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Kultur: Eine Inselfee blutrot vor Glück Frederike Freis Roman

„Weg vom Festland“

Schon beim Packen des gelben eleganten Reisekoffers spürt man das Salz des Meeres auf der Zunge. Doch dieser Urlaub auf der Nordseeinsel, zu dem Frederike Frei in ihren Buch „Weg vom Festland“ aufbricht, begnügt sich nicht mit einem langweilig-braven Aalen im weißen Sand. Der gelbe Koffer ist nur Tarnung. Diese Wanderpoetin reist per Anhalter und macht schließlich am Ort ihrer Sehnsucht einen großen Bogen um faule Leiber in Sonnenöl getränkt, die pünktlich das Hotelbuffet mit Halbpension erstürmen. Ihr Urlaubsbett ist gedankenfrei unter blankgeputzten Sternen, „denn es muss schließlich immer eine geben, die den Himmel bewacht“.

Die Potsdamer Autorin, Jahrgang 1945, beschreibt in ihrem Romanerstling 27 Tage im Leben einer Sternenpflückerin, aus der sie selbst in temperamentvoller Heiterkeit augenzwinkernd herausschaut. Kantige Leichtigkeit, schnodderige Lästerei und konfuse Verstrickungen durchziehen dieses „Gedicht“ auf 431 Seiten. Witzig und aberwitzig geht es zu bei dieser Inseleroberung, auf der natürlich auch ein Mann gekapert sein will. Doch die Heldin stolpert zuallererst über die Fundstücke am Wegesrand und hält sich an ihnen fest, ohne recht voranzukommen. Wie ein kleines Mädchen beim Aufräumen ihres Zimmers, das sich immer wieder in alten Fotos oder Briefen verzettelt, tritt auch sie auf der Stelle. „Doch wer auf der Stelle tritt, gerät in die Tiefe“, notiert die Wörterfrau. Oft ist es aber auch nur ein sanftes Scharren, wenn sie vom Biobäcker über die angsteinflößende Krankheit Krebs bis zu toten Soldaten im Schnee ihre Gedankenfäden spinnt.

Einer treibt sie schließlich doch immer wieder voran: dieser ältere Musiker, Orgelspieler in Ruhestand, den sie schon auf der Fähre gesichtet hat. „Dieser Schrecken auf den ersten Blick“, der ihr nicht mehr aus dem Kopf will. Ebenso wie seine Ehefrau. Und dann steht sie vor ihm: „Im Bikini, einer ziemlich ausgeleierten Textilpelle über meinen roten Rügenwalder Teewurstkörper... Wenn Köpfe sich austauschen, wird der Leib nicht mehr wahrgenommen, der aus dem Bikini platzt. Ich halte jetzt seine Augen mit meinen Blicken fest, so dass sie nicht in die Tiefe meiner halbnackten Figur hinuntergeraten.“ Sie träumt von ihm in ihrer Beerenheidekuhle, hofft, dass er sich zu ihr ins Gestrüpp kniet, seine Hände ihre Arme scheu aus dem blauen Schlafsack schälen und den Schmetterling freilegen, den zerknitterten. Und natürlich wird sie am Ende seine Inselfee. Wieder zu Hause in ihrem Hamburger Leben legt sich die liebestrunkene Literatin statt ins Krautbett in seine Wörter – „blutrot vor Glück“. Ihr Briefkasten quillt über mit Briefen und Karten. Er sei im Umbruch zur Eigenständigkeit, schreibt er ihr. Das schaffe auch Schmerzen, aber dafür liebe er sie. Die Wanderliteratin ist aufgebrochen, um der Hamburger Hitze zu entfliehen, um baden zu gehen, um zu lesen. Und nun sitzt sie da, wieder auf dem Festland, mit dem gelben ausgepackten Koffer. Und denkt ans Meer und ihre Kuhle. Heidi Jäger

Frederike Frei, „Weg vom Festland“, Achter Verlag, 431 Seiten, 26,50 Euro

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