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Kultur: Eingebrannt

Tanzperformance von Golde Grunske im T-Werk

Schwer fällt die Tür ins Schloss. Fünf uniformierte Frauen vollführen wie auf Kommando kantige Bewegungen im kalten Scheinwerferlicht. Sie fallen oft in den Liegestütz, nehmen selbst beim Schlafen eine Hab-acht-Stellung ein. Wie ferngesteuerte Gliederpuppen bewegen sie sich zu einer metallenen Produktionstonspur, werden selbst zu Anhängseln von Maschinen. Nachts verknäulen sie sich wie junge Tiere, suchen ein wenig Wärme. Doch meist sind sie allein mit ihren stummen Schreien, den dramatischen Alpträumen.

Diese Szenen waren am Donnerstagabend im T-Werk während einer Tanzperformance der Cottbuser Choreografin Golde Grunske zu sehen. Zum Thema Erziehung und Disziplinierung im ehemaligen Geschlossenen DDR-Jugendwerkhof Torgau hatte sie 2008 ihr Stück „Schocktherapie“ entwickelt. Mit sparsamen und einprägsamen Mitteln zeigt sie, wie sich die Erlebnisse und Erfahrungen des Eingesperrtseins in Körper und Seele der Inhaftierten gebrannt haben. Das geschieht fast noch stärker im zweiten Teil der über zweistündigen Aufführung. Denn das „Danach“ der am Ende vier Überlebenden ist nicht weniger dramatisch als die Haft.

Obwohl diese ihre „äußere Haut“ in Form von Hemden ins reinigende Feuer werfen, brechen die inneren Verletzungen bei jeder Art von Erinnerung – Akten, Geräusche, Begegnung mit Leidensgenossinnen – wieder auf. Die 1975 geborene Choreografin hat, nachdem sie vor ein paar Jahren zum ersten Mal von Torgau erfuhr, immer wieder Betroffene getroffen und auch über das Leben danach mit ihnen gesprochen. In der Performance lässt sie eine Frau sich immer wieder durch geordneten Papiere arbeiten, bis sie diese wahllos in sich hineinstopft und darüber zusammenbricht. Eine andere versucht die zahllosen geschriebenen Zeugnisse zu zerreißen und tapfer nach vorn zu blicken, doch das hilft genauso wenig wie Aggressionen gegen sich selbst oder andere. Solidarisch stützen sich die Opfer immer wieder, wirklichen Halt können sie sich nicht geben. Es ist beklemmend zu sehen, wie sehr sie das Erlebte auch lange Zeit danach wieder vereinzelt. „Danach“ findet eine berührende Bildsprache, wie sich Versuche von Traumabewältigung anfühlen könnten.

Juliane Bauer, Anne Brinkmann, Anna Fingerhuth, Doreen Heidrich und Bettina Paletta tanzten mit großer Direktheit und beindruckender Empathie. Nicolle Dürschmid setzte unter die Haut gehende Akzente mit der Violine. Die atmosphärisch dichte Performance, die zu lang geriet und stringenter ohne Pause wäre, zog das Publikum in ihren Bann. Schade nur, dass kein Publikumsgespräch stattfand. Auch die Potsdamer Autorin Grit Poppe, die mit dem Roman „Weggesperrt“ eine literarische Form von Vergangenheitsaufarbeitung fand, saß zusammen mit zwei ehemaligen Torgau-Insassen im Zuschauerraum. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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