete er mit Sven Till die fabrik, ein Jahr später die Potsdamer Tanztage. Heute leitet er das Edinburgher Fringe Festival.

Grit Weirauch

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