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Kultur: Dschungel, Pfirsiche und Camus

„Im Garten vorgelesen“ zu Gast in Werder

Wer sich trotz praller Sonne und Temperaturen jenseits der dreißig Grad an einem Nachmittag in einen Garten setzt, um zwei Stunden lang der Erzählung „Jonas oder der Künstler bei der Arbeit“ von Albert Camus zu lauschen, der darf sich zu Recht als Camusianer bezeichnen. Etwa 150 dieser Camusianer versammelten sich am Samstag auf Einladung des Urania e.V. im Hausgarten der Familie Hauch in Werder, um sich von René Schwittay, der sonst auf der Bühne des Hans Otto Theaters reüssiert, vorlesen zu lassen. Untermalt wurde Schwittays Bariton von musikalischen Einlagen der Berliner Akkordeonistin Cathrin Pfeiffer.

Der Hauch’sche Garten gleicht einem Dschungel, durch den sich eine Expedition aus Literaturliebhabern hindurchkämpfte: Hier und dort luden kleine Inseln zum Verweilen ein, und immer gab es noch eine Ecke, hinter der sich eine Bank, Tische und Stühle oder ein kleiner Brunnen versteckten. Dem anhaltenden sommerlichen Wetter ist es zu verdanken, dass selbst die Pfirsiche schon beinahe reif sind und fruchtig süß schmecken.

Welches Verhältnis der französische Literaturnobelpreisträger und Sartre-Vertraute Albert Camus zum Garten pflegte, ist nicht überliefert – wohl aber dessen Prosa, allen voran „Die Pest“ und „Der Fremde“; Literatur, die gleichsam existentialistische Philosophie ist, und so verhandelt auch „Jonas oder der Künstler bei der Arbeit“ ein existenzielles Problem: Die Unvereinbarkeit künstlerischer Produktion und ökonomischer Zwänge. Künstler müssen produzieren, um zu verdienen, und verdienen, um produzieren zu können. Dabei werden die eigenen ästhetischen Ansprüche des Künstlers immer wieder von denen des Marktes aufgehoben, oder zumindest beeinflusst, während der Markt scheinbar das immer Neue und Unangepasste sucht – es ist ein Paradox.

In diesem bewegt sich der junge Künstler Jonas, der seine Karriere als Lektor in einem Verlag für Erotica beginnt und seine freie Zeit mit Malerei verbringt. Schon bald gelingt ihm der Durchbruch und um ihn schart sich eine Entourage aus vermeintlichen Kunstkennern und Kritikern, jungen ratsuchenden Künstlern und Schnorrern, die allesamt von Jonas’ Ruhm profitieren wollen. Diesem aber fällt es immer schwerer, seinen Alltag zwischen künstlerischer Tätigkeit, Betreuung seiner Schüler und Zusammenleben mit seiner Familie zu meistern. Schließlich zieht er sich zur Arbeit immer mehr zurück, zunächst in sein Atelier, das er zusätzlich mit einem Vorhang verhängt; er wandert vom Schlafzimmer ins Badezimmer und findet schließlich seinen Arbeitsplatz auf einer dunklen Empore, die verhindert, dass irgendjemand sehen könnte, woran der Künstler unablässig arbeitet. Nach wochenlanger Arbeit präsentiert er sein Werk – und überrascht damit die wenigen Freunde, die ihm geblieben sind.

Schwittay liest trotz sengender Hitze den ungekürzten Text, ein Novum innerhalb der „Im Garten vorgelesen“-Reihe des Urania e.V., der sich den Sommer über immer neue Orte für seine Lesereihe sucht.

Tatsächlich steht die Trias aus Kunst, Literatur und Garten in einer langen Tradition – man denke beispielsweise an den opulent angelegten Garten des französischen Impressionisten Claude Monet in Giverney, in dem die vom Künstler verewigten Seerosen wucherten. Oder an Goethes Garten in Weimar, der ihm nicht nur als Schreib- und Entspannungsort diente, sondern in dem das Universalgenie Goethe auch botanische Experimente betrieb. Die scheinbaren Gegensätze „Natur“ und „Kultur“ treffen im Garten als einem von Menschenhand gestalteten Stück Natur vielfach aufeinander und regen so auch zum künstlerischen Schaffen an. Auch daran liegt es, dass die Lesereihe des Urania e.V. so empfehlenswert wie inspirierend ist.Christoph H. Winter

Christoph H. Winter

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