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Kultur: Erbe ohne Nostalgie

Daniel Kahn brachte das Waschhaus zum Tanzen

Daniel Kahn mag Traditionen. Das Althergebrachte. Die alten Lieder, weil sie immer noch gebraucht werden. Mit viel Verve beweist der Multiinstrumentalist am Donnerstagabend im gut gefüllten Waschhaus, dass der Bezug auf das Erbe der Vorfahren nichts mit Nostalgie zu tun haben muss, sondern Rückversicherung sein kann, dass die eigenen Ideale nicht völlig absurd sind, nur weil sie im gegenwärtigen politischen Diskurs kaum mehr vorkommen. Entsprechend mischt Daniel Kahn traditionelle Lieder mit Eigenkompositionen oder spielt auch mal Klezmer mit E-Gitarre. Das klingt überraschend fröhlich und tanzbar.

Für sein erstes Gastspiel in Potsdam greift Daniel Kahn zunächst nach dem Akkordeon und stimmt einen „jiddischen Gangsterrap aus Istanbul“ an. „Shimer Kazer“ ist ein kurzes Lied über das kurze Leben eines kleinen Gauners, der doch nur ein besseres Leben haben wollte. Kahn lässt es in die Eigenkomposition „The Butcher’s Share“ münden, eine sarkastische Abrechnung mit den Mechanismen der Warenproduktion. Irgendjemand muss die Drecksarbeit machen.

Kaum sind die ersten Töne am Verklingen, stellt Kahn seine Mitmusiker vor, eine Geste, die zeigt: Hier steht – bei aller Expressivität, die dem im multiethnischen Berlin beheimateten Detroiter aus den Augen blitzt – kein Egomane auf der Bühne, sondern ein Wir, das sich verschiedener Instrumente bedient. Und damit das Kollektiv nicht nur ein männliches ist, holt Kahn immer wieder die Sängerin Sasha Lurje auf die Bühne.

Mit ihr intoniert er das über hundert Jahre alte „Arbeter Froyen“, das der anarchistische Dichter David Edelshtat für die Gewerkschaft der New Yorker Fabriknäherinnen schrieb, ein Lied voller Aufbruchs- und Kampfesstimmung. Dazu gesellt sich die Eigenkomposition „Freedom is a verb“. Wer Freiheit als Tätigkeitswort begreift, sitzt nicht lamentierend rum, sondern handelt.

Daniel Kahn stellt sich gern in die Ahnenreihe von Dichtern und Musikern, die Lieder als Waffen verstanden, wie etwa Tucholsky und sein „Rosen auf den Weg gestreut“ von 1938, mit der sloganhaften Textzeile „Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft“. Ohne Namen zu nennen, verweist er mit einem Seufzer auf die Zustände in seinem Heimatland. Bittere und traurige Einsichten schimmern an diesem Abend immer wieder zwischen den Textzeilen und in den Melodiebögen durch. Völkermord und Flucht sind eben keine gestrigen Themen.

Ganz zum Schluss greift Daniel Kahn zur akustischen Gitarre, um ein urjiddisches Lied zu intonieren, das ihm sein Rabbi beigebracht habe. Der wusste zwar nichts von seinem Amt und habe das Lied auch gar nicht auf Jiddisch geschrieben, aber er habe es – als gelehriger Schüler – zurückübertragen in seinen ursprünglichen Wesenskern. Als Daniel Kahn dann in angemessener Zartheit die Strophen von Leonard Cohens „Hallelujah“ darbietet, wird es still im großen Waschhaus. Den Refrain zu singen, überlässt er dem Publikum. Lene Zade

Lene Zade

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