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Kultur: Eine Potsdamerin

Zum Tod von Maren Ulbrich

Zum Tod von Maren Ulbrich Eine zierliche Potsdamerin am Morgen auf dem Fahrrad. Kurzer, roter Schopf, braune Augen, sommersprossig, zum Lachen aufgelegt. Immer wieder grüßt sie Entgegenkommende oder hält an, um kurz etwas zu besprechen, herzlich, eilig – sie will zur Arbeit. Im Grün des Neuen Gartens leuchten rote Haare auf: eine Mutter redet mit ihrem Mädchen, läuft aber dann rasch dem vorantorkelnden, stolpernden kleineren Töchterchen nach, ohne das ernsthafte Gespräch mit der Älteren zu unterbrechen. Während einer Ausstellungseröffnung des Brandenburgischen Kunstvereins naht eine grazile, herbe Schönheit in schräger Garderobe und mit auffälligen Schuhen. Ein Hauch von geträumtem Paris? Maren Ulbrich. Geboren in der Kulturstadt Dresden, wechselt die Abiturientin in den Norden, nach Greifswald, um Kunstgeschichte zu studieren. Dort verliebt sie sich in die Backsteingotik der Gegend. Sie mag die strenge Aura der Bauten aus den spröden, roten Steinen und ihre überraschenden Schönheiten. Deren Maße und Eigenheiten will sie nachspüren, ihnen will sie ihre Doktorarbeit widmen, reisen, auch nach Polen, an Orte, wo kaum bekannte Herrenhäuser aus diesen Ziegeln zu finden sind, schauen, vergleichen, entdecken. Dazu braucht sie Zeit und Mittel – beides wird sich doch finden lassen, später... Noch während des Studiums wird Maren Potsdamerin, auch der Liebe wegen und nach einem Augenblick des Fremdelns ist sie es dann ganz, nicht nur der Adresse nach. Sie wird heimisch zwischen Dresden und Greifswald mit den eher herben Menschen. Selbstverständlich will auch eine Backsteingotikfreundin und Liebende ihren Lebensunterhalt bestreiten, also schaut sie sich nach Arbeit um. Sie arbeitet gern. Ein Leben ohne Ideen, Projekten und tägliche Anstrengung mit anderen gemeinsam kann sie sich gar nicht vorstellen. Sanssouci, Filmmuseum und Museumsverband sind für sie immer viel mehr als bloße Arbeitsorte. Fröhlich geht sie monatelang in Archive und studiert bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten oder im Staatsarchiv Dahlem Akten, mit einer Hingabe, die verwundert – einen begeisterten Archivar stellt man sich anders vor, nicht als lebenssprühende junge Frau ... Die alten Sütterlinhandschriften zum Marstall und zum Neuen Palais, die sie fließend und kenntnisreich liest, findet sie aufregend. Immer wieder berichtet sie von erstaunlichen Funden, nie von Überdruss oder Langeweile. Wenn sie etwas tut, tut sie es beharrlich. Wenn sie etwas will, will sie es ganz. Sie schreibt Texte, redigiert, kuratiert Ausstellungen, gibt Kataloge heraus und sorgt für den ersten Museumsführer durch das Brandenburger Land. Für den Museumsverband ist sie seit 1999 ständig unterwegs. Sie weiß, wie man am besten nach x oder y fährt und in welcher Siedlung auf welchen Einzelkämpfer Verlass ist. Wissbegierig sieht sie sich Häuser, Orte und Sammlungen an, die sie noch nicht kennt. Gerade die kleinen, allein stehenden Museen, abseits der Geldtöpfe und der landeshauptstädtischen Feuilletons sind ihr Revier. Sie sollen behütet werden, ihnen beizustehen ist Maren Ulbrich keine Reise zu weit, keine Abendstunde zu schade. Gemeinsam mit den Museumsleuten durchdenkt sie neue Konzepte, sucht mit ihnen nach Helfern, Wohltätern oder Bundesgenossen für gute Ideen. Anfängliche Vorbehalte gegen die zunächst unbekannte Abgesandte aus der Landeshauptstadt verflüchtigen sich: Marens Charme und ihrem echten Interesse erliegen selbst steinharte Märker. Denn jeder, der mit ihr zu tun hat, spürt: Sie ist mehr als eine Dienstleistende. Noch in den Nächten beim Wein erwähnt sie gelegentlich Begegnungen und Erlebnisse aus ihrem Tagwerk, die ihr unter die Haut gehen. So geben ihr preußische Frauen, mit denen sie sich von Berufs wegen während des Preußenjahres 2001 beschäftigt, sogar Halt in einer Lebenskrise. Hatten nicht Vorgängerinnen ganz andere Anfechtungen mit Haltung und Diskretion durchgestanden? Für Maren, die willensstarke Fragile, ist ihr Tun Teil ihres ganzen Seins. Sie liebt Kunst und es ist ein Erlebnis, gemeinsam mit Maren ein Bild anzuschauen. Ganz sicher sieht sie etwas, was man selbst übersah, findet geheime Verbindungen zu anderen Motiven. Was sie andeutet oder vehement verficht, hat Anmut und einen besonderen Humor, vor allem: Tiefe. Gekünsteltes und unechte Töne sind ihr fremd – in der Kunst und an Menschen. Distanzbedürfnisse und Eigenheiten vieler Couleur versteht sie hingegen gut. Gelebte Toleranz. Spricht sie von ihren Leseerlebnissen, wünscht sie sich gleich, dass auch Freunde die Bücher lesen, von Kertész oder Coetzee... Sobald man selbst einen Text liebt, möchte man Maren treffen, um mit ihr die Entdeckung zu teilen. Ein besonderer Morgen am See oder eine absurde Begebenheit müssen unbedingt für Maren im Gedächtnis bleiben – sie versteht, sie wird sich freuen, mit ihr kann man teilen, auch Dinge oder Situationen, die man vor anderen verbergen würde. Sie hat gern Gäste, ist gern allein und am allerliebsten ist ihr ein langes Gespräch mit einem Vertrauten. Ist sie auch selbst alles andere als eine sächsische Frohnatur: Wenn sie tanzt, verfliegt jede Anstrengung, Übermut und Verschwendung haben ihre Stunden. Anstifterin, Spaziergängerin, Kunstliebhaberin, Familienmensch, Freundin, Ideengeberin. Eine Traditionalistin, die das Weihnachtsfest ebenso heiß liebt wie das Unebene, Schräge und Überraschende. In Maren verschmilzt das scheinbar Paradoxe zu einer lauteren Person. Kulturstadt Potsdam? Menschen wie Maren Ulbrich geben dieser Anmaßung einen Sinn. Maren wurde 39 Jahre alt. Sie wird, das war ihr Wunsch, in Bornstedt beerdigt werden – wo sie so gern spazieren ging.Bärbel Dalichow

Bärbel Dalichow

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