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Kultur: Ernstviktoraugustludwig in der Finsternis

Musikhappening „Ball“ der „Bladder Circus Company“ aus Ungarn bei Unidram

Heute ist Dienstag, aber eigentlich Samstag oder doch Freitag? Die acht Protagonisten der „Bladder Circus Company“ aus Budapest, die am Montagabend mit ihrem melancholischen Musikhappening „Ball“ bei Unidram im T-Werk gastierte, scheren sich nicht wirklich darum, welcher Tag eigentlich ist. Sie „wissen“ nur, dass irgendwann ein Fest stattfindet. Anlässlich des Geburtstages eines gewissen Boris. Oder war es doch ein Wohltätigkeitsball? Oder etwa beides?

Sie befinden sich – mit zerdrückten schwarzen Fräcken und glitzernden Spitzhütchen angetan – in einem ziemlich schummrig beleuchteten Raum. Keller oder Hinterzimmer? Festsaal oder Abstellraum? Das lässt sich nicht wirklich feststellen. Hohe Stapel aus Kinderstühlchen, ein riesiger blinder Spiegel und eine L-förmige weißgedeckte Tafel prägen den Raum. Ist es wirklich eine Tafel? Mit diesem zerdrückten Tischtuch, dem vertrockneten Rosenstrauß und dem Taubenkäfig aus Messing darauf?

An ihr sitzen zwei alte Männer mit grauen Rauschebärten. Der eine von ihnen zieht sich immer wieder eine Schweinsmaske übers Gesicht. Zu ihnen gesellen sich eine, mal resolut schimpfende mal zart singende, mit großer Abendrobe angetane Diva namens Johanna und drei traurige Clowns. Die scheinen die Gäste zu sein, denn sie haben Geschenke und einen wunderbaren roten Luftballon dabei. Worauf warten sie? Dass ein Fest beginnt? Dass es endet? Dass sie einen Auftritt haben? Warten sie überhaupt? Oder lassen sie das Gegenwärtige und Kommende einfach über sich ergehen?

Solche und andere Fragen stellten sich und vergingen sogleich wieder wie von selbst, wenn man sich dem überaus poetischen Zeit- und Sinnvakuum, dem theatralen Bilderkosmos und den ungewohnten Klangbildern – aus melancholischem Gesang, peitschenden Schlagzeugrhythmen und mal seelenvollen mal kakofonischen Tönen aus der eigens entwickelten Trompetengeige, dem blasbarem Tasteninstrument oder Musikhupen der ungarischen Gruppe einfach überließ. Sich anstecken ließ von ihren sinnfreien Wortgefechten, den existenziellen Traum- und Alptraumbildern und dem „Ruckidiguh“ der anmutigen Taube, die schon in zweiter Generation zur „Bludder Circus Company“ gehört.

Die 1997 gegründete Formation ist eine der ältesten ungarischen Theatergruppen und war schon mehrfach in Potsdam bei Unidram zu Gast. Ihr Spiritus rector ist Szabolcs Szöke, der in Teamarbeit mit seinen Darstellern Lászlo Nádasi, Attila Rácz, Domoskos Szabó, Monika Kuncsner, Zsolt Csák und Fruzsina Eszes sein Musiktheater „Ball“, das von Thomas Bernhards „Fest für Boris“ inspiriert ist, im vergangenen Jahr entwickelt hat. Bei ihm spielt jedoch Boris die „Hauptrolle“ und taucht doch nur kurz, bevor er „unerkannt“ stirbt, bei der Gesellschaft auf.

Wunderbar absurd, ungeheuer erdenschwer und luftig zugleich, zählt „Ball“ mit seinen Protagonisten, die „Namen“ wie Ludwigviktor, Ernstaugust oder Ernstviktoraugustludwig tragen, sicher zu den Highlights des diesjährigen 15. Festivals. Die Potsdamer Zuschauer ließen sich jedenfalls von der „Feier“ in der Finsternis eher bezaubern als erschrecken. Auch wenn die ganze Zeit die Fadenschlinge des aufgestiegenen Luftballons wie ein Menetekel über dem skurrilen Geschehen baumelte.

Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-TrögerD

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