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Die Potsdamer Künstlerin Barbara Raetsch wird für ihr Lebenswerk geehrt. 

© Andreas Klaer

Ehrung für Barbara Raetsch: Die freigeistige Chronistin

Die Potsdamer Malerin Barbara Raetsch wurde für ihr Lebenswerk mit dem Ehrenpreis des Ministerpräsidenten geehrt. Ihre Bilder blicken kritisch auf das Potsdam der Gegenwart und die Risse in der Stadt. 

Potsdam - Sie war acht Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter und den beiden Geschwistern an der Elbe stand und auf das brennende Dresden schaute, auf den glutroten Himmel. Was machen solche Bilder mit einem Kind? Versinken diese Erinnerungen in einer dunklen Ecke oder greifen sie Raum? Bei Barbara Raetsch scheinen sie immer wieder mit Hand anzulegen. Wenn die Künstlerin malt, geht es oft um Versehrtheit. Da reibt sich das wundtiefe Rot am dramatischen Schwarz. Ihre in den Himmel ragenden Kranarme schlagen Funken.

Bilder im Hinterkopf

„Die Bilder meiner Kindheit haben sich wohl regelrecht in mein Unterbewusstsein reingefressen“, sagt die Malerin bei einem Gratulationsbesuch in ihrem Atelier. Gerade hat die 84-Jährige erfahren, dass sie mit dem Ehrenpreis des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wird: die Verneigung vor einer Künstlerin, die sich mit langem Atem den feinen Rissen und starken Brüchen ihrer Stadt verschrieben hat. Seit 1958 wohnt Barbara Raetsch in Potsdam: mit Blick auf den zugeschütteten Kanal, das Holländerviertel um die Ecke, die alte neue Mitte fast vor der Haustür. Hier findet sie ihre Themen, hier hält sie fest, was sich oft erst im langen Nachspüren herausschält. Sie ist eine freigeistige Chronistin, die das oft Übersehene sichtbar macht.

Barbara Raetsch hat mehrere Bilder des roten Bauzauns um die ehemalige FH gemalt. 
Barbara Raetsch hat mehrere Bilder des roten Bauzauns um die ehemalige FH gemalt. 

© Ottmar Winter PNN

Dieser Ehrenpreis, der ihr im August im Schloss Neuhardenberg überreicht werden soll, rührt sie an. Als Seiteneinsteigerin fiel es ihr nicht leicht, in der Kunst Fuß zu fassen. „Ich musste mir die Anerkennung mühsam erkämpfen.“ Es war wohl auch der starke Impuls ihres Mannes, der sie mitriss.

Am niedrigen Couchtisch mit Blick auf die kraftstrotzenden Bilder von Karl Raetsch, der 2004 gestorben ist, erinnert sich Barbara Raetsch, wie sie sich kennengelernt haben: beim Kunsthochschul-Fasching auf den Brühlschen Terrassen in Dresden. Mitten im Tumult wurde die gertenschlanke 20-Jährige, Lehrling zur Technischen Assistentin für Gartenbau in Pillnitz, von diesem stämmigen Typen angesprochen, diesem Kunststudenten im Abschlussjahr. 1958 heirateten sie, zogen nach Potsdam. Dort gab es Atelierwohnungen, extra für junge Künstler gebaut, um sie in die Stadt zu locken. „Der Kanal war damals noch offen, die Ratten liefen fröhlich umher. Wir mussten immer die Türen geschlossen halten“, erinnert sich Barbara Raetsch.

"Du kannst es!"

Als Neu-Potsdamerin machte sie Führungen im Schloss und Park Sanssouci, kannte bald jeden Busch, jeden Rokoko-Schnörkel. Und als ihr Mann 1960 ein Stipendium bekam, um am Ringofen Mildenberg zu malen, reiste sie mit. „Dort entstanden meine ersten Zeichnungen, mit Kohle, sehr groß. Jetzt liegen sie irgendwo im Keller.“ Karl Raetsch spürte die Begabung seiner Frau, ermunterte sie, weiterzumachen: „Du kannst es!“

Diese Worte hallen bis heute in ihr nach, bestärken sie in ihrem nimmermüden Willen, der sie noch heute an die Staffelei treibt. Sechs Gehstöcke sind jetzt in ihrer Wohnung verteilt, das Laufen ist zur Tortur geworden. Das Malen nicht. Der Vormittag gehört den Farben, und wenn es innerlich richtig brennt, auch der Nachmittag und Abend.

Hartnäckig verfolgte sie ihr Ziel, Künstlerin zu werden. Als ihre beiden Söhne Bruno und Robert noch klein waren, hatte sie immer ihr Skizzenbuch dabei. Nach und nach formte sie an der Seite von Karl Raetsch ihre eigene Handschrift. Oft stellten sie gemeinsam aus, in ihrem Atelier in der Kapelle Hermannswerder, die sie mühsam ausbauten und nach der Wende schweren Herzens aufgeben mussten.

Nach dem Tod ihres Mannes übermalte Barbara Raetsch mit gelben Bildern das Alleinsein. 
Nach dem Tod ihres Mannes übermalte Barbara Raetsch mit gelben Bildern das Alleinsein. 

