zum Hauptinhalt
Das große Glück Familie. Mendel Singer (Christoph Hohmann, 2.v.l.) weiß vor Freude gar nicht wohin, denn seine Frau Deborah (Rita Feldmeier, l.), Töchterchen Miriam (Patrizia Carlucci) und der Zweitgeborene Schemarjah (Alexander Finkenwirth) sind so bemüht um sein Wohlergehen.

©  HL Böhme

Kultur: Eine Welt zerbricht

Wenn das Leben einen einfachen Mann zerstören will: Premiere von „Hiob“ mit einem großartigen Christoph Hohmann als Mendel Singer

Mendel Singer ist ein armer und doch ein zufriedener Mann. Als einfacher Lehrer, der die jüdischen Jungen der Nachbarschaft im Bibellesen unterrichtet, versorgt er seine Frau und seine drei Kinder. Es ist ein äußerst bescheidenes Dasein, und doch klagt Mendel nicht, sondern versenkt sich in seine tiefe Frömmigkeit und vertraut der leitenden Hand Gottes. Doch dann, mit der Geburt Menuchims, des vierten Kindes, das unter schwerer Epilepsie leidet, bricht das Unglück herein und breitet sich aus. Nach und nach zerbricht die Familie, Mendel verliert seine Kinder, seine Frau, seine Heimat und auch seinen Glauben, in dem kein Platz ist für die Hoffnung auf Wunder. Und doch, erst als er zerstört am Boden liegt, findet der Leidgeprüfte durch eine wundersame Fügung neuen Halt im Leben. Es ist der berühmte, 1930 entstandene Roman „Hiob“ von Joseph Roth, in der die Geschichte von Mendel Singer erzählt wird. Am Donnerstag feierte die von Michal Talke inszenierte Bühnenfassung des belgischen Dramaturgen Koen Tachelet in der fast ausverkauften Reithalle ihre gelungene Premiere.

Schlichtweg großartig, mit einer sich nie aufdrängelnden oder gar zappligen Präsenz versteht es Christoph Hohmann den Mendel Singer zu spielen. Beinahe stoisch sitzt er anfangs mit seiner Familie um einen Tisch voller brennender Kerzen und blättert in einem Gebetsbuch. Still und schlicht ist ihr Alltag, klassisch Schwarz-Weiss bis dunkel ihre Kleidung und schmucklos ihre Behausung, die einer Kate, wenn nicht gar einem Gefängnis gleicht. (Bühnenbild: Barbara Steiner) Denn die hohen Bretterwände ringsum mit dem winzigem Guckloch zeigen nicht nur die Ärmlichkeit der Singers, sondern deuten zugleich auch auf die beschränkte Weltsicht des Familienoberhauptes hin. Das ganze Leben spielt sich auf dieser kleinen Fläche ab, auf dem der jüngste halbnackte Sohn Menuchim (glänzend: Friedemann Eckert) mit verrenkten Gliedern liegt und zittert. „Der liebe Gott wird entscheiden, ob er gesund wird“, tut Mendel in seiner starren Frömmigkeit die Sache ab. Seine Frau Deborah hingegen, der Rita Feldmeier so hervorragend wie überzeugend Gestalt verleiht, gibt sich damit nicht zufrieden. Sie sucht Hilfe beim Rabbi, den Rene Schwittay in einer von insgesamt fünf Nebenrollen spielt, und erhält von ihm den Rat, Menuchim niemals zu verlassen. Doch auch die drei älteren Kinder, die beiden Söhne Jonas (Eddie Irle) und Schemarjah (Alexander Finkenwirth) sowie die Tochter Mirjam (ausdrucksstark: Patrizia Carlucci) bereiten den Eltern Sorgen. Wie unruhig gewordene Fohlen in ihrem Gatter rennen sie gegen die dörfliche Enge an, sie reden hastiger, sind bisweilen gereizt, laufen auf und ab. Allein Mendel zeigt für den Lebenshunger seiner erwachsenen Kinder wenig Verständnis. Doch muss er nun mit ansehen, wie zuerst Jonas sich freiwillig beim russischen Militärdienst meldet und bald darauf Schermajah beinahe fluchtartig nach Amerika ausreist, um dort Kaufmann zu werden. Und als dieser, reich geworden, seine Familie nachholen will, willigt Mendel der Übersiedlung nach Amerika schließlich ein, weil er nur so die Chance sieht, die vielen Liebschaften seiner zunehmend mannstoll gewordenen Tochter Mirjam mit den Kosaken im Ort ein Ende zu machen. Allein Menuchim, dem die Einreise gesetzlich verwehrt wird, lassen sie zurück.

Bei der Ankunft in New York flackern von allen Seiten Neonröhren auf und tauchen die Bühne, von der die Bretterwände und der Tisch mit den Kerzen verschwunden sind, in kaltes grelles Licht. Einsam sitzt Mendel in der Mitte, winkt mit einem Stars-and-Stripes-Fähnchen und hadert mit sich, während die Reste seiner Familie in nunmehr farbenfroher Kleidung zu quäkendem Charleston tanzen. Es ist ein unglaublich starkes Bild, so voller Verzweiflung und Hilflosigkeit! Die Enge der russischen Provinz ist der Leere der amerikanischen Großstadt gewichen, und doch scheinen beide Orte ineinander zu verschwimmen. „New York ist nicht besser als das Schtetl Zuchnow, nur größer“, stellt Deborah fest. Dann schlägt das Schicksal zu: Mendel erfährt vom Tod seiner Söhne, muss miterleben, wie seine Tochter dem Wahnsinn verfällt und seine Frau stirbt. Es ist ergreifend, wie er mit ihren zurückgelassenen Schuhen redet, als wären sie ein Grabstein.

Mit Bravour spielt Hohmann alle Facetten der Entfremdung Mendels, im Durchlaufen aller Wandlungen seiner Figur, von deren schier unangreifbaren Duldsamkeit bis hin zu den tiefsten Erschütterungen, zeigt dieser Schauspieler eindrucksvoll seine Klasse. Denn am Ende, als seine Welt vollends zerbrochen ist, hat er auch den demütigen, unverrückbaren Glauben an Gott verloren. Im tiefsten Unglück begehrt Mendel nun wild tobend und schreiend gegen seinen Gott auf und beschließt, fortan nicht mehr zu beten. Erst da ereilt ihn das Wunder, erscheint plötzlich Menuchim, der inzwischen gesundet ist und als Musiker Karriere gemacht hat. Das Wiedersehen gleicht einer berührenden Traumsequenz. Erst als Menuchim ihn von seiner starrköpfigen, weltfremden Frömmigkeit erlöst, kann Mendel, am Ende einer intensiven eindringlichen Aufführung, am Schluss dieser grundsätzlich menschlichen, in ihrer Zeitlosigkeit faszinierenden Geschichte, mit einer plötzlich befreit klingenden Stimme sagen: „Ich will die Welt begrüßen“.

Die nächsten Aufführungen am heutigen Samstag und Mittwoch, 19. Juni, jeweils 19.30Uhr

Daniel Flügel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false