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Das Glück in der Gemeinschaft. Daniel Daréus (Raphael Rubino, l.) und Lena (Elzemarieke de Vos, 2.v.l.) warten mit den anderen Chormitgliedern auf den Bus nach Wien. Tore (Alexander Finkenwirth, 3.v.l.) sorgt derweil für Unterhaltung.

© HL Böhme

Kultur: Ein Geschenk

Stefan Otteni inszenierte „Wie im Himmel“ zum Auftakt der Spielsaison im Hans Otto Theater

Berühren, das will Daniel. Den Menschen in seinem Innersten. Mit einer Musik, wie sie vorher noch nie zu hören war. Hier, im Dorf seiner Kindheit. Daniel Daréus, ein international gefeierter Dirigent, ausgebucht für die kommenden acht Jahre. Von Stadt zu Stadt war er gereist, hatte mit den renommiertesten Orchestern gespielt und hymnische Kritiken bekommen. Doch Daniel Daréus blieb unzufrieden, weil ihm diese Musik immer nur leer und sinnlos erschien. Egal wie sehr er sich dafür auch verausgabte. Irgendwann war sein Herz zu erschöpft. Nach einem Konzert brach er zusammen. Er löste sich von all den Erwartungen, all den Verpflichtungen und kehrte in das Dorf zurück. Und hier, ausgerechnet mit einem Dorfchor, will er diese ungehörte Musik machen.

Es sei kein kleiner Traum, den er da träume, sagt Gabriella, eine der Sängerin aus dem Chor, zu ihm. Und auch wenn sie nicht ganz versteht, was Daniel Daréus damit meint, ist sie überglücklich, dabei zu sein, wie dieser Traum vielleicht hörbar wird.

In dem Film „Wie im Himmel“ erzählt der schwedische Regisseur Kay Pollack die Geschichte von Daniel Daréus’ scheinbar unmöglicher Suche. Allein in Deutschland haben über 1,3 Millionen Kinobesucher „Wie im Himmel“ gesehen, der 2005 in der Kategorie „Bester ausländischer Film“ für einen Oscar nominiert war. Am Freitag, zum Auftakt der neuen Spielzeit, kam „Wie im Himmel“ in der Regie von Stefan Otteni im Hans Otto Theater zur Premiere. Ein berührender und gleichzeitig humorvoller Abend. Eine Hommage an das Verständnis, die Liebe und die Zärtlichkeit. Vor allem aber eine Hommage an das Theater und die Kunst des Schauspiels.

Otteni hat mit feiner Hand inszeniert. Er hat einige der Figuren, die im Film oft nur Randerscheinungen bleiben, stärker ins Zentrum gerückt. Er hat bestimmte Szenen klarer, bestimmte Brüche und Verwerfungen deutlicher und somit das Spiel der Einzelnen im großen und so schwierigen Gefüge der Gemeinschaft viel verständlicher gemacht. Denn davon erzählt ja „Wie im Himmel“ vor allem: vom Glück der Gemeinschaft in den so seltenen Momenten der Harmonie. Daniel Daréus erkennt die so wichtige Wahrheit, die Essenz, erst am Ende, als er mit dem Chor nach Wien zu einem internationalen Wettbewerb gefahren ist und von seiner früheren Agentin gefragt wird, was ihn ausgerechnet mit diesen einfachen Menschen verbindet: Sie lieben ihn! Und er liebt sie!

Raphael Rubino spielt Daniel mit einnehmender Tapsigkeit. In diesem Kerl steckt immer noch das Kind. Und so viel Unsicherheit. Und so viel Wollen. Und so viel Traum. Ein zerrissener, aber so liebevoll und grundehrlicher Mensch, der dem Chor einfach nur die Kunst der Musik näherbringen möchte und so, ganz ungewollt, unterschwellige Konflikte, Alltags- und Lebenslügen aufbrechen lässt. Er öffnet Augen und lässt klarer sehen. Er und das Gemeinschaftserlebnis Chor bringen Gabriella(ganz stark: Zora Klostermann) endlich dazu, sich von ihrem gewalttätigen Ehemann Conny (Florian Schmidtke) zu trennen. Er lässt die brüchige Ehefassade des Pfarrers Stig und seiner Frau Inger zusammenbrechen. Und er lässt auch nach langem Zögern für sich das zwischenmenschliche Glück zu, wenn er erkennt, dass er Lena liebt.

