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Kultur: Es geht doch

Das Poetenpack zeigt zum 330. Geburtstag des Toleranzedikts einen klugen „Nathan der Weise“

Beim Quodlibet kommt zusammen, was bisher getrennt war. Gemeint ist damit ein Musikstück, in dem Melodien, die nichts miteinander zu tun haben, zeitgleich erklingen. Wörtlich übersetzt: „Wie es beliebt“. Zum Finale von „Nathan der Weise“ stehen alle Schauspieler und Schüler auf der Bühne und singen ein ganz besonderes Quodlibet: Ein jüdisches Lied, ein arabisches und ein christliches. Die einzelnen Melodien sind gut herauszuhören und ergeben doch einen überraschend hörbaren Musikmix. Ein berührender und fröhlicher Moment.

In der ausverkauften Französischen Kirche endete am vergangenen Donnerstag so die Premiere des „Nathan“, eine Gemeinschaftsproduktion des Theaters Poetenpack und von Schülern der Potsdamer Leonardo-da-Vinci-Schule. Ein Theaterabend, der in jeder Hinsicht etwas Besonderes war, weil eine ganze Stadt sich daran beteiligt hatte. Etwa 90 Potsdamer Bürger, Firmen, Institutionen und Verbände unterstützen mit einer Spende das Crowdfunding-Projekt. Pünktlich zum 330. Jahrestag des Potsdamer Toleranzedikts – das am 29. Oktober 1685 erschienen war – konnte das Stück aufgeführt werden. In einer Zeit, in der das Thema an Brisanz nichts verloren hat. Umso schöner, dass auch Schüler der Willkommensklassen – dort lernen neu angekommene Flüchtlingskinder – mitmachen. Das ist vielleicht das Beste an diesem „Nathan“: dass die Umsetzung seiner Vision eines toleranten Miteinanders der verschiedenen Religionen direkt im Stück passiert. Dass man als Zuschauer feststellt: Es geht doch.

Es ist freilich ein hartes Ringen um diese Harmonie, auch das wird im Stück klar. Nicht wenige Klischees und Vorbehalte werden abgeklopft. Da gibt es den brutalen Moslem, den geizigen Juden, den dogmatischen Christen. Die alle am selben heiligen Ort, Jerusalem, leben und sich eigentlich gern gegenseitig den Schädel einschlagen würden. Saladin hat gerade ein paar Feinde exekutieren lassen, der Patriarch sagt: „Der Jude wird verbrannt“, und Nathan speist den christlichen Tempelherrn, der Nathans Zieh-Tochter Recha aus dem Feuer gezogen hat, mit kalten Worten ab. Lessing packt das alles in einen Plot, der heute bei manchem Produzenten bestimmt durchfallen würde: Zu konstruiert das Stück, in dem Menschen gerettet werden, verloren Geglaubte auf wundersame Weise wiederauftauchen, man sich unkompliziert mit Darlehen hilft und am Ende eitel Sonnenschein herrscht. Sogar die beiden jungen Leute, Recha und der Tempelherr, eben noch unsterblich ineinander verliebt, schlucken tapfer die Nachricht, dass sie Geschwister sind.

Dabei ist es gerade diese sich entwickelnde Liebe, die Schüler und Mitspieler anteilnehmend beobachten, etwa wenn Recha (Clara Schoeller) und der Tempelherr (Felix Isenbügel) ihre Gefühle mal verstecken, mal rauslassen.

Überhaupt profitiert die Inszenierung am stärksten von der Beteiligung der Schüler. Die 16 Jugendlichen mimen den Chor, die Masse, die es bei Lessing gar nicht gibt. Regisseur Andreas Hueck lässt sie mal im Vordergrund, mal im Hintergrund Zeremonien der drei großen Religionen anspielen, Gesänge, Gebete, Sakramente. Und das alles in einer christlichen Kirche. Welcher Gott hier wohl wohnt, das fragt gleich zu Beginn einer der Jungen. Die Frage bleibt im Raum – unbeantwortet. Und am Ende gibt es die Erkenntnis, dass es darauf vielleicht keine Antwort geben kann und auch nicht geben muss. Es war für die Jugendlichen, besonders für die Muslime, zunächst nicht leicht, sagte Hueck bei den Proben, eine Kirche als Spielort zu akzeptieren, ein islamisches Gebet hier zu sprechen – als Theaterstück. Dass sie dabei ihre eigene Identität behalten, mit Kopftuch, Turban oder ohne Kopfbedeckung auftreten, verleiht dem Ganzen eine besondere Ernsthaftigkeit. Sie bleiben sie selbst – und gerade das scheint ihnen Kraft zu verleihen. Man möchte nach diesem Stück jeden Kopftuchstreit als Politikklamotte verbannen. Steffi Pyanoe

Weitere Vorstellungen vom 17. bis 28. November, Französischen Kirche, Charlottenstraße/Ecke Französische Straße.

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