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Fakt und Fiktion. Eine Szene aus der Inszenierung von „Abend über Potsdam“, das Sarah Nemitz und Lutz Hübner für das Hans Otto Theater geschrieben haben – inspiriert von Lotte Lasersteins Gemälde. Regisseurin des Stücks ist Isabel Osthues.

© HOT / HL Boehme

Kultur: Eine Zeit wie ein böser Dschinn

Heute kommt am Hans Otto Theater „Abend über Potsdam“ zur Uraufführung Grundlage für das Stück war das gleichnamige Gemälde von Lotte Laserstein, das 1929/30 entstand

„Bist du dir sicher, dass du uns mit auf dem Bild haben willst?“, wird die Malerin Lotte am Beginn des Stückes „Abend über Potsdam“ gefragt. „Wir stören doch nur.“ Von dem Blick auf Potsdam mit den zahlreichen Kirchtürmen und der landschaftlichen Lage sind Lottes Freunde überrascht und begeistert. Sie sind der jungen Berliner Künstlerin auf die abendliche Terrasse einer Villa in der Nähe des Parks Sanssouci gefolgt, die die Aussicht auf die einstige Residenzstadt freigibt. Es ist Ende September 1929. Potsdam kann noch voll und ganz mit seinen architektonischen Schönheiten aufwarten. An Krieg und Zerstörung denkt niemand. Elf Jahre ist es erst her, dass das Völkermorden des Ersten Weltkrieges ein Ende nahm und der Kaiser von Potsdam aus ins Exil ging.

„Abend über Potsdam“ nannte Lotte Laserstein (1898 – 1993) ihr Gemälde, das 1929/30 entstand. Ein melancholisch-stilles Bild mit fünf jungen Menschen kurz vor dem Ende der Weimarer Republik, dessen Grundmotiv an das Abendmahlsbild Leonardo da Vincis erinnert. Die Figur im Zentrum ist aber nicht Jesus, sondern eine Frau in Gelb. In der alten Kunst wurde die Farbe Gelb Ketzern, Prostituierten und Juden zugeordnet. Die Laserstein-Expertin Anna-Carola Krausse schreibt: „Gemeinsam und doch allein, buchstäblich am Abgrund sitzend und von der umgebenden Welt durch eine tiefe Kluft getrennt, harren die jungen Menschen der Dinge, die da kommen.“

Der mit vielfachen, gelungenen Gegenwartstexten bekannt gewordene Theaterautor Lutz Hübner ließ sich von dem großformatigen Bild inspirieren und schrieb gemeinsam mit Sarah Nemitz im Auftrag des Hans Otto Theaters ein Stück, das den Titel des Gemäldes trägt: „Abend über Potsdam“ . Am heutigen Freitag wird es unter der Regie von Isabel Osthues zur Uraufführung kommen. Fakt und Fiktion will Hübner darin vereinen.

Über die Arbeit am Bild wusste Lotte Lasersteins Freundin und Muse Traute Rose zu berichten, dass die sehr lange Holzplatte per S-Bahn nach Potsdam transportiert wurde, dann weiter mit der Pferdekutsche zum Bestimmungsort, zu Bekannten, die eine große Dachterrasse mit Blick auf Potsdam hatten. „Die Freunde kamen zusammen für die ersten Skizzen. Sie nahmen ihre Plätze ein, und es wurde bestimmt, wo und wie sie stehen sollten. Die Figuren wurden nur skizziert, weil erst der Hintergrund gemalt werden sollte. Nachdem das geschehen war, transportierte die Malerin die Holztafel zurück in ihr neues Atelier mit hohem Atelierfenster, wo sie die gleichen Lichtverhältnisse wie auf der Dachterrasse hatte. Nun begann die lange Arbeit mit den verschiedenen Modellen.“ Im Jahre 1930 war „Abend über Potsdam“ abgeschlossen. Es wurde Lotte Lasersteins Hauptwerk.

Die in Preußisch-Holland (Ostpreußen) Geborene, in Berlin Aufgewachsene studierte als eine der wenigen Frauen an der Berliner Kunstakademie Malerei. Von der Galerie Fritz Gurlitt wurde sie eingeladen, 1930 ihre erste Personalausstellung zu veranstalten. „Abend über Potsdam“ gehörte zu den Gemälden, die gezeigt wurden.

Lutz Hübner lässt seine Hauptfigur Lotte einen Brief an den Galeristen schreiben, in dem sie über ihre Arbeit reflektiert: „Seit September arbeite ich daran, und langsam nimmt das Bildgeschehen Form an. Ich bin eine langsame Arbeiterin, das habe ich sicher gesprächsweise einmal erwähnt. Gedacht war es als ein Bild der Zeit, gespiegelt in einer Figurengruppe ... Nun aber frage ich mich zuweilen, was diese Zeit denn ist, die ich da einfangen will, ob sie über mich, über uns alle hinweg rast, sich von mir entfernt oder sich drohend hinter mir aufbaut, wie ein böser Dschinn. Keiner kann die heutige Zeit beschreiben, warum sollte es mir als bildender Künstlerin gelingen. Nun male ich nur noch, was ich in den Gesichtern lese ...“

In der Zeit des Nationalsozialismus durfte die Jüdin Lotte Laserstein in Deutschland nicht mehr ausstellen. Doch 1937 hatte sie die Möglichkeit, in Schweden ihre Bilder der Öffentlichkeit zu präsentieren. Einen Teil ihrer Kunstwerke, die vor allem Porträts umfassen und dem Realismus verpflichtet sind, konnte sie mitnehmen und so vor der Vernichtung durch die Nationalsozialisten und den Zweiten Weltkrieg retten. In Schweden fand sie eine neue Heimat. Dennoch, im Laufe der Jahrzehnte schien die Künstlerin vergessen zu sein. In einer Londoner Verkaufsausstellung 2003 tauchte „Abend über Potsdam“ wieder auf. Mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder und der Deutschen Klassenlotterie konnte es während einer Versteigerung erworben und nach Berlin zurückgeholt werden. Heute gehört das Gemälde zum kostbaren Bestand der Neuen Nationalgalerie.

„Abend über Potsdam“: Uraufführung heute um 19.30 Uhr im Hans Otto Theater (ausverkauft). Die nächste Vorstellung findet am morgigen Samstag um 19.30 statt.

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