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Kultur: „Ein rein vormodernes Potsdam wäre fatal“

Auch Stadthistoriker Paul Sigel freut sich über das Barberini – mahnt aber an, Potsdams Widersprüche nicht wegzubügeln

Herr Sigel, Der „Guardian“ listet das Museum Barberini an erster Stelle der Museumsneubauten des Jahres 2016 – vor Städten wie Kapstadt, Athen, Paris. Ist das die Liga, in der Potsdam jetzt spielt?

In dem Zusammentreffen der städtebaulichen Entscheidung, hier den Palazzo Barberini wieder zu errichten, und der Nutzung als Museum steckt auf jeden Fall eine Energie, die die Berichterstattung und das Nachdenken über Potsdam auf ein neues Niveau heben wird. Ich denke aber, wir müssen unterscheiden zwischen dem städtebaulich-architektonischen Diskurs und dem Aspekt der Nutzung. Die Sammlung von Hasso Plattner, die dort präsentiert wird, ist ganz sicher eine exquisite Privatsammlung. Diese nun für Potsdam öffentlich zu machen und dauerhaft zu präsentieren ist ein herausragendes Ereignis für die Stadt und hebt Potsdam bezüglich der Präsentation der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts sofort in eine Premium-Liga.

Und das Gebäude des Barberini?

Die Frage nach dem architektonischen Gewand betrifft eine grundsätzliche Entscheidung zur Gestaltung der Mitte von Potsdam. Sie beruht auf einem Diskurs, den es seit der Wende – und auch davor schon – gab, und der darauf abhob, eine städtebauliche Entwicklung unter Bezug auf die vormoderne Struktur anzustreben, die auch Rekonstruktionen mit einschließen kann. Wie das im Einzelfall gestaltet wird, ist ja bis heute umstritten, vor allem dann, wenn Rekonstruktionsprojekte mit dem Bestand kollidieren. Im Falle des Palazzos Barberini als Teil der städtebaulichen Wiederherstellung der Platzkanten des Alten Markts und im Blick auf die Anlage der Uferpromenade entlang der Alten Fahrt spricht viel für die Rekonstruktion.

Was sagt der in vielen Städten anzutreffende Rekurs auf vormoderne Architektur eigentlich über eine Gesellschaft aus?

Es ist wichtig, in diesen Diskussionen von Fall zu Fall, standortbezogen zu bewerten. Wir sollten nicht den Fehler machen, zu pauschalisieren. Die Diskussion in Potsdam ist eine andere als in Dresden, Berlin oder Frankfurt am Main. In Potsdam ist der Beschluss, den Landtag wieder in das Zentrum zu holen, eine ganz symbolische Frage, unabhängig von der Gestaltungsfrage. Dass diese Frage mit dem Neubau in weitgehender Anlehnung an die Gestalt des Stadtschlosses und durch Integration einiger erhaltener Spolien des Schlosses beantwortet wurde, war eine zweite Entscheidung.

Außerdem wurde der Landtag mit einem künstlerischen Kommentar versehen.

Das ist der dritte Aspekt: Dass der Neubau in Gestalt der Schlosses als Neubau identifiziert werden kann, wird nicht zuletzt durch den sehr wichtigen an der Westfassade angebrachten Schriftzug „Ceci n'est pas un château“ ermöglicht, der unter Bezug auf René Magritte den Unterschied zwischen Bild und Objekt deutlich macht. Das sagt etwas aus über die Geschichte dieses Standortes und ist sehr gut gelungen. Wenn andere Rekonstruktions-Versuche ganz klar darauf abzielen, Brüche, Verwerfungen der Geschichte ungeschehen zu machen oder zu verwischen, dann kann das sehr problematisch sein. Rekonstruktionen sind weder tabu noch Selbstläufer, sie müssen fachlich begründet und gesellschaftlich ausgehandelt werden.

Sie loben wie viele Fachleute die große handwerkliche Qualität des Museum Barberini. Was macht diese Qualität aus?

Bei Rekonstruktionen fragt man sich ja immer zunächst, ob wir es mit einem Foliencharakter von Architektur zu tun haben, der sofort nur als Oberfläche erkennbar ist – oder mit einem Bau, bei dem auch das kleinste Detail eine Rolle spielt. Aber genau dieser detailgenaue Blick ist sehr wichtig. Und beim Palazzo Barberini ist, begleitet von der Denkmalpflege, bei allem, bis in die Hohlkehlen der Säulen hinein, auf große Qualität geachtet worden. Bis hin zur Gestaltung der Fenster und zu zahlreichen Schmuckdetails. Je näher man dem Gebäude kommt, desto plastischer wird der Eindruck. Man möchte das Material anfassen. Hier wird deutlich, dass mit einem hohen Anspruch gearbeitet wurde. Das macht die Rekonstruktion für sich schon einmal sehr wertvoll.

Auch das Gegenüber von historischer Fassade und schlichtem Inneren beim Barberini wird sehr gepriesen.

