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Kultur: Eine „Matte“ wie mit 17

Schauspieler Christian Klischat ist nicht nur in „About A Band“ Bassist

Seine einst üppige Haarpracht ist inzwischen etwas ausgedünnt und mit feinen Silberfäden durchzogen. Heute Abend allerdings steht Christian Klischat mit dicken blonden Dreads auf der Bühne der Reithalle A und fühlt sich zurück katapultiert in die eigene Jugend – in der er als echter Hardrock Heavy Metal-Freak auch eine schulterlange „Matte“ trug. „Schön, wieder Haare zu haben“, sagt der heute 37-jährige und lässt sein unverstelltes Lachen herzhaft ertönen. Für ihn ist es überhaupt kein Problem, sich für das Stück „About A Band“ in den 17-jährigen Paul hinein zu versetzen. Seine eigene, aufwühlende Jugend ist ihm noch sehr präsent. „Man verändert sich zwar stetig, bleibt aber doch der, der man ist, nur mit unterschiedlicher Perspektive auf die jeweilige Lebensphase.“

Das von Nick Wood speziell fürs Potsdamer Kinder- und Jugendtheater des HOT geschriebene Schauspiel erzählt die Geschichte von sechs Jugendlichen, deren einziger Weg der Rock“n“ Roll ist. Sie gründen eine Band und träumen von der großen Karriere. Paul ist Bassist: „Eine naive Frohnatur. Neben der Musik hat er aber noch zwei weitere Passionen: das Segeln und Kim, die Schlagzeugerin.“

Christian Klischat malträtiert selbst seit seiner Schulzeit die Bassgitarre und erinnert sich sehr gut, wie es war, das erste Mal ein richtiges Instrument in der Hand zu haben, sich den ersten Verstärker zu kaufen. Auch für diese jetzt sehr rockigen, fetzigen Titel, die Nick Wood für das Stück schrieb, greift er gern in die Saiten. „Schön wäre es, wenn diese Songs ein bisschen kultig werden würden.“

Christian Klischat hat sich das Gitarrespiel selbst beigebracht. Zuvor blies er Trompete, obwohl er lieber das Geigenspiel erlernt hätte. Doch das war dem Vater zu elitär. Christians Lebenskarussell drehte sich in jungen Jahren ziemlich schwindelerregend: Schon durch das ständige Umziehen musste er immer wieder neu durchstarten. Geboren wurde er am Donnersberg in der Pfalz und wenn der Vater die Pfarrstelle wechselte, zog die Familie mit den fünf Kindern natürlich mit. Als Christian 13 war, starb der Vater. Und wieder wurde umgezogen: von einer Seite der Loreley zur anderen.

„Ich habe meine Kindheit überlebt, aber streckenweise war sie sehr schlimm.“ In der Schule legte er sich häufig mit den Lehrern an: „Ich habe sehr gerne provoziert und vieles in Frage gestellt. Und wenn man oft aneckt, ist man eben Mode.“ So auch, als eine Hakenkreuz-Schmiererei im Schulhaus auftauchte. „Das war dann natürlich ich: der in dem Heavy Metal-Look. Rein in die Schublade und zu. Obwohl das überhaupt nicht mein Ding war.“ Ansonsten war er aber für Streiche durchaus immer zu haben. Den Realschulabschluss schaffte er nicht, obwohl wenigstens der Klassenlehrer zu ihm hielt und ihn oft in seiner Persönlichkeit bestärkte. „Aber das ist mir erst im Nachhinein richtig klar geworden.“ Christian Klischat wurde Stahlbetonbauer, „das klang so schön männlich.“ Aber es war für ihn die Hölle. Er zog zwar die Lehre durch, aber zumeist im „Krankenbett“. „Da spürte ich das erste Mal mein Schauspieltalent.“ Was sein Leben eigentlich ausmachte, war die Musik. Drugs und Rock“n“Roll waren für ihn kein Klischee. Er spielte in verschiedenen Bands, feierte schöne Partys – ging eben gut ab. „Mit 21 gab“s für mich einen großen Schnitt: Ich ging für 14 Tage in ein buddhistisches Kloster nach Frankreich.“ Dort lebte er die große Stille.

Danach sortierte sich alles neu: Er machte den Realschulabschluss und holte im zweiten Bildungsweg das Abi nach. Er wurde Kollegiatensprecher und rutschte auch in die Theater-AG rein, „obwohl ich mir das erst nicht zutraute.“ Die Leiterin ermunterte ihn schließlich auch, sich fürs Schauspielstudium zu bewerben. Und er packte es im ersten Anlauf: an der Theaterwerkstatt Mainz. Für ihn ein großer Glücksfall. Er konnte sich ausleben, lernte, dass ein guter Schauspieler ein Einzelkämpfer mit Ensemblefähigkeit ist. Christian Klischat strahlt sein schönstes Grübchenlächeln, wenn er sich an diese drei Jahre erinnert.