Elzemarieke de Vos spielt diese Lena mit hinreißender Herzlichkeit, trotzig, lebensfroh und so verletzlich. Allein zu erleben, wie sich Lena von Daniel eine Art Privatgesangsstunde erbittet, dabei erst mit herrlichsten Popstarlächerlichkeitsgesten ihre Töne quäkt, dann aber mit seiner Hilfe ihre wahre Stimme findet und Schuberts „An die Musik“ singt, lohnt den Besuch dieser Inszenierung. Was für ein Moment voller Zärtlichkeit! Was für ein Moment der Harmonie!

Oder Alexander Finkenwirth zu erleben, der den geistig behinderten Tore spielt. Im Film ist dieser Tore, der bald im Chor eine der fehlenden Bassstimmen ersetzt, nur eine Randfigur, die auch nicht mehr Raum braucht. Im Hans Otto Theater ist dieser Tore fast ständig auf der Bühne. Und wie Finkenwirth diesen Tore spielt, ist einfach nur grandios zu nennen. So voller Zärtlichkeit und Respekt, dass da nie etwa Lächerliches zu spüren ist. Dieser Tore ist so wichtig für diese Gemeinschaft. Und wenn wir lachen, dann nicht über ihn, sondern mit ihm.

Regisseur Otteni ist mit „Wie im Himmel“ gelungen, das zeigt sich bei dieser knapp dreistündigen Inszenierung immer wieder, bei den Schauspielern eine besondere Saite anzuschlagen. Es scheint, als würden sich alle zurücknehmen in dem Wissen, dass sich nur in der Gemeinschaft des Ensembles die besondere Kraft, der besondere Zauber von Theater entfalten kann. So entstehen zwischen Pfarrer Stig (Wolfgang Vogler) und seiner Frau Inger (Melanie Straub) so tief erschütternde Momente, wenn sich die Erkenntnis verfestigt, dass Gemeinschaft und Harmonie nur eine jahrzehntelange Illusion, ja Lüge waren. Und wie Vogler diesen Pfarrer spielt, still und zärtlich und immer verunsicherter. Wie er da oben in seinem Wohnungskäfig an dem aufgeschnittenen Kirchenraum (Bühne: Anne Neuser) hockt und sich immer mehr isoliert, ist das von einer solch großen Traurigkeit, dass dieser Pfarrer, der ja als Gegenspieler von Daniel in der Kirche von der Gemeinschaft immer nur in Verbindung mit der Sünde predigen kann, am Ende wie der einsamste Mensch auf der Welt wirkt. Hätte er doch einfach nur zugehört.

Denn Harmonie findet sich vollendet in der Musik. Und die wird im Laufe des Abends immer stärker. Zu der alles und alle verbindenden Stimme, in der jeder seinen eigenen Ton hat. Nach und nach kommen zu den Schauspielern Mitglieder vom Chor International, Gospellight Babelsberg und Pro Musica aus Potsdam auf die Bühne. Und wie hier die gestandenen Ensemblemitglieder mit den schauspielbühnenunerfahrenen Sängern agieren, hat das auch immer etwas von der Suche nach Gemeinschaft und Harmonie. Weil Offenheit und Verständnis auf beiden Seiten vorhanden sind, sind diese so seltenen und so beglückenden Momente immer wieder zu erleben.

Am Ende, wenn Daniel endlich sein Glück gefunden hat, sein Herz aber endgültig zu erschöpft ist, erfüllt den ganzen Saal Gesang. Auch wenn das alles bei Weitem nicht so harmonisch und überwältigend wie im Film ist, weiß man spätestens in diesem Moment: Diese Inszenierung ist ein Geschenk!

Wieder am Mittwoch, 2. Oktober, 19.30 Uhr, im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse

Dirk Becker

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