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Kultur: Ein Buch zum Innehalten

Machtvolle Superlative: Der neue Band des Potsdamer Ullmann-Verlags „Angelus & Diabolus“

Die Engel von Sandro Botticelli tragen die Schwermut im Blick. Bei aller Schönheit scheinen die Gestalten in der Malerei des Italieners aus dem 15. Jahrhundert nicht nur luftig schwebende Wesen, sondern zugleich tief melancholisch zu sein. Die Schüler Botticellis verpassten den Engeln sogar Schatten um die Augen, als ob das Weltengeschehen selbst den Engeln die Freude nehme.

Wer in Kirchen die Fresken und Kuppeln betrachtet, wird selten die Engelsgestalten so eindringlich erleben können wie in dem Buch „Angelus & Diabolus. Engel, Teufel und Dämonen in der christlichen Kunst“. Zu weit weg, zu dunkel, zu viele Touristen um einen herum – all das mag den Blick trüben. Der Fotograf Achim Bednorz bereiste hingegen den europäischen Kontinent, Tausende Kilometer, auf der Suche nach dem perfekten Abbild dieser Wesen in der christlichen Kunst. Er fand seine Motive in europäischen Kirchen und Museen, vor allem natürlich in Florenz und Rom, aber auch etwa im französischen Chartres oder in Antwerpen, Berlin, Paris. Großformatige Fotos, manche ausgeklappt mehr als einen Meter breit, ziehen die Aufmerksamkeit auf die Details, die Schatten und Striche – und vor allem aber lassen sie eins: den Blick ruhen.

Einer oberflächlichen Betrachtung entzieht sich Buch geradezu. Die rund 800 Seiten können gar nicht schnell umgeblättert, die Bilder nicht im Vorübergehen gestreift werden. Vielmehr rückt das Anfassen der Blätter und das Schauen selbst in den Mittelpunkt: „Angelus & Diabolus“ ist ein Antagonismus im digitalen Zeitalter, ein Gegengewicht zu jeglichem Schwirren, Scrollen und Wischen. Stattdessen zieht es in einen Bann, bei dem Lesen und Betrachten zur Meditation werden. „Ich glaube“, sagt der Verleger Herbert Ullmann über die Motivation zu dem Werk, „dass man in unserer heutigen atemlosen Beschleunigungsgesellschaft das Bedürfnis nach Innehalten hat.“

Der Potsdamer Ullmann-Verlag hat den Prachtband bereits im Herbst herausgebracht. Aber vielleicht ist jetzt gerade, in der dunkelsten und zugleich lichtesten Zeit des Jahres der Moment gekommen, sich den Engeln und den Dämonen zu widmen. Es geht in „Angelus & Diabolus“ nicht darum, ob diese Gestalten nun existieren oder nicht, sondern was sie über die menschliche Psyche und Phantasie aussagen, zu Zeiten verschiedenster künstlerischer und weltanschaulicher Konzepte: Da gibt es Chefengel, arme Teufel, die Unschuld und die Fratzen des Bösen. Es ist der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, in den Gemälden und Skulpturen etwa von Michelangelo, Hieronymus Bosch, Auguste Rodin, Max Ernst oder Anselm Kiefer.

Als Gegengewicht wirkt „Angelus & Diabolus“ in vielerlei Hinsicht: Allein an Masse ist das Elf-Kilo-Buch das derzeitige Schwergewicht im deutschen Buchhandel. Und auch angesichts seiner Entstehung ist es regelrecht anachronistisch: Zehn Jahre haben das Team um Achim Bednorz und Herausgeber Rolf Toman an dem Werk gearbeitet, mit Kunsthistorikern wie Maria-Christina Boerner und dem Potsdamer Religionswissenschaftler Johann Ev. Hafner. Auch wenn die Beschäftigung mit der Geschichte der Engels- und Teufelsgestalten in der europäischen Bildenden Kunst von der Antike bis zur Gegenwart wahrlich nicht neu ist – in seiner Fülle ist das Werk einzigartig.

Ullmann sagt: „In unserer heutigen Zeit, wo das Gute und Böse nahe beieinanderliegen, kann ‚Angelus & Diabolus‘ Orientierung bieten“. Gänzlich unreligiös betrachtet der Verleger allerdings auch den Markt für das Mammutwerk: Schließlich gebe es eine Kundschaft, die an solchen zeitlosen Büchern interessiert und dafür bereit sei, 200 Euro und mehr auszugeben. Mit Erfolg erprobt hat das Ullmann, dessen Verlag auch Rezeptbücher zur Food-Life-Balance oder Punkt-für Punkt-Malbücher für Erwachsene zur Stressbekämpfung editiert, bereits vor einigen Jahren mit „Ars Sacra“, einem ähnlich angelegten wuchtigen Werk. „Angelus & Diabolus“ ist nun der zweite Teil einer Triologie, die mit „Ars Moriendi“ seinen Abschluss finden soll. Fast 50 000 Mal ist „Ars Sacra“ seit seinem Erscheinen weltweit verkauft worden, allein 30 000 Mal in Deutschland. Bei mehr als 40 000 verkauften Exemplaren rechne es sich, sagt der Kaufmann Ullmann. Ähnlich wie für „Ars Sacra“ betrug die Investition für „Angelus & Diabolus“, ohne den Druck des Buches, rund eine Million Euro. Noch bei dem ersten Teil der Trilogie sei er skeptisch bis zum Schluss geblieben, sagt der Verleger. Nun habe nur in der technischen Herstellung bis zuletzt Sorge bestanden.

Denn Bücher mit einem Rücken von zwölf Zentimetern lassen sich nicht maschinell verarbeiten. Die Bindung von „Angelus & Diabolus“ ist wie die von „Ars Sacra“ handgefertigt. Nachdem die letzte europäische Druckerei, die dies konnte, eine italienische, in Konkurs ging, lässt Ullmann nun in Shanghai produzieren, jede einzelne Seite wird mit Handschuhen überprüft. Keine einzige technische Reklamation habe es gegeben, sagt er. „Es gibt zurzeit in Europa kein vergleichbares Buch.“

Eine verlegerische Herausforderung ist das Buch zweifellos. Inhaltlich war es bereits 2015 fertiggestellt, „aber wir haben im vorigen Jahr nicht den Mut gehabt, es auf den Markt zu bringen“, so Ullmann. Ewig warten lässt sich aber auch mit einem Buch über Engel nicht. Den Buchhändlern meint er nun sogar ein Geschenk gemacht zu haben – wenn diese sich auf den Verkauf von schönen Büchern konzentrieren würden. Und wieder rechnet der Verleger den Gewinn vor: 20 Taschenbücher muss ein Händler verkaufen für die gleichen Einnahmen wie für ein „Angelus & Diabolos“.

„Die Menschen lechzen nach solchen Büchern“, weiß Ullmann nach den ersten Reaktionen der Buchhändler und Leser. Denn diesem Gefühl der Schnelligkeit, der schwirrenden Zerstreuung lässt sich etwas entgegensetzen: durch pure Gravitation in Buchform, zum Inne- und Festhalten. Insofern ist „Angelus & Diabolus“ des Potsdamer Ullmann Verlags eine Wegweisung – keine Bekehrung. Tröstlich ist die Beschreibung des Kampfes zwischen Gut und Böse allemal: Die Engel nehmen gut zwei Drittel des Buches ein, die Dämonen den kleineren Teil.

Grit Weirauch

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