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„Landschaft bedeutete für Hagemeister Empfindung.“ Winterliche Landschaft. Um 1906. Pastell auf Leinwand, 74 x 107 cm.

© AWKH

Kultur: „Er hasste Motivpimpeleien“

Die Kunsthistorikerin Hendrikje Warmt will ein Buch über den Werderaner Landschaftsmaler Karl Hagemeister veröffentlichen und ist dafür auf Spenden angewiesen

Frau Warmt, im kommenden Jahr wollen Sie ein Buch mit dem von Ihnen erstmals erstellten Werkverzeichnis der Gemälde von Karl Hagemeister veröffentlichen. Wie haben Sie den Maler Karl Hagemeister für sich entdeckt?

Schon als ganz junge Studentin. Und ich wusste schon im zweiten Semester, dass Karl Hagemeister das Thema meiner Abschlussarbeit sein wird. Ich machte ein Praktikum im Berliner Stadtmuseum und war in die Vorbereitungen über die Berliner Sezessions-Ausstellung „Berliner Kunstfrühling“ eingebunden. Da sah ich zum ersten Mal ein riesengroßes Gemälde „Landschaft in Ferch“ und war sofort fasziniert. Ich fragte den damaligen Chefrestaurator Professor Ingo Timm, wer denn diese Landschaft gemalt hat. Und der erzählte mir dann von Karl Hagemeister, einem Kauz aus Werder an der Havel, von dem man wenig wisse, der aber von seiner Auffassung sehr interessant sei.

Sie haben nicht nur Ihre Abschlussarbeit, sondern auch Ihre Doktorarbeit Karl Hagemeister gewidmet. Was hat Sie ausgerechnet so sehr an diesem Gemälde fasziniert?

Erst einmal die Größe – Das Monumentale in seinen Arbeiten. Hagemeister hat ja selbst gesagt, dass er Motivpimpeleien hasst. Dann war das alles so farbfrisch, als wenn man wirklich in einem Stück überdimensionaler Natur steht. Hinzu kam das Reliefartige seiner Malweise – dickflüssig aufgetragene Farben, oft mit Daumen oder Handballen verwischt, kombiniert mit glatten Malflächen, das einen gewissen Rhythmus im Farbauftrag ergibt und diese Landschaft wirklich zum Leben erweckt. Diese riesigen Gräser, die sich wie im Wind bewegten. Typisch impressionistisch – die Unmittelbarkeit, das Skizzenhafte seines Farbauftrags, was Hagemeister in der Landschaftsmalerei bewirkte. Er schuf ein ganz neues Bild der Natur.

Welchen Stellenwert hatte Hagemeister zu dieser Zeit?

Als ich anfing, mich mit dem Künstler Hagemeister zu beschäftigen, war er fast nur regional bekannt. Über Hagemeisters Malerei wurde damals gesagt, dass sie recht anständig gemacht sei, aber die wenigsten damit etwas anfangen könnten. Davon habe ich mich nicht beirren lassen. Und wenn ich jetzt zurückblicke, sind das mittlerweile zwölf Jahre, in denen ich etwas für die Würdigung seines Schaffens bewirkt habe.

Wo haben Sie recherchiert?

Unter anderem im Bröhan-Museum in Berlin, das den größten Hagemeister-Bestand besitzt. Dort waren sie natürlich überrascht, dass eine junge Studentin sich so sehr für Hagemeister interessiert. Die Archivarin des Museums stellte mir dann drei noch nicht ganz erschlossene Kisten des Gründers Karl Bröhan zur Verfügung, in denen sich Briefe und Bilder, Archivmaterialien und Aufsätze zu Karl Hagemeister befanden. Diese drei Kartons waren das Einzige, das ich als Grundlage für meine Forschungsansätze gebrauchen konnte und somit anfing zu recherchieren. Das heißt, dass ich Karl Hagemeisters Biografie mit unveröffentlichten Dokumenten sowie neuartigen Bezügen zur Berliner Sezession ergründete. Gleichzeitig begann ich sein Werk anhand der alten Werkfotos wissenschaftlich zu erschließen. Denn auch durch die Trennung des Landes in Ost und West gab es keinen geordneten Nachlass, der alles erleichtert hätte. Natürlich spielten auch die Kriegswirren der Vorjahre eine gewichtige Rolle. Aber je mehr ich mich mit ihm beschäftigte, umso mehr gefiel er mir auch als Person.

Was gefällt Ihnen so an der Person Karl Hagemeister?

Karl Hagemeister war ein Bauernsohn, und ich glaube, es war sehr schwierig, sich unter seinen Leuten als Künstler zu behaupten. Aber er hat gemalt, weil es ihm ein inneres Bedürfnis war. Daher hat seine Herkunft eine enorme Bedeutung für sein Schaffen, was sich in der Wahrhaftigkeit der Gemälde zeigt. Hagemeisters Naturell, so denke ich, war eher zurückhaltend. Erst wollte er als Künstler etwas für sich erreichen, bevor er überhaupt an eine Ausstellung gedacht hat. Über Jahre und Jahrzehnte hat er beharrlich sein Farbgefühl und seine Formauffassung geschult. Denn mit dem kontinuierlichen Künstlerdasein ist auch der Mensch Karl Hagemeister gereift.

Welche anderen zeitgenössischen Künstler hatten Einfluss auf ihn?

