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Kultur: Ein Beruf wie jeder andere?

Lesung und Vortrag über Sexarbeit im „Kuze“

Rote Lacklederstiefel hingen vergangene Woche im Theaterraum des Studentischen Kulturzentrums in der Hermann-Elflein-Straße von der Decke. Die auffallenden Accessoires sollten wie die eingesprochenen Ausschnitte von Dialogen und eher nüchternen Fakten über das „älteste Gewerbe der Welt“ auf eine Lesung und einen Vortrag über „Sexarbeit – eine Welt für sich“ einstimmen, die von „PrimaDonna“ und dem Autonomen Frauenzentrums veranstaltet wurden.

Die Schauspieler Ulrike Johannson und Thor Müller gaben in ihrer fast 90-minütigen Lesung mehr als einem halben Dutzend von Sexarbeitern eine Stimme. Authentisch, unaufgeregt und zumeist ohne Glamour erzählen Ayscha, John, Katrin oder Ronny von ihren alltäglichen Erlebnissen und Erfahrungen in einem Arbeitsbereich, der immer noch ganz unten in der sozialen Hierarchie angesiedelt ist, den aber schätzungsweise täglich eine Million, hauptsächlich Männer, bundesweit in Anspruch nehmen und der jährlich Umsätze in Höhe von fast 15 Milliarden Euro generiert.

Nicht nur der Mythos, dass in diesem Gewerbe schnell und vor allem leicht Geld zu verdienen sei, wurde in den vielfarbigen und oft berührenden Erfahrungsberichten zerstört, sondern auch die ganz unterschiedlichen Biografien und Motivationen der Sexarbeiter ließen so manches Vorurteil zerplatzen. Angefangen bei der selbstbewussten Türkin Ayscha, die zwar sexuelle Dienstleistungen aber niemals sich selbst verkauft, über den Sozialpädagogen Norbert, der bei Prostituierten seine „Schule des Lebens“ gefunden hat bis hin zu dem ehemaligen Zuhälter Ronny, der jetzt als Koch und Konditor bei der Hamburger Diakonie arbeitet.

Gemeinsam ist allen: Hier erzählen selbstbewusste und reflektierte Akteure, sie kommen ohne romantische Verklärung und auch ohne Larmoyanz aus. Gewalterfahrungen werden nicht ausgeklammert aber auch nicht in den Vordergrund gestellt. Der Leser respektive Zuhörer wird nicht zum Voyeur und vor allem das Unspektakuläre entfaltet seinen Reiz. Diese Innensichten, die auch einmal mehr die herrschende gesellschaftliche Doppelmoral entlarven, tragen weit mehr als aufgebauschte Medienberichte dazu bei, das sogenannte Rotlichtmilieu vor allem als Arbeitswelt mit bundesweit bis zu 400 000 Beschäftigten zu begreifen.

Elisabeth von Dücker gab in ihren Ausführungen im Anschluss an die Lesung zudem einen Überblick über die Hurenbewegung und stellte klar, dass Sexdienstleistungen nicht mit Frauenhandel gleichzusetzen seien. Mit ihrer 2005 im Hamburger Museum der Arbeit gezeigten Ausstellung „Sexarbeit. Prostitution – Alltagswelten und Mythen“ hatte Elisabeth von Dücker endlich „Sexarbeiter“ dazu gebracht, über ihren Alltag im Milieu zu reden. Aus den Gesprächen mit Prostituierten, Bordellbesitzern, Zuhältern und Freiern entstand das Buch „Sexarbeit – eine Welt für sich“, aus dem an diesem Abend gelesen wurde.

Das anschließende Gespräch barg zwar noch so manchen „Aha“-Moment, hätte aber in Anbetracht der Faktenfülle des Vorangegangenen durchaus kürzer ausfallen können.Astrid Priebs-Tröger

„Sexarbeit – eine Welt für sich. Erzählstücke aus erster Hand.“ (Hg.): Dücker, Leopold, Howe, Edition Freitag, Berlin 2008, 355 Seiten, 24.80 €

Astrid Priebs-Tröger

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