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Dresens Wichmann-Fim Nr.2: "Das geht an die Grenze dessen, was man sich selbst im Alltag zumutet"

Ein Gespräch über Rituale und Politik, Politiker- und Wählerverdrossenheit, die Wirklichkeit und Film und über ganz normale Brandenburger und ihre Probleme: Der Potsdamer Regisseur Andreas Dresen über seinen neuen, auf der Berlinale vorgestellten Dokumentarfilm „Herr Wichmann aus der 3. Reihe“ - seinen zweiten Film über den CDU-Politiker Henryk Wichmann.

Herr Dresen, Sie haben den CDU-Landtagsabgeordneten Henryk Wichmann über mehr als ein Jahr hinweg immer wieder begleitet – in den Landtag in den Wahlkreis, in Wahlkreisbüros, zu Bürgergesprächen und Unternehmen. Sind Sie ernüchtert vom Alltag eines Politikers?

Ernüchtert eigentlich nicht. Ich bin erstaunt, weil ich es mir ehrlich gesagt so anstrengend dann doch nicht vorgestellt habe. Ich hatte mir auch größere Bögen vorgestellt, nicht so kleinteilig. Je mehr ich beim zweiten Film mit Henryk unterwegs war, desto mehr wurde mir bewusst, aus wie viel einzelnen Segmenten Politik eigentlich besteht, was das für ein kompliziertes Vermitteln zwischen über Jahrzehnte gewachsenen Gesetzen oder Verfahren, Bürgerinitiativen, Verwaltungen und dem Willen anderer Parteien ist. Und wie ein Politiker sich dazwischen zurechtfindet, das ist schon atemberaubend, finde ich. Ich habe da einen hohen Respekt und war dann eigentlich doch eher negativ überrascht von den Bürgern, die manchmal mit klischierten Vorurteilen dem Politiker gegenübertreten.

Es gibt in Ihrem Film mehrere Szenen, wo Bürger gelinde gesagt nicht nett sind. Können Sie Politiker verstehen, die unter einer gewissen Volks- oder Wählerverdrossenheit leiden?

Ja, auf jeden Fall. Weil es häufig sehr ungerecht ist, was gesagt wird. Das öffentliche Urteil über Politiker wird bestimmt von den Affären, von denen die Menschen in den Zeitungen lesen. Da wird dann berichtet, dass der Bundespräsident sich ein Hotelzimmer auf Sylt von ichweisnichtwem bezahlen lässt, oder die Abgeordneten haben mal wieder die Diäten erhöht und die Bild-Zeitung titelt dann so und so viel verdienen die jetzt und darauf haben die sich nun selbst geeinigt…

Es gibt eine exemplarische Szene: Wichmann bei den Landfrauen – sehr, sehr, sehr energische Damen, die meckern und meckern, die ihren ganzen Frust, ihre Wut und ihre Vorurteile ablassen auch über Politiker. Und Wichmann dringt nicht durch bei denen. Er versucht fast schon verzweifelt zu erklären, wie wenig ihm am Ende nach allen Abzügen bleibt – nämlich nur wenig mehr als einer Hartz-IV-Familie. Und die Frauen? Die wollen es eigentlich gar nicht hören.

Sie nehmen das dann nur so zur Kenntnis, meckern aber weiter. Er hat die Frauen dann später noch in den Landtag nach Potsdam eingeladen – ich glaube, da wird doch etwas hängen geblieben sein von seinen Erklärungen. Aber ja, was er da so macht, das ist auch schon ein bisschen verzweifelt. Er sagt, wie viel er arbeiten muss für relativ wenig Geld und zum anderen sagt er in dieser Diskussionsrunde auch: Sie müssen sich einmal in uns hineinversetzen – wir arbeiten 14 Stunden am Tag und dann gehen nur 40 Prozent der Bürger zur Wahl. Und das ist genau der Punkt für mich: Die Bereitschaft der Bürger, Demokratie auch wirklich zu nutzen, ist nicht sehr stark ausgeprägt. Die Demokratie stellt sich vielen Bürgern als Beschwerdeinstitution dar. Man kann sich bei Politikern beschweren und die haben es dann in Ordnung zu bringen – so, wie beim Arzt, der einen gesund machen soll. Dass es zum Teil auch ein Mitwirken von Bürgern braucht, das wird zu selten gesehen. Und auch, dass es dabei nicht nur um Partikularinteressen gehen darf. Wir hatten etwa den Fall eines Dorfes, in dem es darum ging, ob eine Ampelkreuzung gebaut wird oder ein Kreisverkehr. Und für jede dieser Lösungen gab es eine eigene Bürgerinitiative innerhalb des eines Dorfes, je nach dem wo wer wohnte. Wie soll denn da ein Politiker entscheiden?