Danach ging es dann nach Senftenberg – ein Ort, wo er glaubte, nachts viel heulen zu müssen. Dabei war er auch in St. Gallen und Gießen in der engeren Engagement-Auswahl. Das sagte er beim Vorsprechen auch dem damaligen Intendanten Heinz Klevenow. Der antwortete nur: „Bei uns bist du nicht in der engeren Auswahl.“ Dann eine quälend lange Pause. Und schließlich der Nachsatz: „Wir wollen dir einen Vertrag anbieten.“ Darauf sagte Klischat spontan: „Arschloch“. „Allen fiel die Klappe runter.“ Den Vertrag bekam er trotzdem – beim „Arschloch“. „Ich spielte sehr schöne Rollen an diesem Theater, das sich einem sozialen Kulturauftrag verpflichtet fühlte: Nicht nur die großen philosophischen Fragen wurden auf der Bühne verhandelt, es durfte auch gelacht werden“: „Nathan der Weise“ – mit Klischat als Tempelherrn – neben „Pension Schöller“: „ein feinsinniges Konzept für diese bestrafte Gegend, wo nach der Wende so vieles wegbrach.“

Christian Klischat sorgte indes für neues Leben: Sein Sohn Noah erblickte in Senftenberg das Licht der Welt – zwischen der Abend- und Frühvorstellung. „Eben ein richtiges Theaterkind.“ Zwei Jahre blieb er in der Niederlausitz – dann bot ihm das Theater im Palais in Berlin einen Festvertrag an. „Doch ich befand mich durch die Trennung von meiner Freundin gerade in einer Lebenskrise und wollte nur Gast sein. Ich brauchte Zeit für mich.“ Er spielte kleinere Rollen in Fernsehkrimis, auch mal in einem Kinofilm, brachte ansonsten einen Fontane- und einen Berliner Liederabend heraus. Für die Oppenheimer Festspiele, wo er häufiger auftrat, spielte er u.a. den Johannes in „Die Apokalypse des Johannes“.

Mit dieser Inszenierung trat er auch in der Französischen Kirche in Potsdam auf. Und wurde vom persönlichen Referenten des Intendanten, Hans Nadolny, gesehen. Auf dessen Empfehlung sprach er beim Intendanten vor: „Und offensichtlich hatte Uwe Eric Laufenberg ein Gefühl für mein Gefühl“. Gerade fand sich ein neues Ensemble zusammen und ein neues Theater war im Entstehen. Gern ließ sich Klischat darauf ein, zumal er mit dem Engagement in Potsdam seinem Sohn in Berlin weiter nahe sein konnte. Er spielte zuerst den Eginhardt in Kleists „Hermannsschlacht“: eine kleinere Rolle. „Aber mir geht es wie Rolf Hoppe, der einmal sagte: ,Man kann auch mit wenig ganz viel zeigen“.“ Begeistert kniete er sich in den Grafen Pierre Besuchow rein, den er in „Krieg und Frieden“ gab. „Eine Figur, die mir sehr nahe ist wie auch der Mensch Tolstoi.“

In Fontanes „Frau Jenny Treibel“ genoss er es, an der Seite von Katharina Thalbach agieren zu können: „Als Teenie war ich in sie verliebt, und auf einmal stand ich auf der Bühne neben ihr. Das ist doch ein schönes Geschenk“, freut er sich in seiner gewinnenden Offenheit. Stücke wie „Himmelsleiter“ und „Herbertshof“ forderten ihn als sehr politisch denkenden Menschen heraus. „Es ist eine brutale Zeit, in der wir leben. Diese ungerechte Verteilung führt zu harten Reibungen.“ Er sieht die Probleme in den Dritten Welt-Ländern ebenso wie die Diskrepanz vor der eigenen Haustür: „Da gibt es ganz viele Arbeitslose und ganz viele, die zu viel arbeiten. Ich glaube da schon an einen inneren Zusammenhang.“ Für ihn ist es wichtig, wenn Kunstschaffende Brücken schlagen und anrühren können, um Defizite im realen Leben wett zu machen. Und bei aller Härte gilt es, die Hoffnung aufzuzeigen, wie in „Krieg und Frieden“, wenn Pierre sagt: „Bringt mich um, aber deswegen bringt ihr nicht das Leben um.“

Eine seiner größten Rollen war die Titelrolle in Tschechows „Onkel Wanja“. „Einmal im Jahr brauche ich eine große psychologische Rolle, einen ,Klops“, den man richtig kneten kann. Theater muss lebendig halten und Entwicklungen zulassen, gerade in einer Zeit, die so viel konserviert. Wenn man nicht neue Räume betritt, stirbt man.“ Damit meint er nicht nur sich selbst, sondern auch die Welt um ihn herum.

Jetzt geht er aber erst einmal in seinem Paul auf und lebt die Musik in „About A Band“. „Ich würde gern auch wieder in meiner Freizeit mehr Musik machen, sie tut mir einfach gut.“ Und damit steht er nicht allein. Mehr und mehr kristallisiert sich der Wunsch heraus, eine Theaterband zu gründen. Dafür könnte er sich vorstellen, auch noch ein anderes Instrument zu erlernen: Akkordeon, das die Franzosen und Russen so lieben – Kulturen, die ihm am nächsten stehen.

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