Das ist ein weiterer Aspekt. Bei dem Palazzo Barberini handelt es sich um eine typische Embellissement-Architektur des friderizianischen Zeitalters. Das ist ein ganz wichtiger, Potsdam-spezifischer Punkt: In der Architekturgeschichte Potsdams spielen Strategien des Embellisements unter Einbezug von Paraphrasen oder des konstruktiven Arbeitens mit Vorbildern von anderen Standorten eine wichtige Rolle, so auch im Beispiel des Palazzos Barberini, der sein Vorbild in einem römischen Adelspalast hat.

Kein Einzelfall in Potsdam, oder?

Tatsächlich gab es in Potsdam eine ganze Reihe weiterer Paraphrasen von Palazzo-Fassaden, gerade auch am Alten Markt. Das Importieren von Ideen auf Fassadenebene wurde dabei mit Nutzungen oder Inhalten hinter der Fassade verbunden, die dem Inhalt der Vorbilder, zum Beispiel dem Palazzo Barberini in Rom, völlig widersprechen. Dieses Auseinanderfallen von Fassadenimport und spezifischen Nutzungen ist in der Architekturgeschichte Potsdams fest verankert. Insofern ist der neue Palazzo Barberini, die Kopie einer Paraphrase, auf sehr komplexe Art für die Stadt relevant.

2006 haben Sie einen Architekturführer über Potsdam herausgeben, der in dem Diskurs mitmischt. Im Vorwort schreiben Sie, es gelte Potsdams „faszinierendes und widersprüchliches“ Gesicht zu bewerten und zu bewahren. Wie ist der Stadt das in Ihren Augen in den letzten 10 Jahren gelungen?

Diese Widersprüchlichkeit ist in jedem Fall ein ganz wesentliches Merkmal der Stadt. Wir dürfen in der Wahrnehmung Potsdams keinesfalls eine Verengung auf ein vormodernes Gesicht vornehmen. Das wäre fatal. Es ist der Stadt in den letzten 25 Jahren aber durchaus an zahlreichen Stellen gelungen, diese Komplexität und Vielschichtigkeit zu bewahren und für die Gegenwart und Zukunft zu entwickeln. Auch im Umfeld des Alten Marktes, obwohl wir dort natürlich eine sehr komplizierte Diskussionslage haben, nicht nur im Blick auf das Hotelhochhaus: Auf der einen Seite den Bereich östlich des Alten Marktes, das Wohngebiet Zentrum Süd aus den 1960er-Jahren, das in seiner Grundstruktur erhalten ist und auch erhalten bleiben wird.

Auf der anderen Seite grenzt der Staudenhof an.

Den Staufenhof besprechen wir im Architekturführer ausführlich. Meines Erachtens hatte er – vor allem durch die namensgebenden gärtnerischen Anlagen im Zentrum der vielgliedrigen Anlage – architektonisch und auch städtebaulich durchaus eine Qualität. „Hatte“, weil der Zustand durch die jahrelange Vernachlässigung natürlich stark gelitten hat. Darüber hinaus brachte der Staudenhof in seiner Nutzung als Fachhochschulstandort auch in der Nachwendezeit das Thema Bildung mitten ins Potsdamer Zentrum. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass der Abriss hochgradig umstritten ist.

Hat die Stadt durch den Abriss-Beschluss auch einen Teil ihres architektonischen Erbes verschenkt?

Der Beschluss, die Fachhochschule am Bornstedter Feld zu konzentrieren, geht ja auch schon auf die Nachwendezeit zurück und wird jetzt konsequent zu Ende geführt. Ich hätte mir gewünscht, dass über den Umbau der Landesbibliothek hinaus noch mehr Elemente der Nutzung als Bildungs- und Veranstaltungsstandort sowie Teile dieses Erbes der architektonischen Spätmoderne in Potsdam in eine zukünftige Entwicklung eingeflossen wären, die diese Zeit kenntlich macht. Das hätte nicht unbedingt bedeuten müssen, dass der Status quo erhalten bleibt.

Sondern?

Ich hätte mir vorstellen können, dass Architekten und Stadtplaner die Fantasie gehabt hätten, um hier eine Struktur herzustellen, die die Spätmoderne mit der Vormoderne und barocken Situation – sowohl am Alten Markt als auch im Blick auf die Wiedergewinnung der „Acht Ecken“ an der Friedrich-Ebert-Straße – kreativ und zeitgenössisch verknüpft, etwa durch Erhalt und Neuinterpretation der passagenartigen, begrünten Hofsituation des Staudenhofs. Auch künftig ist es in Potsdam wünschenswert, dass man genau schaut, wo es auch versteckte Elemente der Moderne gibt, die es wert sind, erhalten und gepflegt zu werden.

Im Innern des Barberini sind jetzt Impressionisten und DDR-Kunst zu sehen. Das reflektiert, was Sie für die Architektur fordern: den Dialog verschiedener Epochen.

Absolut. Produktiv mit unserem komplexen, spannungsvollen geschichtlichen Erbe umzugehen, es kritisch zu evaluieren und von Fall zu Fall zu entscheiden, steht uns wirklich gut an.

Das Gespräch führte Lena Schneider

Paul Sigel, geboren 1963, ist Kunst- und Stadthistoriker. 2006 erschien der zusammen mit Silke Dähmlow, Frank Seehausen und Lucas Elmenhorst erarbeitete „Architekturführer Potsdam“.

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