© Ottmar Winter PNN

Nach dem Tod ihres Mannes waren es die gelben Bilder, ihre Korn- und Rapsfelder, mit denen sie das Alleinsein übermalte, sich in ihnen ausruhte. Aber sie verschwand nicht darin, tauchte auf mit ihren roten Farbgiganten. Und wenn am Alten Markt lauter Kopien entstehen und Gebäude aus der DDR, wie die Fachhochschule, einfach ausradiert werden, ist das für sie ein Frevel. Da wird das Aufrührerische in ihr geweckt, bezieht sie mit ihrem Fahnenrot Stellung. „Das Rot spielte bei mir immer eine große Rolle. Es hat etwas Aktives.“

Seit mehr als 50 Jahren ringt Barbara Raetsch um die eigene Kunst, um Bilder von Bestand. Sie arbeitet lange an einer Idee, klopft sie von allen Seiten ab. Sie kennt sich aus im Übermalen, versucht im Reduzieren, Abstrahieren, den Kern freizulegen. Dabei wird sie immer großzügiger in Form und Farbe, im Beharren auf Kanten, die anecken.

Zwischen Woher und Wohin

Barbara Raetsch steckt noch immer mittendrin, in ihrer Stadt. Sie spürt sie auf: die Stagnation, die Verwerfungen, das Mäandern zwischen Woher und Wohin. In den 80er Jahren bangte sie um die baufälligen Häuser im Endstadium der DDR, staunte dann über das bunte Leben der Hausbesetzer nach dem Mauerfall. „Die kaputten Häuser waren mir ans Herz gewachsen, aber ich bin auch froh darüber, jetzt durch die sanierte Gutenbergstraße gehen zu können. Ich hätte nicht in Ruinen leben mögen.“

Auf ihren Leinwänden wird indes nichts glatt geputzt. Die roten Bauzäune, die sie nach dem Abriss der Fachhochschule malte, sind kompromisslos, zeigen die Dramatik in der Spaltung der Stadt. „Davor ziehe ich meinen Hut“, sagt Kulturarbeiter und Kurator Thomas Kumlehn, der Barbara Raetsch im Namen des Potsdamer Kunstvereins für die Ehrung für ihr Lebenswerk vorgeschlagen hatte. Gerade in ihrem Spätwerk bewundere er die so prägnante und strenge Formensprache, die große malerische Qualität. Und eben ihren unbeirrten Weg.

Erfolgreiche Autodidaktin

Der ebnete sich vor allem, als sie 1978 in den Verband Bildender Künstler aufgenommen wurde, für eine Autodidaktin keinesfalls selbstverständlich. Mit ihrem originellen kleinen Bild vom „Abwasch“ eroberte sie sich 1982 überraschend einen Platz in der renommierten Dresdner Kunstausstellung, der einstigen künstlerischen Leistungsschau der DDR. Auch bei der X. Dresdner Kunstausstellung 1987 war Barbara Raetsch dabei. Diesmal mit dem großen Gemälde eines Holländerhauses mit offenem Dachstuhl. Diese „Rekonstruktion“ gehört als Leihgabe des Kunstarchivs Beeskow zu den sechs Werken, die bis 22. August im Schloss Neuhardenberg zu sehen sind, innerhalb der Ausstellung des 18. Brandenburgischen Kunstpreises.

Natürlich können sechs Bilder aus einem so facettenreichen Schaffen nur eine Ahnung vom Gesamtwerk geben. „Ein Wunsch von mir wäre eine große Ausstellung, die mein Lebenswerk widerspiegeln würde“, sagt Barbara Raetsch. Was wäre dafür geeigneter als eine Ausstellung im Potsdam Museum? Die Zeit dafür ist reif. „Ich kann mir eine Einzelausstellung durchaus vorstellen“, sagt Museumschefin Jutta Götzmann auf Nachfrage. Noch gibt es dafür aber keinen Zeitplan, zumal alle aktuellen Projekte coronabedingt verschoben werden mussten. 57 Werke der Malerei und Grafik von Barbara Raetsch sind im Bestand des Museums. Kürzlich erwarb es gemeinsam mit dem Kunstverein eines ihrer neun Bilder aus der Serie mit dem roten Bauzaun. Auch das ist in Neuhardenberg zu sehen. „Frau Raetsch ist eine großartige Künstlerin und ich schätze ihren kritischen Blick. Sie hinterfragt mit ihrem Pinsel das Zeitgeschehen und bleibt dabei hochästhetisch“, sagt Jutta Götzmann.

"Unbestechliche Authentizität"

Auch die Kulturbeigeordnete Noosha Aubel würdigt den ganz besonderen Blick der Künstlerin auf die Landeshauptstadt. „Es ist diese unbestechliche Authentizität zwischen Momentaufnahme, Erinnerung und künstlerischer Verfremdung. Sie fängt Momente im Jetzt ein, die im nächsten Moment schon der Vergangenheit angehören können. Nicht umsonst nennt man sie Potsdams künstlerische Stadtchronistin“, so Aubel über diese Künstlerin, die sich 2016 ins Goldene Buch der Stadt Potsdam eintragen durfte. Auch damals wurde Barbara Raetsch für ihr Lebenswerk geehrt, für ihre Bilder „auf denen wir den Wandel der historischen Mitte bildkünstlerisch einmalig nachverfolgen können“, so Noosha Aubel.

An der Atelierwand von Barbara Raetsch tanzen derweil apokalyptisch die Stahlskelette ihrer Kräne. Wie zähflüssige Lava ergießt sich das schrundige Glutrot über ihre Bilder. Die Erinnerung an das brennende Dresden vermischt sich seelentief mit dem Blick auf das heutige Potsdam.

Ausstellung „Schnittstellen“ mit Arbeiten von Barbara Raetsch und Burghild Eichheim, bis 4. Juli in der Gedok-Galerie Kunstflügel Rangsdorf, Seebadallee 45

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