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Verhüllen und Enthüllen: Lia Rodrigues' Choreografie „Encantado“ ist ein Spiel der Verwandlungen.

© Sammi Landweer

Erst Potsdam, dann Berlin: „Encantado“ beschwört Naturmythen herauf

Die brasilianische Choreografin Lia Rodrigues hat sich für „Encantado“ von indigenen Kulturen inspirieren lassen. Das Stück gastiert nun im Hebbel am Ufer. 

Von Sandra Luzina

Sieben Tänzer und Tänzerinnen rollen auf der Bühne der Fabrik Potsdam einen Patchwork-Teppich aus. Er besteht aus bunten Stoffen, wie man sie auf lokalen Märkten in Brasilien findet. Mit ihrer Produktion „Encantado“ gastierte die brasilianische Choreografin Lia Rodrigues gerade noch bei den Potsdamer Tanztagen, an diesem Wochenende kommt sie mit ihrer Companhia de Danças nun ins HAU, das ihr Stück ko-produziert hat.

In Berlin zeigte Rodrigues zuletzt „Furia“, ein düsteres Stück, in dem sich ihre Wut über das Regime von Jair Bolsonaro entlud. „Encantado“ ist dagegen sehr fröhlich, die Choreografin hat sich von den indigenen Kulturen inspirieren lassen. Der Titel bezieht sich auf beseelte Wesen, die sich zwischen Erde und Himmel bewegen und diese in heilige Orte verwandeln. Aus den Mythen wird bei Rodrigues ein Spiel der Verwandlungen.

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Die Tänzer:innen sind nackt, wenn sie auf dem Teppich ihren Platz einnehmen. Ein Frau gleitet in wellenförmigen Bewegungen unter ein Tuch mit Leoparden-Muster, die übrigen zehn Performer:innen folgen ihr, bedecken ihre Körper oder wickeln die Tücher zu Turbanen. Verhüllen, enthüllen: Immer neue Draperien entwerfen die Tänzer:innen aus immer mehr Textil, sie transformieren zu Chimären, Mischwesen aus Mensch, Tier und Pflanze.

Das Guarani-Volk protestierte gegen Bolsonaro

Zunächst bewegen sie sich wie in Trance, bald gehen die Szenen ins Groteske über. Die Performer:innen grimassieren, geben krächzende oder fauchende Laute von sich, wiegen sich in ausladenden Bewegungen. Begleitet werden sie dabei von der traditionellen Musik des Guarani-Volkes, dessen angestammtes Territorium bedroht ist. Ihre Lieder sangen die Guarani im vergangenen Jahr auch bei einem Protestmarsch in Brasilia.

Anfangs stehen sie noch isoliert, jede:r eine Insel für sich, dann bilden sich Duos und Trios heraus. Drei Frauen mutieren zu freundlichen Riesinnen, die mit den Händen tanzen. Später raffen sie die Stoffberge zusammen und bilden eine Prozession der Lumpensammler. Schließlich werfen die Tänzer:innen alle Hüllen ab, bis sie wieder nackt sind. Die Choreografie spiegelt die Arbeitsphasen während der Pandemie wider: Anfangs entwickelten die Tänzer:innen das Material allein, später wurde mit Partnern geprobt, in der dritten Etappe kamen alle zusammen.

„Encantado“ hat Lia Rodrigues wieder im von ihr gegründeten Zentrum in der Favela de Maré in Rio entwickelt. Hier wurden während der Pandemie Lebensmittel und Hygieneartikel an verarmte Familien ausgegeben. Die Choreografin hat es tatsächlich geschafft, ihr diverses Ensemble durch die Corona-Zeit zu bringen, unter anderem mit Mitteln des Goethe Instituts. Die Freude, wieder zusammen auftreten zu können, ist den Tänzer:innen anzumerken.

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