Geht es, wenn Wichmann in seinem Wahlkreis unterwegs ist, eigentlich noch um richtige Politik, darum, wie ein Landtag die Gesetze erlassen, Gesetze ändern und die Landesregierung kontrollieren soll? Geht es nicht doch eher darum, zwischen Bürger und Bürokratie – also der Exekutive, die er kontrollieren soll - zu vermitteln?

Ich glaube, dass dies auch die alltägliche Arbeit eines Landtagsabgeordneten ist. Wichmann hat ja – was ungewöhnlich ist – drei Bürgerbüros in der Uckermark und Teilen von Oberhavel. Dadurch zieht er natürlich auch zentnerweise Arbeit auf sich. Zum einen machen die Büros selbst Arbeit und zum anderen kommen immer mehr Bürger, die genau diese Büros nutzen, um ihre Beschwerden loszuwerden. Und dabei ist es ihnen egal, von welcher Partei der Politiker kommt, der ihnen hilft, wenn am Bahnhof von Vogelsang ein Zug zwar hält aber aus irgendwelchen bürokratischen Gründen die Türen nicht öffnet. Hauptsache, es kümmert sich jemand darum. Und Wichmann geht jetzt los und versucht über seine Kontakte im Landtag die Probleme zu lösen. Er spricht mit dem Verkehrsminister, um die Dinge irgendwie zu klären. So kleinteilig sich das anhört, glaube ich, dass politische Arbeit genau so funktioniert. Es sieht nur in unterschiedlichen Bereichen größer aus, aber ich glaube, dass Angela Merkel auf einer anderen Ebene auch nichts anderes tut. Sie muss vermitteln zwischen verschiedenen Interessengruppen: Die Griechen wollen mehr Finanzhilfen haben und sie muss nun mit anderen Partikularinteressen umgehen und gucken, wie man eine Lösung hinbekommt, mit der mehrere Seiten leben können. Nichts anderes macht Wichmann auch. Und manchmal gelingt es und manchmal nicht.

Nur Wichmann regiert nicht, er ist Oppositionspolitiker in der Legislative. Wenn Sie auf die Zeit der Dreharbeiten schauen – Sie haben Wichmann mehr als ein Jahr begleitet – was war die erstaunlichste Entwicklung bei ihm im Vergleich zu den Dreharbeiten aus dem Jahr 2002, als Sie Wichmann als Einzelwahlkämpfer im Bundestagswahlkampf in der Uckermark begleitet hatten?

Das Erstaunlichste für mich an ihm ist generell, dass er frei von Zynismus ist. Ich habe ihn in dem ganzen Jahr nicht ein einziges Mal so erlebt – und ich habe es mehr als herausgefordert, weil es mir oft genug so ging, dass man aus einer Situation kam und die Augen verdreht und gesagt hat, das ist doch immer der gleiche Müll. Das ist ihm völlig wesensfremd. Selbst nach den nervigsten Diskussionen mit Bürgern oder Ämtern ging er raus und hat gesagt: Ja, das ist unsere Aufgabe, da muss sich ja auch mal jemand hinsetzen und zuhören. Im Film sagt er nach so einem nervenden Gespräch, wenn er schon eine Reihe mache mit dem Namen „Herr Wichmann hört zu“, dann müsse er eben auch zuhören. Ich glaube, damit ist er auch echt eine Ausnahmeerscheinung, weil ich glaube, dass im Politikbetrieb eine Menge Zynismus herrscht, einfach auch aufgrund dessen, dass es auch oft deprimierend ist. Und ich kann den Zynismus sogar verstehen, aber dass er dann frei davon ist, das grenzt schon an ein Wunder. Das macht ihn zu einem Unikat – auch, weil es gepaart ist mit einer Naivität, die ihn immer wieder dazu bringt, in ausweglose Situationen zu gehen und dann immer wieder Dinge zu probieren. Das führt dann natürlich auch zu Komik.

