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Auf der Kippe. Der Neonazi-Aussteiger Kevin Müller und die Afrodeutsche Manuela Ritz, die in ihrer sächsische Heimatstadt Mügeln mit mit alltäglichem Rassismus konfrontiert war, kommen in dem Dokumentarstück am Hans Otto Theater zusammen.

© Manfred Thomas

Kultur: Ein starkes Stück

Das Dokumentarstück „Mit Tötungsdelikten ist zu rechnen“ feierte in der Reithalle Premiere

Schlagartig verstummen die Gespräche im Publikum, als Irmela Mensah-Schramm still und leise auf die Bühne kommt und ihre tägliche Arbeit vorführt. Wo immer sie es in der Öffentlichkeit erblickt, protokolliert und fotografiert die alte Frau rechtsextremes Gedankengut, bevor sie all diesen üblichen Hass-Parolen, Hakenkreuzen und Aufklebern mit scharfen Putzmitteln, mit einem Eisenschaber oder mit schwarzer Sprühfarbe entschlossen zuleibe rückt. Später erzählt sie, wie alles begann, erinnert sie sich an den Morgen, als sie an einer Bushaltestelle einen Aufkleber sah, auf dem ganz offen „Freiheit für Rudolf Heß“ gefordert wurde. Als der Aufkleber am Abend noch immer dort prangte und sich offenbar niemand davon gestört fühlte, entfernte sie ihn schließlich und legte sich kurz darauf ihre Utensilien zu, die sie bis heute ständig in einem Leinenbeutel mit sich führt. Dreißig Jahre sei dies nun her, so Mensah-Schramm, inzwischen sei sie in fast jedem Bundesland in ihrer einsamen Mission unterwegs gewesen. Und trotz der meist verständnislosen Blicke der Passanten und der steten Gewaltandrohungen der Rechten, denen sie längst ein Dorn im Auge ist, werde sie weitermachen, erklärt die Aktivistin und erhält einen langen Zwischenapplaus.

Es ist einer der vielen starken Momente in dem dokumentarischen, den rechtsextremen Alltag in Deutschland thematisierenden Bühnenstück „Mit Tötungsdelikten ist zu rechnen“, das am Samstagabend in der ausverkauften Reithalle Premiere feierte. Nach „Staatssicherheiten“ und „Vom Wiedersehen“ ist dies das dritte vom Förderkreis Hans Otto Theater angeregte Theaterprojekt, das Lea Rosh und Renate Kreibich-Fischer erarbeitet haben und das von dem Regisseur Clemens Bechtel inszeniert worden ist. In diesem Dokumentarstück, das die Ursachen, Entwicklungen und die Ideologie des Rechtsextremismus, aber auch die Rolle der Gesellschaft und nicht zuletzt die stümperhaften Ermittlungen behandelt, stehen die Berichte von sechs Menschen im Mittelpunkt, die anhand ihrer persönlichen Erfahrungen den Themenkomplex aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. Allesamt stehen sie als Laien auf der Bühne, betreten sie abwechselnd ein nach vorn gekipptes großes Podest oder die langen Rampen, die sich rund herumziehen. Da ist Manuela Ritz, eine afrodeutsche junge Frau, die den täglichen Rassismus eine Lebensrealität nennt und weiß, wie es ist, wenn man auf offener Straße angespuckt wird oder ein großes Hakenkreuz an seiner Wohnungstür vorfindet. Mit bemerkenswerter Bühnensicherheit erzählt die heute in Berlin lebende Sozialpädagogin von ihrer sächsischen Heimatstadt Mügeln, beschreibt sie im nüchternen Ton den rechtsradikalen Überfall im August 2007 auf acht Inder aus deren Perspektive. Die Einwohner Mügelns jedoch leugnen die fremdenfeindlichen Tendenzen in ihrer Stadt, was die drei Schauspieler Magda Deckert, Kolja Heiss und Michel Diercks dann kurz in Szene setzen. Immer wieder treten die drei in Erscheinung, mal als Teil der Meute, die im August 1992 Brandsätze auf das Ausländerwohnheim in Rostock-Lichtenhagen schleudert, oder auch als „die drei netten jungen Leute“, von denen Eva Högl albtraumartig verfolgt wird, wenn sie ihren Schreibtisch beim Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der NSU-Morde verlässt.

Eva Högl stellt laut in die Stille hinein ihre Fragen. Etwa nach dem Sinn öffentlicher Trauerfeiern, nach der Bedeutung für die Hinterbliebenen, die sich anhören müssen, ihre ermordeten Angehörigen seien in Rotlicht- und Drogenmilieus verstrickt gewesen und nach einer ergebnislosen, bisweilen schlicht haarsträubenden Polizeiarbeit. Im Verlauf der sich abwechselnden Monologe und zumeist in kurzen Etappen vorgetragenen Berichte, schwankt immer häufiger das Podest unter den Füßen der Akteure, scheinen die Sicherheiten trügerisch. So auch für den Ex-Neonazi Kevin Müller, der Jugendliche für die rechte Szene angeworben, auf Kameradschaftsabenden SA-Lieder gesungen oder auf Dörfern allseits beklatschte „Aufräumaktionen“ organisiert hatte. „Es war schon ein geiles Gefühl“, sagt Kevin Müller. Er beschreibt aber auch, wie schwierig der Ausstieg aus der rechten Szene sei, wenn man einerseits als Verräter ernsthaft bedroht und andererseits wegen seiner Vergangenheit, noch immer mit scheelen Blicken bedacht werde. Lothar Priewe, der Kevin beim Ausstieg geholfen hat, vervollständigt mit Erfahrungsberichten, die er als Integrationsbeauftragter in der Uckermark gesammelt hat, das Bild einer sehr gut organisierten rechten Szene, die ihren Nachwuchs häufig auch aus den gutbürgerlichen Schichten rekrutiert.

Und dann ist da schließlich noch Bernd Fischer, der seit Jahren die rechtsextreme Szene in Berlin analysiert. Wie bei seinem ersten Auftritt, so liest er auch am Ende dieses starken, szenenreichen, gut anderthalbstündigen Dokumentarstücks von einem großen Stapel Karteikarten eine beklemmend endlose Reihe rechtsextremistischer Übergriffe vor, die sich seit über zwanzig Jahren regelmäßig in Deutschland ereignen. Eine eindringliche Demonstration, die zeigt, dass Rechtsextreme leichtes Spiel haben, solange die Mitte der Gesellschaft ein entsprechendes Gegenargument nicht als ihre Aufgabe betrachtet.

Weitere Vorstellungen: 1. und 5. März, je 19.30 Uhr (www.hansottotheater.de)

Daniel Flügel

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