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Kultur: Ein vielstimmiges Echo

Mit der Aufforderung „Wir suchen Ihre Geschichten!“ ging vor einem halben Jahr das Projekt „Zeitstimmen“ im Land Brandenburg an den Start.

Mit der Aufforderung „Wir suchen Ihre Geschichten!“ ging vor einem halben Jahr das Projekt „Zeitstimmen“ im Land Brandenburg an den Start. Der literarische Mentor des vom Brandenburgischen Literaturbüro und dem Tucholsky-Literaturmuseum Rheinsberg initiierten Vorhabens, der Schriftsteller Günter de Bruyn, formuliert die Projektidee: Diejenigen, die Geschichte machten und erlitten, sollen hier zu Wort kommen. Somit könnte ein von den Brandenburgern selbst geschriebenes „Geschichtsbuch“ entstehen.

Seitdem sind mehr als 70 Tagebücher, Brief- und Fotosammlungen bei den Initiatoren eingegangen, von denen einige auf der gestrigen Pressekonferenz, die im Beisein der Schirmherrin, Kulturministerin Johanna Wanka stattfand, präsentiert wurden. Nicht einmal so groß wie ein Taschenkalender ist das Tagebuch einer Frau aus dem Jahre 1948, in das sie mit winziger Sütterlinschrift die täglichen Ereignisse notierte. Der Schriftsetzer Ernst Grencku hatte sich in seinem DIN 4 großen Heft hingegen eine eigene Geheimschrift zugelegt. Mit kyrillischen Buchstaben schrieb er auf Deutsch, was er von 1939 bis 1947 in Seddin erlebte. Systemkritik inklusive. Nicht selbstverständlich in den damaligen Zeiten. Seine „Hellsichtigkeit“ sowohl in Bezug auf den Nationalsozialismus als auch den darauffolgenden staatlichen Antifaschismus beeindruckt noch heute.

Hanneliese Henow aus Senzig hat dagegen akribisch sämtliche Fliegermeldungen eines Tages aufgezeichnet und auch sie trägt wie der unbekannte eingeschlossene Soldat in Klessin, der auf zwei Seiten notierte, was ihm widerfuhr, dazu bei, dass mit diesen „Alltagsgeschichten“ wichtige Facetten zur Geschichtsschreibung beigetragen werden. Aber nicht nur Zeitzeugen aus den Kriegstagen sollen gehört werden – bis jetzt bilden sie gemeinsam mit Notizen aus dem Wendejahr 1989 den Hauptteil der Überlieferungen. Gefragt sind alltägliche Aufzeichnungen auch aus anderen Zeiten, aber immer aus dem Raum Brandenburg. Das früheste Zeugnis der „Zeitstimmen“ stammt aus den Napoleonischen Kriegen 1813; eine Frau berichtet ihren Kindern vom Kriegsgetümmel in der Nähe von Jüterbog.

Im Herbst 2011 soll eine bebilderte Auswahl an Tagebuchaufzeichnungen in Buchform erscheinen. Peter Walther vom Literaturbüro wünscht sich, dass sich bis dahin die Anzahl der eingereichten Dokumente verdoppelt. Die vorher autorisierten Beiträge werden auch im Internetportal zugänglich sein. Und der historisch Interessierte kann dann sowohl chronologisch und topografisch als auch nach Themen und Verfassern recherchieren. Einen ersten Vorgeschmack gab es bei der Pressekonferenz mit elf Zeitzeugenberichten, die den 25. April 1945 aus ihrer Sicht beschrieben.

Johanna Wanka sagte, dass mit den Tagebuchaufzeichnungen und Briefen auch Jugendliche motiviert werden könnten, sich insbesondere mit DDR-Geschichte zu befassen. Ein dem Projekt bereits überlassener Briefwechsel eines jungen Pärchens aus den 50er Jahren ist dabei nicht nur ein sehr persönliches Beziehungszeugnis, sondern weicht auch festgefügte Ansichten immer wieder auf: Beide sind von der DDR überzeugte Neulehrer, gehen aber trotzdem nach Westberlin ins Kino. Astrid Priebs-Tröger

Weitere Informationen zum Projekt im Internet unter www. zeitstimmen.de oder per Tel.: (0331) 237 00 258 beim Brandenburgischen Literaturbüro

Astrid Priebs-Tröger

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