Wichtig für ihn war seine Begegnung mit dem Wiener Maler Carl Schuch und dem Kreis um Wilhelm Leibl. Künstler, die keine Salonmalerei vertraten, sondern die unmittelbare Natürlichkeit als Ausdruck der modernen Malerei umzusetzen versuchten. Unter diesen progressiven Malern und Freidenkern war es vor allem Wilhelm Leibl, der diesen Kreis an Gleichgesinnten beeinflusste und das Neuartige in der Malerei aufgriff. Leibl gehörte zu einen der Ersten, der sich dem Kunstbetrieb der Stadt entzog und in der Abgeschiedenheit auf dem Lande seine Bilder schuf. Kunsthistorisch ist daraus der sogenannte Leibl-Kreis erwachsen. Mit Schuch hingegen entwickelte sich über mehrere Jahre eine Künstlerfreundschaft, die sich darin äußerte, dass beide gemeinsam auch in der Mark Brandenburg an ihrer malerischen Auffassungen anhand von Landschaftsstudien arbeiteten. Es ist belegt, dass sich Hagemeister und Schuch in Ferch, Kähnsdorf und Werder zum „landschaften“ aufhielten.

Was bedeutete Landschaft für Hagemeister?

Das ist eine Frage, die ihm auch gefallen hätte. Denn damit verbunden ist ja auch eine philosophische Auseinandersetzung, die er immer wieder in Zwiegesprächen im Dialog mit Max Liebermann über Goethes Auffassung von der Natur gesucht hat. In diesem Zusammenhang finde ich seine Herkunft sehr wichtig. Er hätte nach Paris oder nach Rom gehen können, ist aber zurückgekehrt nach Werder und hat sich nicht ablenken lassen, denn er wusste, dort konnte er künstlerisch nicht reifen. Die brandenburgische Landschaft sowie später die Küsten- und Meeresbilder von der Insel Rügen wurden zum eigenen Bildbegriff. Nur hier fand Hagemeister seine eindringlichen Landschaftsmotive und konnte letztendlich daraus sein künstlerisches Werk schöpfen. Das Ringen um Farbe und Form inmitten der Natur stehend, das war Hagemeisters Herangehensweise. Den Charakter eines Stückes Natur ad hoc zu erfassen und durch des Künstlers Hand zu beseelen – das war der entscheidende Hagemeistersche Impuls. Er hatte erkannt, wo er herkommt, wo er hingehört und was ihm wichtig ist. Landschaft bedeutete für Hagemeister Empfindung, Naturgefühl.

Das von Ihnen im Rahmen Ihrer Doktorarbeit erstellte Werkverzeichnis umfasst nur die Gemälde.

Ich habe mich bewusst auf die Gemälde beschränkt, denn hätte ich auch die Zeichnungen und Pastelle berücksichtigt, wäre ich nach 15 Jahren immer noch nicht fertig. Karl Hagemeister war ein sehr fleißiger Künstler.

Wie haben Sie die Informationen zu den Gemälden für das Werkverzeichnis zusammengetragen?

Über die Zusammenarbeit mit Auktionshäusern und Kunsthändlern habe ich versucht, an private Sammler heranzutreten. Sind so Kontakte zustande gekommen, bin ich zu den Sammlern gereist und habe dann die jeweiligen Bilder Hagemeisters registriert. Weiterhin schrieb ich zahlreiche Museen an und erstellte parallel dazu vor sechs Jahren eine Hagemeister-Internetseite, auf der ich mein Projekt vorstellte und um Meldungen von Gemälden aus Privatbesitz bat. Auch in Werder und in der Umgebung versuchte ich Menschen mit meinem Anliegen zu erreichen, aber meistens vergebens. Dazu kam das Pfund aus dem Bröhan-Museum – Sie erinnern sich an die drei interessanten Kartons, die der Museumsgründer Bröhan in weiser Voraussicht zusammengetragen hatte. Aus diesem Sammelsurium verfolgte ich für jedes Gemälde eine Herkunftsanalyse und stellte eine Werkübersicht zusammen. Die heutzutage berühmte Provenienzforschung.

Warum haben Sie direkt in Werder nach Gemälden von Hagemeister gesucht?

Weil die Leute dort Arbeiten von ihm haben. Vor ein paar Jahren konnte ich zumindest den ehemaligen Bäcker Hagemeisters auf der kleinen Insel besuchen. Da saßen wir dann in seiner Stube, ganz herrlich umgeben von Hagemeister-Pastellen, und der Herr Bäcker kannte ihn noch persönlich. Damals gab es die Abmachung zwischen ihnen: ein Pastell, dafür einen Monat Brot als Tauschgeschäft. So habe ich dann über die Jahre 582 Gemälde zusammengetragen. Aber das ist nicht endgültig. Erst kürzlich ist ein Gemälde aufgetaucht, das ich bisher unter „Verbleib unbekannt“ registriert hatte. Dieses Werkverzeichnis ist eine Lebensaufgabe.

Was hat sich in der Einschätzung des Malers Karl Hagemeister geändert, dass jetzt scheinbar endlich die Zeit reif ist für die Veröffentlichung eines Werkverzeichnisses seiner Gemälde?

Karl Hagemeister gehört zu den Mitbegründern der modernen Landschaftsmalerei und zählt zu den Gründungsmitgliedern der progressiven Künstlervereinigung der Berliner Sezession, die den Impressionismus in Deutschland etablierte. Auf dem aktuellen Kunstmarkt ist eine Wiederbelebung seiner Sammlerschaft zu verzeichnen. Ja, Hagemeister bleibt eine Entdeckung. So formulierte er selbst: „Hagemeister wird die Zeiten überdauern!“ Sein Werk ist ein Vermächtnis für die Mark Brandenburg sowie für die deutsche Landschaftsmalerei.

Das Gespräch führte Dirk Becker.

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