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Kultur: Einmal Jon Fosse für die „Haben-Seite“

Karmakar, Studio Babelsberg und „Die Nacht singt ihre Lieder“

Karmakar, Studio Babelsberg und „Die Nacht singt ihre Lieder“ Von Sabine Schicketanz Jon Fosse kennt sich aus mit Preisen. „Normalerweise kriege ich keine“, sagt der Mann, der gern als erfolgreichster Autor seit Ibsen bezeichnet wird. Dass er jetzt auf der Berlinale sozusagen indirekt ausgezeichnet werden könnte, daran scheint er nicht zu glauben. Was nicht weiter verwunderlich ist, sind doch Fosses Themen jene, die selbst hartgesottene Kritiker kaum genießen können. Totale Isolation, Einsamkeit und die Unfähigkeit zu kommunizieren, daran leiden die Menschen in seinen Stücken, so auch in „Die Nacht singt ihre Lieder“, dem Fosse-Drama, das Romuald Karmakar in Babelsberg und mit dem Studio als Koproduzent verfilmt hat. Gestern hatte der Film auf der Berlinale Premiere, als einer der beiden deutschen Streifen im Wettbewerb – und wurde von den Kritikern umgehend als Flop bezeichnet. Buh-Rufe und den Saal verlassende Zuschauer dürften zumindest Karmakar („Der Totmacher“) kaum irritiert haben. Er ist ein Außenseiter in der Filmszene, ein Perfektionist, einer, der eben keine einfachen Filme macht. Wohl deshalb wählte er Fosse, ein Theaterstück, das auf die Leinwand zu bringen eine Voraussetzung für Karmakar-Filme mit sich bringt: Der Hauptdarsteller ist die Sprache. Und so, wie er an „Die Nacht singt ihr Lieder“ gearbeitet hat, einem Film, bei dem es ein „Wunder“ sei, dass es ihn überhaupt gibt, hat Karmakar (vor den Äußerungen der Kritiker) von einer „ganz außergewöhnlichen“ Stimmung gesprochen, die ihn bei der Berlinale umgebe. „Wie oft hat man das im Leben, als Filmemacher ?“. Trotz allem, scheint es, wird er „Die Nacht singt ihre Lieder“ „auf der Haben-Seite meines Lebens“ verbuchen können. Die Befürchtung, Jon Fosse könnte ärgerlich werden, wenn er sieht, was aus seinem Stück auf der Leinwand geworden ist, muss Karmakar nicht hegen. „Ich ärgere mich nicht“, sagt Fosse, der es gewohnt ist, seine Stücke in verschiedensten Produktionen zu sehen. „Ich bin nur ein bisschen traurig, wenn es nicht so gelungen ist.“ Es sei „ziemlich schwierig“, die „kleinen Universen“, die er schaffe, auf der Bühne oder im Film tatsächlich funktionieren zu lassen. Das Script zu Karmakars Film hat Fosse gelesen, es habe ihm gefallen, betont er. Die Darsteller, den Film kannte er bis gestern Mittag jedoch nicht. „Ich glaube, Jon Fosse ist sehr aufgeregt“, vermutete Karmakar. Schließlich sei es das erste seiner Stücke, das tatsächlich abendfüllend verfilmt worden sei. Für Studio Babelsberg, das den Film mit 160 000 Euro aus den so genannten Referenzmitteln – von anderen Filmen eingespieltes Geld, das in deutsche Produktionen investiert werden muss – unterstüzte, soll „Die Nacht singt ihre Lieder“ vor allem einen Beweis antreten: In den Traditionsstudios, in jüngster Zeit von Hollywood-Stars bevölkert, lässt sich auch kostengünstiges deutsches Kino machen. 1,65 Millionen Euro hat der Karmakar-Streifen gekostet, „dafür haben wir die ganze Halle Große Süd voll gebaut und die Postproduktion gemacht“, sagt Udo Happel, Studio-Produzent. Es tue ihm „in der Seele weh“ zu sehen, wie lange ein Filmemacher wie Karmakar auf die Suche nach der Finanzierung gehen müsse. „Er ist einer, der etwas zu sagen hat.“ Dass Babelsberg ihm mit nur 160 000 Euro – „US-Produktionen zahlen das aus der Portokasse“ – immens helfen konnte, grenzt schon an Absurdität. Wobei Happel dafür auch das deutsche Konstrukt der Filmförderung verantwortlich macht. „Der Filmföderalismus zwingt die Produzenten geradezu, aus einem Studio-Film einen Roadmovie zu machen“, immer der Förderung hinterher, die hierzulande von den Ländern und nicht wie beispielsweise in Frankreich zentral vergeben wird. „Einen deutschen Produzenten im Studio zu sehen, ist eine Seltenheit“, sagt Happel. Mit Karmakars „Die Nacht singt ihre Lieder“ war das anders. Der Film entstand nahezu ausschließlich in der Halle, hier hatte das Babelsberger Art Department die Kreuzberger Altbauwohnung geschaffen, in der das junge Ehepaar aneinander und seinem Leben verzweifelt. Vom Art Department bekam Karmakar auch die erste Trophäe der Berlinale: Eine Münchhausen-Statue, als Symbol nicht für einen Lügenbaron, sondern einen der ersten „grandiosen Geschichtenerzähler“.

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