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Schweben, blühen, funkeln. Als die fabrik Anfang des Jahres nach tanzbegeisterten Laien suchte, meldeten sich gut 300. Nicht alle blieben dabei. Rund 150 feiern nach intensiven Proben morgen im Lustgarten die Premiere von „Le Grand Continental“.

© Andreas Klaer

Eröffnung der Potsdamer Tanztage: Massenbewegung

Tanztage im Anmarsch: 150 Amateurtänzer proben die Europapremiere von „Le Grand Continental“. Am Samstag ist das großangelegte Tanzstück im Potsdamer Lustgarten zu sehen.

Potsdam - Wenn über hundert Menschen reglos auf dem Boden liegen, ist das schon ein beeindruckendes Bild. Wenn sie sich dann plötzlich die Ruhe aus den Gliedern schütteln und sich routiniert in acht Reihen zu einem großen Rechteck formieren, um kurz darauf geschmeidig nach Musik, die von lateinamerikanischen Rhythmen inspiriert ist, zu tanzen, ist die ungeheure Energie im Raum buchstäblich mit den Händen zu greifen.

Mittanzen kann man eigentlich schon lange bei den Potsdamer Tanztagen. Doch das diesjährige Projekt des kanadischen Choreografen Sylvain Émard „Le Grand Continental“ sprengt alle Dimensionen. Aus den über 600 tanzbegeisterten Interessenten, die sich dafür angemeldet hatten, wurden Ende Januar 350 gecastet und schließlich 150 ausgewählt, um 12 Wochen lang gemeinsam mit Émard und fünf Profitänzerinnen eine halbstündige Choreografie zu erarbeiten.

Am morgigen Samstag findet im Lustgarten unter freiem Himmel die Europapremiere von „Le Grand Continental“ statt, als Prolog der Potsdamer Tanztage, die am 29. Mai beginnen. 18 Mal, so Émard im Gespräch, hat er „Le Grand Continental“ schon mit Amateurtänzern in der ganzen Welt einstudiert, doch die Gruppe in Potsdam war für ihn besonders.

Jede neue Lektion wurde als Video mit nach Hause genommen

Ende Februar, als der zwölfwöchige Probenprozess begann, sei jeder für sich gekommen. Irgendwie zugeknöpft, wahrscheinlich auch wegen des trüben Wetters, so der 62-jährige Kanadier. Das sei jetzt ganz anders. Sie kommen viel früher, mit einem breiten Lächeln im Gesicht, freut sich Émard. Und sie machen jetzt viel mehr gemeinsam, auch nach den Proben. Eine tolle Energie, die ihn als Lehrer immer wieder neu berührt und motiviert, sagt er. Denn neben der Choreografie interessiert ihn besonders auch dieser soziale Aspekt.

Doch ehe so eine verschworene Gemeinschaft entsteht, ist viel Arbeit nötig. Zu 60 Stunden reiner Probenzeit kamen wöchentlich Hausaufgaben. Jede neue Lektion wurde als Video mit nach Hause genommen und musste dort tatsächlich weiter geübt werden. Das war nicht für alle durchzuhalten. Sylvain Émard sagt, dass so ein Projekt meistens nach einem Monat in einen krisenhaften Moment kommt. Anfangs ist jeder Teilnehmer aufgeregt, nahezu euphorisch. Doch dann stellen die Meisten fest, dass es körperlich und mental sehr herausfordernd ist, dass es viel Kraft und Zeit kostet. Dann sei es an ihm und dem Team, die Teilnehmer zu ermutigen, ihnen zu zeigen, was sie schon geschafft haben.

„Man muss diesen Moment auffangen und aushalten können als Profi“, sagt Émard. Und wenn der Tiefpunkt überwunden ist, geht es nur noch bergauf, so der quirlige Choreograf. Denn es sei eine großartige Energie, die entsteht, wenn, wie in Potsdam, Menschen im Alter von 13 bis 70 Jahren gemeinsam tanzen. So wie Fanny, die schon seit ihrem zweiten Lebensjahr tanzt und es toll findet, „dabei den Kopf frei zu kriegen und keine Zeit zu haben, über die Schule und den stressigen Alltag nachzudenken.“

„Schweben, blühen, funkeln“

Knut hingegen, der Fannys Großvater sein könnte, fühlt sich fit durch das intensive Training und will am liebsten gleich beim nächsten Projekt mitmachen. Auch er liebt das Tanzen seit Oberschulzeiten und ist in Potsdams Tangoszene aktiv. Leider gibt es nicht so viele Männer, die sein Hobby teilen, sodass auch bei „Le Grand Continental“ in Potsdam die Frauen wie schon so oft in der Überzahl sind.

Und diese „schweben, blühen, funkeln“, so das Motto des Projekts, dann tatsächlich. Man wird schon bei der Probe von einem unglaublichen Sog erfasst, wenn man ihnen dabei zuschaut.

Es sei für ihn als Lehrer, so Sylvain Émard, auch nach so vielen Wiederholungen immer wieder eine Freude zu sehen, wie sich Tanzende entwickeln und merken, was der eigene Körper eigentlich alles kann. Anfangs seien sie alle Knospen. „In ihrem eigenen Tempo entwickeln sie sich zu prachtvollen Blüten.“ Und sie reflektieren dabei ungeheuer viel. Er könne inzwischen ein ganzes Buch mit den Geschichten schreiben, die ihm Teilnehmer erzählen, sagt Émard. Für viele beginne mit oder nach so einem Gemeinschaftsprojekt auch ein neuer Lebensabschnitt. Das Projekt gebe ihnen die Energie dafür.

Ein Team der fabrik begleitete den Probenprozess – „umsichtig und respektvoll“, wie Émard sagt. Ohne seine Assistentinnen, die Choreografinnen Heidi Weiss, Alessandra Lola Agostini, Dijana Durisevic, Lisanne Goodhue und Anita Twarowska, wäre das Projekt gar nicht durchführbar gewesen. Émard selbst war insgesamt nur fünf Wochen in Potsdam, während seiner Abwesenheit wurde das Training vollständig von den Assistentinnen übernommen.

Bei der Montagsprobe war indes deutlich zu spüren, dass „Le Grand Continental“ sich jetzt auf der Zielgeraden befindet. Im Lustgarten wird gerade für die Tänzer eine Tribüne aufgebaut. Denn mit „Le Grand Continental“ sollen sowohl die Tanztage als auch die Jubiläumsfeierlichkeiten anlässlich des 1025. Geburtstages von Potsdam eingeläutet werden.

Aufführungen am 26.5. um 21.30 Uhr im Potsdamer Lustgarten und am 27.5. um 16 Uhr in der Schiffbauergasse. Eintritt frei

Astrid Priebs-Tröger

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