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Kultur: Eine WG für Lebenskünstler

„Ein Winter unterm Tisch“ im Theaterschiff

Es ist eng. Verdammt eng. Vor allem, wenn man fast zwei Meter groß und ein lebenslustiger Schuster ist. Für den sich in der Fremde kein anderer Platz findet. Als ausgerechnet der unter dem Tisch der schönen Übersetzerin Florence. Doch beide genießen diese Situation. Und sie tun das so ausgiebig, dass sie Neider und Widersacher auf den Plan rufen. Diese wunderbar absurde Konstellation findet sich in Roland Topors Kammertheaterstück „Ein Winter unterm Tisch“, das am Wochenende auf dem Theaterschiff unter der Regie von Sebastian G. Bandt zur Premiere kam.

Noch kuscheliger wird es, als Gritzka, der „verrückte“ Straßensänger zu den beiden stößt. In filmschnittartigen Szenen wird das gemeinsame WG-Leben im Zeitraffer gezeigt. Mit allem, was dazugehört, wenn (Lebens)künstler aufeinandertreffen. Es hat Witz und macht Spaß, dabei zuzuschauen, wie das verschworene Trio das süße Leben genießt. Katrin Schüring gibt mit viel Anmut die großherzige Übersetzerin Florence, die sich langsam aber sicher in ihren schöngeistigen Untermieter Dragomir – kräftig und zart zugleich Albrecht Bechmann – verliebt und dessen schlitzohrigen Cousin Gritzka (Bernhard Rataisky) gleich noch „adoptiert“. Mit diesen zwei Kerlen kommt frau durch die ganze Welt. Garantiert.

Doch die Harmonie dieses „modernen“ Märchens, das der vielseitige französische Künstler Roland Topor, Sohn polnischer Emigranten, 1994 schrieb, wird ziemlich unsanft zerstört. Die wirtschaftlichen Zwänge sind einfach zu groß. Der Auftraggeber und Liebhaber von Florence – etwas zu holzschnittartig Robert Bejeur als Verleger Thyl – will die ganze Frau für sich. Und auch ihre wohlmeinende Freundin – sexy und einsam Constanze Jungnickel – sieht dem WG-Leben mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu. Nach etwas mehr als einer Stunde ist dann wirklich Schluss mit lustig. Leider auch mit der vorher sehr leichtfüßig daherkommenden Inszenierung, die wirkungsvoll verdichtet wurde mit den unter anderem von Bernhard Rataisky komponierten melancholischen Gitarrenklängen.

Von dem Esprit und der Atmosphäre der Inszenierung bleibt leider einiges auf der Strecke, als der verschmähte Liebhaber Monsieur Thyl seine frauenverachtenden Schmähungen ins Publikum brüllt. Weniger wäre vielleicht mehr gewesen, wie auch bei den darauf folgenden verschiedenen Schlusssentenzen. Aber vielleicht muss das ja so sein, wenn das „wirkliche“ Leben in eine solche „surreale“ Wohngemeinschaft einbricht? Und frau aus lauter Liebeskummer auch schon mal zur Motorsäge greift.

Für die Zuschauer im voll besetzten Theaterkahn war das jedenfalls kein Grund, sich nicht zu amüsieren und viel Beifall zu zollen. Für eine kurzweilige Inszenierung, die mit insgesamt leichter Hand einprägsame Bilder schuf für eine Welt, in der die wirklich Lebendigen hoffentlich weiterhin Orte und Nischen finden, in denen es sich anständig und solidarisch leben lässt. Astrid Priebs-Tröger

Nächste Vorstellung am 26. Oktober um 20 Uhr auf dem Theaterschiff.

Astrid Priebs-Tröger

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