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Kultur: Erschlagende Perspektivlosigkeit

Daniel Abma drehte mit dem Dokumentarfilm „Nach Wriezen“ ein beklemmendes Porträt

Daniel Abmas Film „Nach Wriezen“, in dem er die drei jungen Männer Imo, Jano und Marcel nach ihrer Haftentlassung aus der JVA Wriezen begleitet, zog sich über dreieinhalb Jahre hinweg. Und er ist zu Recht zu einem Meilenstein dokumentarischer Porträtierung herangereift. Wobei er von vornherein Sprengstoff barg: Einer der Porträtierten war Marcel Schönfeld, der 2002 durch den brutalen Mord an einem Jugendlichen im uckermärkischen Potzlow traurige Berühmtheit erlangte. Der 16-jährige Marinus war damals stundenlang gefoltert und schließlich per „Bordstein-Kick“ aus dem jungen Leben und dann in eine Jauchegrube geworfen worden. Den drei Provinznazis um Schönfeld hatte der Förderschüler im Hip-Hop-Outfit einfach nicht ins sozialdarwinistische, von Perspektivlosigkeit und Alkoholkonsum dominierte Weltbild gepasst. Es gehört Mut dazu, die Kamera auf gerade so einen Fall zu richten – der ehemalige Jugendarbeiter Abma meisterte diese Herausforderung jedoch mit der nötigen Distanz, was zu einer beeindruckend gefühlvollen Porträtierung scheiternder Menschen führte.

Er ist auf dem Weg zu etwas Besonderem, etwas geradezu Wegweisendem – der Babelsberger Dokumentarfilm. Das sagte Klaus Stanjek, Professor der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) am Dienstagabend einleitend zur Präsentation des Dokumentarfilms „Nach Wriezen“ von HFF-Absolvent Daniel Abma, der bereits mit beachtlichem Erfolg beim 55. Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm lief. Es gehe der Babelsberger Schule des Dokumentarfilms vornehmlich darum, den Eindruck der Echtheit zu unterstützen und den Respekt vor den porträtierten Menschen ins Zentrum zu erheben, so Stanjek.

Wer jedoch im Glauben an das Gute und an eine Resozialisierung geläuterter Menschen in Abmas Film erwartete, wurde schnell eines Besseren belehrt. Die Wahrheit ist noch brutaler als das „Unterschichten-TV“: Abmas Film ist durchaus in der Lage, den Betrachter mit der Porträtierung der Perspektivlosigkeit in den Würgegriff zu nehmen. Alle drei Beteiligten schaffen es zwar zunächst, in nach außen hin stabilen Beziehungen zu landen und sich recht bald als Väter wiederzufinden – das Scheitern ist jedoch mächtiger: Imo, der als Einziger die Flucht aufs Dorf sucht und schnell Arbeit findet, ist hauptsächlich damit beschäftigt, sich den Kopf wegzukiffen, bis er in unkontrollierter Aggressivität eine Angestellte des Jugendamtes vom Hof jagt und eine Anzeige bekommt - sein Kind wird später zur Adoption freigegeben. Und Jano versucht ebenfalls, das schnelle Geld im Drogenhandel zu machen. Seine Freundin begleitet ihn, auf den Kinderwagen gestützt - und landet schließlich wieder in Wriezen. Einzig Marcel, der sich seiner Freundin komplett unterordnet, scheint mit einiger Verbissenheit sein Leben in den Griff zu kriegen. Es ist einer der stärksten Momente des Films, wie er sich vor das Leben seiner neugeborenen Tochter stellt, während Abma ihn damit konfrontiert, anderen Eltern den Sohn genommen zu haben. Marcel bleibt dumpf: „Kinderficker“ seien doch viel schlimmer als Mörder.

Die Kamera befindet sich dabei im Hintergrund, mit langen Einstellungen, detailverliebten Perspektiven und den zarten Verwackelungen der Handkamera. So schafft es Abma auch, mittels eines durch das Bild rennenden Schweins das Publikum zu dem befreienden Lachen zu animieren, welches ihm den Rest des Filmes im Halse stecken bleiben musste.

Doch hauptsächlich sind es die Autoritätsprobleme der Porträtierten, die sich wie ein roter Faden durch die Dokumentation ziehen, ein permanentes Kreuzfeuer aus Dominanz und Devotion. Und Abma bewahrt dazu die Distanz des Dokumentarfilmers, obwohl er den Protagonisten so nahe kommt, dass er zu einer anteilnehmenden Vertrauensperson wird.

Den Glauben an das Gute im Menschen und an eine Läuterung kann Abma damit nicht zurückgeben; aber vielleicht eine leichte Krümmung der Sichtweise, einen Blick hin zum Menschen, ohne Verständnis heischen zu müssen.

Oliver Dietrich

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