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Kultur: Eine „Patronentasche“ als Wohnhaus

Vortragsabend im Schlosstheater im Neuen Palais bekräftigte Notwendigkeit einer öffentlichen Nutzung des Brockeschen Hauses

Das Brockesche Haus am Stadtkanal 30 soll neuer Standort des Potsdam-Museums werden. Nach dem zustimmenden Votum der Stadtverordneten erwartet der Museums-Förderverein für Februar den Abschluss eines Pachtvertrages mit dem Eigentümer Lorenz Bruckner. Am Mittwoch legte er auf einem Vortragsabend im Schlosstheater des Neuen Palais eine kräftige Schippe nach, um eine öffentliche Nutzung des friderizianischen Bürgerpalais gegenüber „schnöden Eigentumswohnungen“ zu begründen und zu favorisieren. Rund 200 Interessenten konnte der Vorsitzende des Vereins, Markus Wicke, begrüßen.

Der Bauforscher Thomas Sander, Vorsitzender des Architektenvereins „ArchitraV“, meinte, nach öffentlicher Nutzung verlange bereits die durch Carl von Gontard gestaltete Fassade. Mit dem viersäuligen Giebelportikus als Mittelrisalt, Seitenrisaliten, arkadenartig eingetieften Rundbogenfenstern, reichem Stuckdekor, Vasen und Puttengruppen auf der Attika entfaltet sie eine Pracht, wie sie Friedrich II. sonst nur Adligen und hohen Geistlichen für ihre Bauten zugestand.

Viel ist davon nach der Vernachlässigung in der DDR-Zeit nicht mehr zu sehen; eine Wiederherstellung der Fassade kann jedoch hoffnungsvoll angegangen werden. Wie Saskia Hüneke, in der Schlösserstiftung Kustodin für Skulpturen, mitteilte, wurden sowohl die Sandsteinteile der Attika wie auch wesentliche Teile des baukünstlerischen Schmucks geborgen und von einer Stahnsdorfer Steinmetzfirma eingelagert. Dazu zählen alle vier früher auf dem Giebeldreieck stehenden Putten, die auf den Beruf des Hausbesitzers hinweisen. So beugt sich ein Putto über einen dicken Wälzer, den Hüneke als das von dem Potsdamer Alchemisten und Erfinder des Rubinglases Johann Kunckel herausgegebene Handbuch der Glasmacherkunst identifiziert hat. Die Skulpturen werden den Bildhauerbrüdern J. Chr. und M. Chr. Wohler zugeschrieben, könnten so die Kustodin auch Spätwerke ihres Vaters Johann Christoph Wohler d. Ä. sein, dessen Todesjahr nicht genau bekannt ist.

Nicht allein die architektonische Qualität prädestiniert das Gebäude für die öffentliche Nutzung als Museum, legte Thomas Sander dar. Es ist auch selbst ein Zeugnis der Stadtgeschichte. Der erste bekannte Besitzer des Grundstücks, der bei den Langen Kerls dienende Oberleutnant von Kleist, hatte hier 1722 eine Soldatenunterkunft bauen lassen, die wegen ihrer geringen Gebäudetiefe im Volksmund „Patronentasche“ genannt wurde. Diese Schmalbrüstigkeit und damit der Spitzname wurden auch für das spätere Brockesche Haus beibehalten. Nach der Zeit des Glasschleifers diente das Haus ab 1817 der Oberrechnungskammer, die sich nach und nach auf Nebengebäude bis zur Sieffertstraße ausdehnte. Diese Häuser wurden zu DDR-Zeiten abgerissen. Das Nachbargebäude zur Plantage, als Kirche für die aus Russland stammenden Langen Kerls orthodoxen Glaubens genutzt, dann unter Friedrich II. als Komödienhaus, war bereits dem Krieg zum Opfer gefallen.

Die dritte Säule, die das Palais als Museumsstandort favorisiert, ist die Geschichte der Familie Brockes und ihrer beruflichen Tätigkeit. War Johann Christoph Brockes (1737-1804) bisher nur durch die Gebäudebenennung bekannt, ist Käthe Klappenbach nun seinen Spuren nachgegangen. Die Kustodin für historische Beleuchtungskörper in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten hat ermittelt, dass Brockes schon als 22-Jähriger den Meisterbrief erwarb, 1760 Antrag auf ein Privileg für den Handel mit Glas stellte und Jahrzehnte lang für den königlichen Hof tätig war. Er lieferte Behang, aber auch komplette Lüster, schliff Rohlinge aus der königlichen Glashütte in Zechlin und setzte in Paris gekaufte Kronleuchter mit Behang aus Bergkristall zusammen. Die von Käthe Klappenbach aufgefundenen Rechnungen nennen horrende Summen. 1767/68 werden Brockes aus der königlichen Schatulle 3360 Reichstaler überwiesen, 1774 für die Ausstattung der Neuen Kammern 2000. Zum Vergleich: Eine Magd bei Hofe erhielt damals jährlich 60 Taler, Friedrichs Leibkoch 500. Der Glashändler und -schleifer wird so reich, dass er 1773 zusätzlich das Erbzinsgut und die Glasmanufaktur in Annenwalde (Uckermark) erwerben kann. Kaum ist Friedrich II. 1786 gestorben, beschweren sich Brockes Kollegen nur elf Tage später über dessen Privilegierung. Sein Bruder, der Amtschirurg Rudolph Brockes, bemüht sich beim nunmehrigen König Friedrich Wilhelm II. um ein neues Privileg für den Glasschleifer. Das scheint er auch bekommen zu haben, denn aus dem Jahr 1791 hat sich eine Rechnung erhalten.

Käthe Klappenbach ist es inzwischen gelungen, mit Nachfahren des Amtschirurgen, der mit seiner Familie wohl ebenfalls im Palais seines kinderlosen Bruders wohnte, in Kontakt zu treten. Daraus ergaben sich neue Erkenntnisse; unter anderen stellte die Familie ein als Schattenriss angefertigtes Porträt Brockes zur Verfügung, so dass erstmals auch sein Aussehen annähernd bekannt ist. Wenn die Quellen und die Form von Lüsterbehängen auch keinen Zweifel daran lassen, dass Johann Christoph Brockes von Sanssouci über die Neuen Kammern und das Neue Palais bis zum Schloss Charlottenburg an der Beleuchtung fast aller friderizianischen Schlösser mitgewirkt hat – ein Nachweis dafür ist kaum zu erbringen. Da er kein Künstler, sondern ein Handwerker war, sind seine Arbeiten nicht signiert.

Erhart Hohenstein

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