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Let Me Change

© Eunji Park/promo

Eine knallige Show bei den Potsdamer Tanztagen: Koreanische Tradition prallt auf Modenschau

Neun Tänzer aus Südkorea gastierten bei den Potsdamer Tanztagen mit ihrem Stück „Let me change your name“. Tradition prallte im Nikolaisaal auf eine grelle Modenschau.

Potsdam - Die Musik pfeift in den Ohren. Eine Endlosschleife, die sich einnistet wie nervender Tinnitus. Dieses hohe Fiepen liegt bedrohlich über dem kraftvollen, geradezu übersprühenden Tanz der sechs jungen Frauen und Männern, die anfangs in schwarzen, dann in knallbunten Kostümen auftreten. Ihre Gewänder erinnern an Mönchskutten, die ihrer Aufgabe längst entwachsen sind. Die aus Südkorea zu den Tanztagen angereiste Company von Eun-Me Ahn bringt am Freitagabend in ihrem Stück „Let me change your name“ das Aufeinanderprallen von Tradition und Moderne ausdrucksstark und bildreich auf die Bühne des Nikolaisaals. 

Sie zeigt die Jugend, die dem bunten Leben nachrennt – immer wieder ihre Rollen und Geschlechter tauschend. Die virtuos auftrumpfenden Tänzer ziehen die Kleider über den Kopf, werden gesichtslos – rennen weiter, robben sich durch das Meer der Sehnsucht und Verlockung. Wie betäubt. Dann legen sie ihre Kleider ab, diese bloßen austauschbaren Hüllen, drehen sie zusammen und lassen sie wie Peitschen auf den Boden knallen. Die Wut schwingt mit: auf sich, auf die Welt?

Gegen das Vergessen antanzen

Die großen Momente des Abends liegen im Innehalten. Eine ältere Tänzerin betritt die Bühne, die Haare kurzgeschoren: Ihr Tanz ist wie eine zarte Berührung, ein vorsichtiges Abtasten, ein Erinnern. Sie wird weggeschubst von den Jungen – stört offensichtlich die selbstverliebte Modenschau, den neuen Kodex der modernen Gesellschaft. Es ist Eun Me Ahn, die Choreografin selbst, die mit ihren rituellen Bewegungen gegen das Vergessen antanzt. Wie auf heißen Kohlen. Ihre Bewegungen schaute sie einst dem Tanz ihrer Großmutter ab – sagt sie später im Publikumsgespräch. Es ist eine globale Sprache, die jeder versteht. Wortlos. Verbindlich. Am Ende trägt diese Frau in Rot, der Farbe des Blutes, die mit dem Leben verknüpft ist, Weiß. Sie sammelt die abgelegten, zusammengestampften schwarzen Kleider ein, die auf der Bühne wie leere Hüllen verstreut liegen. Ein lebloser Rest. Wie auf einer Totenmesse. Weihevoll. Sie begräbt mit ihrem nackten bloßen Oberkörper unter ihrem weißen weiten Rock diese Überreste. Das hat Würde – und berührt zutiefst. Ein Schlussbild.

Aber nein, es geht weiter: das kindliche Spiel erweckt erneut zu Leben, der Frohsinn – bis zur Ekstase, bis zum Überdruss.  Die ältere Frau trägt nun Schwarz, huscht wie ein letzter flüchtiger Schatten durch die laute Welt. Bis endlich das von Young Gyu Jang komponierte Klanggespinst verstummt. Das Publikum feiert mit stehenden Ovationen dieses schillernde Wechselspiel zwischen der Rasanz des Lebenskarussells im Hier und Jetzt und der verdrängten Tradition. Der Abend hat durchaus auch seine Längen, aber er zeigt eindrücklich, dass der Ferne Osten gar nicht so fern ist. Und er unterstreicht ohrenbetäubend den Wert der Stille. 

Heidi Jäger

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