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Kultur: Ein Zipfel vom Glück

„Der pinke Schal“ feierte im Bürgerhaus am Schlaatz Premiere

Nackte Zahlen können nie menschliche Schicksale abbilden. In der letzten Zeit kamen pro Jahr zwischen 20 000 und 40 000 Menschen in die Bundesrepublik und baten um Aufnahme. Nur ein Bruchteil von ihnen erhielt tatsächlich Asyl – 2010 waren es 643 Menschen. Diese Fakten kann man nachlesen. Sie stehen im Programmheft des Theaterprojektes „Der pinke Schal“, das am Wochenende seine Premiere im Bürgerhaus am Schlaatz feierte.

Asylsuchende, Studenten der Fachhochschule Potsdam und Bürger der Stadt haben dieses Projekt gemeinsam entwickelt. Bevor es losging, musste man als Besucher eine – im Vergleich zum Asylverfahren – ungleich harmlosere Prozedur über sich ergehen lassen: Auf den Eintrittskarten war anzukreuzen, welches Geschlecht der jeweilige Besucher hat und was sein „Anreisegrund“ ist. Das taten Beamte in grauen Uniformen, mit grauen Haaren und ebensolchen Gesichtern. Erst dann konnte man tröpfchenweise den Saal des Bürgerhauses betreten.

Dort fielen einem zuerst drei große Aufsteller mit unzähligen schwarz-weißen Porträtfotos junger Frauen und Männer aus allen Erdteilen ins Auge. Sie bildeten den Hintergrund für die knapp einstündige Inszenierung der Berliner Regisseurin und Theaterpädagogin Tanja Otolski, die am Schicksal eines jungen afrikanischen Asylbewerbers zeigt, in welchem Verhältnis Bürokratie und Menschlichkeit hierzulande gelebt werden.

Die „Bürokratie“ verkörpern in Otolskis Inszenierung drei graue Beamte. Das Drehbuch von „Der pinke Schal“, in das Geflüchtete ihre eigenen Erlebnisse und Erfahrungen einbringen konnten, hat das junge multikulturelle Ensemble selbst erarbeitet. Diese drei grauen Beamten thronen das ganze Stück über auf verschieden hohen Stehleitern über dem Geschehen. Sie zitieren im Chor Gesetzestexte und nehmen Worte wie „Verlassenserlaubnis“ und „Residenzpflicht“ in den Mund. „Menschlichkeit“ in Person ist Maria, die, nachdem ein junger Afrikaner den Diebstahl ihres Portemonnaies verhindert hat, fast auf den ersten Blick in ihn verliebt ist. Zum Dank für seinen Mut schenkt sie ihm ihren pinken Schal, den er von nun an – wie einen kleinen Zipfel vom Glück – um seinen Hals tragen wird.

Doch was so schön anfängt, ist nicht von langer Dauer. Im Zeitraffer und mit vielen grotesken Überzeichnungen – wie in den Szenen „Papierkrieg“ und „Bombenentschärfung“ – kommt es zur Katastrophe: Der junge Asylbewerber, der seine schwangere Freundin Maria in Memmingen besuchen will, wird festgesetzt, weil er keine Papiere dabei hat, um sich auszuweisen. Bei dem Handgemenge, das entsteht, löst sich ein Schuss und ein Polizist stirbt dabei.

Die Inszenierung, die mit Tempo und Witz viele kleine Momentaufnahmen aus dem Alltag eines Asylbewerbers nachbildet, schafft es, Themen wie Ausländerfeindlichkeit, Residenzpflicht und Behördendschungel – oftmals durch das Mittel der Übertreibung – plastisch und auch komisch darzustellen. Nur: Jeder halbwegs im Umgang mit Ämtern Erfahrene weiß, dass das „wirkliche“ Leben viel unspektakulärer, die täglichen Schikanen wesentlich subtiler und dadurch auch schwer(er) darzustellen und nahezubringen sind.

So gelingt es hauptsächlich, „plakativ“ zu zeigen, was „Bürokratie“ bedeutet. Und es tut gut, dass es Spielmomente wie die Großzügigkeit der Berliner Beamtin am Ende des „Genehmigungsverfahrens des Antrags auf Verlassenserlaubnis“ oder einen anfangs großzügigen Fahrkartenkontrolleur gibt, denn ansonsten hätte die atmosphärisch dichte Inszenierung, die mit wenigen Requisiten auskommt, selbst jede Menge Klischees bedient.

Vielleicht hätte es mehr solcher differenzierter Momente gebraucht, um den Schluss – eine graue Dame (Volkes Stimme?) und sich rechtfertigende Beamte, die wie in einer Traumsequenz zu Worte kamen – überflüssig zu machen. Der Begeisterung des überwiegend jugendlichen Publikums, das am Samstagabend im Saal saß, tat das jedoch keinen Abbruch. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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