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Effi Briest im HOT Potsdam: Groß im Kleinen

Gescheiterte Wonderwoman: Das Hans Otto Theater bringt Fontanes "Effi Briest" mit großem Spiel und geisterhaften Gestalten auf die Sommerbühne.

Potsdam - Diese Effi schaukelt nicht, sie spielt Fussball. Sie schwebt nicht durch die Lüfte, sie schlägt sich die Knie auf. Die Beine hat sie voller blauer Flecken, einmal geht der Ball mit Wucht ins Fenster (ein Theaterfenster, zum Glück). Denia Nironen als Effi Briest braucht dafür keine Turnschuhe, es genügen Stiefeletten – ja, es müssen sogar welche sein, in Gold. Eine kurze Hose, dazu eine Bluse mit Puffärmeln groß wie Schmetterlingsflügel. Oben Prinzessin, unten Lausejunge: Damit ist Theodor Fontanes Effi Briest gut umrissen. Mädchen mit Potenzial zur Wonderwoman.

Dieses Potenzial wird sie nicht ausschöpfen. In Fontanes Roman von 1894/95 bekanntlich nicht, und auch nicht in der Inszenierung von Christian von Treskow, der das Stück im Gazometer des Hans Otto Theaters als diesjährige Sommerproduktion auf die Bühne gebracht hat. Schon ganz zu Anfang macht die Regie deutlich, was dieser Kurze-Hosen-Effi dräut: Das Ensemble schleicht zombiesk auf die Bühne, alle weiß geschminkt mit rot umrandeten Augen. Effi ist eine jener zum Scheitern verdammten Heldinnen Fontanes, die an den eng geschnürten Blusen und hochgeknöpften Fracks ihrer Zeitgenossen ersticken: In einer unfreien Gesellschaft ist der Freigeist schon verloren, das soll auch in dieser Inszenierung niemand vergessen.

Fein gearbeitetes tänzerisches Liebesspiel

Dabei hat Effi selbst Lust, im Käfig, der ihre Gesellschaft ist, aufzusteigen: Als der 20 Jahre ältere Baron von Innstetten (spöttisch, aber gar nicht blutlos: René Schwittay) um ihre Hand anhält, sagt sie nicht nein. Hegt mädchenhafte Aufstiegsträume und wünscht sich fürs Schlafzimmer eine rote Lampe. Bald sind kurze Hosen und Stiefelletten gegen bodenlange Kleider ausgetauscht. Hellrosa, mintgrün, zum tragischen Schluss pflaumenfastschwarz (Kostüme Kristina Böcher). Die Kleider allein aber stillen Effis, vom Elternhaus in die Küstenprovinz versetzten Lebenshunger nicht. Auch die seltenen Besuche der grandios mondänen Sängerin Marietta Trippelli  (Meike Finck) nicht. Und auch das Baby nicht, das plötzlich über Effi kommt (ein flink an- und abgeschnallter Bauch). Mehr muss her, da kommt Major von Crampas (Friedemann Eckert) gerade recht. Das kalte Meer, in dem er am Tag der Begegnung mit Effi gerade geschwommen war, scheint ihn, im adretten Schwimmdress, geradewegs auf die mit Sand bedeckte Bühne des Gazometers gespuckt zu haben.

Bei Fontane soll dieser Crampas zwei Kinder haben, hier hat er für Effi quasi das Schaukeln übernommen: ein jugendlicher Luftikus, der auf die Fensterbretter der, eindrücklich in die Theaterfassade eingebetteten Bühne (Jürgen Lier) steigt, um dort von Freiheit zu säuseln. Mit Effi spielt er Verstecken wie einst wohl ihre Freundinnen. Dass sich Effi davon angezogen fühlt (sie hat  ständig Heimweh), ist verständlich. Während Innstetten noch vor dem Verführer Crampas warnt, kriechen die beiden schon aufeinander zu. Bei aller Leidenschaft gibt es hier keine Bühnenküsse  - auch bei Fontane ja nur „off-stage“ - dafür fein gearbeitetes tänzerisches Liebesspiel (Choreografie Anja Kozik).

Großartig mehrspurig

Überhaupt ist hier, neben erstaunlich viel Komödie, noch einmal großes Spiel zu erleben. In zweierlei Hinsicht: Bei Effi und Instetten zeitweise ein bisschen arg openairtheaterhaft: groß gegen den konkurrierenden Himmel. In den Nebenrollen aber groß im Kleinen. Da wäre die zwischen Wärme und Disziplin pendelnde Strenge von Meike Finck als Mutter Briest, die in schnurrendem Understatement vorgebrachte Melancholie von Peter Pagel als Vater Briest – und vor allem die großartig mehrspurige Marianna Linden. Erst kindlich-trotzig, dann schrittchenweise aufblühend in ihrer Doppelrolle als Effis Freundin Hulda und Haushälterin Roswitha. Das ist noch so eine typische Fontane-Figur: die aufopfernde Amme. Mehr davon sind im Fontane-Jahr 2019 zu erwarten. Von Marianna Linden, Meike Finck, Peter Pagel und Denia Nironen nicht. Für sie war es die letzte Premiere in Potsdam.

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Alle Vorstellungen sind ausgebucht, eventuelle Restkarten an der Abendkasse

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