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Übergemeindlich. Der 1957 gegründete Oratorienchor Potsdam zählt heute 125 Mitglieder aus verschiedenen Gemeinden. Gemeinsam haben sie das Interesse für kirchliche Musik.

© Sebastian Gloede

Kultur: Eine feste Burg ist unser Chor

60 Jahre übergemeindliches Singen: Der Oratorienchor Potsdam feiert sein Jubiläum

Im September 1957 sitzt ein Dreizehnjähriger in der Aula des heutigen Helmholtz-Gymnasiums. Er singt mit großer Freude A-cappella-Kompositionen im Sopran. Um ihn herum Sänger und Sängerinnen, die schon seit mehreren Jahren im Madrigalkreis, dem Vorläufer der heutigen Singakademie Potsdam, zu Hause sind. Doch diese erste Probe nach den Sommerferien ist irgendwie anders als sonst, angespannter. Viele sind mit dem Repertoire, das der Nachfolger des hoch verehrten Karl Landgrebe, Fritz Höft, sich vorgenommen hat, nicht einverstanden. Höft will dem Chor mit aller Macht das von der SED favorisierte sozialistische Liedgut überhelfen.

Leise geht es in jenem Sommer durch die Reihen: An der Friedenskirche soll ein neuer Chor gegründet werden. Der Altenburger Kirchenmusiker Ekkehard Tietze wurde von Superintendent Konrad Stolte gewonnen, einen übergemeindlichen Chor ins Leben zu rufen. Die Wochenzeitung „Potsdamer Kirche“ meldet in ihrer Ausgabe am 15. September 1957, dass sich Ekkehard Tietze „den Freunden der Musica sacra in Potsdam mit der Aufführung des Requiems von Mozart am Ewigkeitssonntag in der Friedenskirche vorstellen wird. Er beginnt mit den Proben am Freitag, dem 13. September, 19 Uhr, im Friedenssaal, Schopenhauerstraße 23“.

Am Totensonntag 1957 war es dann so weit. Mozarts Requiem-Vertonung erklang in der Friedenskirche. Vier Wochen später führte Tietze bereits mit dem Oratorienchor sowie bekannten Solisten, unter anderem mit der Sopranistin Adele Stolte, und dem Kammerorchester der Thomasschule Leipzig das Bach’sche Weihnachtsoratorium auf. Es wird das in der Geschichte des Chores wohl am meisten gesungene Werk werden. Die Herausforderungen für die Chorsängerinnen und -sänger steigerten sich im Jahr darauf: Die Matthäus-Passion von Bach und anschließend „Ein deutsches Requiem“ von Johannes Brahms wurden einstudiert. Der Dreizehnjährige war stolz, bei derartigen Meisterwerken mitsingen zu können. Doch der Stimmbruch verhinderte zunächst Weitersingen.

Nun sind 60 Jahre Land gegangen, der damals Dreizehnjährige ist heute Autor dieser Zeilen. Der Oratorienchor gehört längst zu den prägenden Chören Potsdams und der Region. Er fühlt sich ausschließlich der sakralen Chorsinfonik verpflichtet, von der Barockzeit über die Romantik bis zu Werken des 20. Jahrhunderts. Die künstlerischen Leiter Ekkehard Tietze, Matthias Jacob, Joachim Walther und seit 2016 Johannes Lang haben sich wie auch Tobias Scheetz, der nach dem allzu frühen Tod von Walther interimistisch den Chor leitete, immer wieder den immensen Herausforderungen gestellt, die die Chorsinfonik des 20. Jahrhunderts bereithält.

Gertrud Abramowski trat 1957 mit 19 Jahren in den Oratorienchor ein. Sie erinnert sich gern an die Konzerte mit Musik des 20. Jahrhunderts unter Tietze und Jacob. Besonders das Gastspiel mit dem Oratorium „König David“ von Arthur Honegger in der Leipziger Thomaskirche gehört für sie sie zu den Höhepunkten des Potsdamer Klangkörpers. Tietze konnte das Gewandhausorchester Leipzig dafür gewinnen. Die Verpflichtung von Orchestern zu DDR-Zeiten war ein stets schwieriges Unterfangen. „Vor allem in den 1960er-Jahren, aber auch in den Siebzigern war es den Orchestern der Theater untersagt, Kirchenchöre bei oratorischen Aufführungen zu begleiten“, erinnert sich Gertrud Abramowski. „Die Musiker durften nur privat in den Kirchen auftreten, auch die Musiker des Hans Otto Theaters. Manchmal war dennoch das gesamte Orchester in der Friedenskirche mit von der Partie. Die einstige Intendanzsekretärin hatte einen guten Einblick in die Proben- und Aufführungspläne des Orchesters, auch einen guten Draht zu ihrem Chef, Gero Hammer. Sie konnte oft durchsetzen, dass die Musiker Partner des Oratorienchores blieben.“ Die abstrusen Behinderungen wurden in den 1980er-Jahren aufgehoben.

Heute hat der 125 Mitglieder zählende Chor mehrere orchestrale Partner aus dem Land, unter anderen die Kammerakademie Potsdam. Zum Jubiläumskonzert am kommenden Sonntag, in dem die Kammerakademie Potsdam mitwirkt, wählte Johannes Lang eine Komposition aus unserer Gegenwart, von Johann Friedrich Haas. Der Österreicher hat zu den unvollendeten Fragmenten des Requiems sieben Klangräume geschaffen. In die bewegten Klangflächen hinein deklamiert der Chor hin und wieder Auszüge aus einem Brief der Stadt Wien, der Mozart kurz vor seinem Tod als Anwärter auf das Domkapellmeisteramt an St. Stephan bestätigt.

Zum Abschluss des Konzerts geht der Blick mit Bachs Kantate „Ein feste Burg ist unser Gott“ in die protestantische Kirchenmusik. Klaus Feldmann, Vorsitzender des Chorvereins und Mitglied seit 20 Jahren, ist begeistert von der Werkauswahl, die zwischen bekannter und beliebter Oratorienliteratur und neueren, musikalisch herausfordernden Werken wechselt. „Wir sind gespannt, wie am Sonntag die Zörer auf das Programm reagieren. Der Chor jedenfalls ist darauf wunderbar eingestellt.“ Neue Mitglieder sind herzlich willkommen. Klaus Büstrin

Jubiläumskonzert am Sonntag, 22. Oktober, 18 Uhr, in der Friedenskirche Sanssouci

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