Im Film gibt es eine Szene, die ihn in einer Turnhalle zeigt, in der sich neben anderen auch DRK-Seniorinnen an einem Infostand vorstellen.

Ja, da geht er dann hin und versucht, ins Gespräch zu kommen. Und das scheitert dann natürlich ganz oft oder wird peinlich. Das macht ihm nichts, er versucht es sofort wieder. Er nimmt da auch eine ganze Menge an Situationen mit, wo man sagen muss: Das geht an die Grenze dessen, was man sich selbst im Alltag gerne zumutet.

Haben Sie sich Politik nicht manchmal auch professioneller vorgestellt, gerade oben auf dem Potsdamer Brauhausberg im Landtag?

Für mich war interessant, dass sich in den Plenardebatten die Situation komplett änderte, wenn die Kameras des RBB ausgeschaltet waren…

…die die Debatten am Vormittag live übertragen.

Unsere Kamera wurde da offensichtlich nicht so für voll genommen. Aber ich fand, dass die Atmosphäre sehr viel entspannter wurde. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass das Plenum nur die Bühne ist, wo die Schaukämpfe und das Gemetzel stattfinden. Ich habe mich dann darüber gefreut, zu sehen, wie pragmatisch und kollegial es außerhalb des Plenums eigentlich zugeht.

Es gibt eine Kantinenszene, wo Herr Wichmann neben der Linken Gerit Große steht und sich mit ihr kurz über den Speiseplan unterhält und feststellt, dass man in der Kantinenkommission mal tätig werden müsse. Dazu muss man wissen, dass sich seit wohl 25 Jahren in der Kantine so gut wie nichts geändert hat – …

.. ja richtig, diese Kantine da oben…

…da gibt es immer noch Brühnudeln und Spinat mit Setzei.

Henryk ist da natürlich grundsätzlich offen. Es gibt aber auch im Landtag wie überall die Hardliner. Er steht aber zum Schluss auch mit den Grünen im Saal und trinkt Sekt. Da gibt es keine Berührungsängste. Henryk hat ja auch eine junge Gruppe gegründet, wo junge Abgeordnete aus mehreren Fraktionen zusammensitzen und reden, sich kennen lernen. Und letztendlich finde ich das beruhigend und auch ermutigend. Ich wünsche mir das auch so, dass die Politiker auf eine vernünftige Art versuchen, Probleme miteinander zu lösen. Das Gemetzel, das man dann manchmal in den Abendnachrichten sieht, das brauche ich persönlich nicht. Was ich nicht weiß ist, ob es nur im Brandenburger Landtag so ist, ob das eine Ausnahme ist. Aber ich finde, dass man dort grundsätzlich eine sehr liberale Art der Auseinandersetzung und des Umgangs miteinander hat.

Sie waren mit einem kleinen Team unterwegs: Sie, Licht und Ton. Wie hat denn ihre Anwesenheit die Wirklichkeit, die sie abbilden wollten verändert? Es gibt die Szene, in der Wichmann bei Naturschützern ist, wegen deren Einwänden der Radweg zwischen Berlin und Usedom nicht komplett ausgebaut werden konnte, da dort in der Nähe zur Autobahn ein Schreiadler lebt. Die Umweltschützer haben über Jahre den Ausbau des Radweges verhindert und zum Schluss gegen eine Asphaltdecke argumentiert, weil sich Frösche dort im Sommer die Füße verbrennen könnten und Würmer von Radfahrern überfahren würden. Die reagierten aber plötzlich sehr zurückhaltend. In einer anderen Szene unterhält sich Wichmann mit Regierungschef Matthias Platzeck in der Landtagscafeteria über einen Stichkanal zwischen dem Unter- und dem Oberuckersee, durch den Segler nicht mit ihren Hilfsmotoren von See zu See dürfen. Platzeck und Wichmann unterhalten sich an einem Stehtisch – man sieht aber immer wie Platzeck auch nach der Kamera schielt.

Die Anwesenheit einer Kamera verändert grundsätzlich die Realität. Das kennt jeder, auf den einmal ein Fotoapparat gerichtet war. Die Leute agieren kontrollierter. Ich würde in dem Fall allerdings Henryk ausnehmen, bei ihm ist das definitiv nicht der Fall. Das ist eine ganz seltene Ausnahme. Aber grundsätzlich glaube ich, ist das, was man im Kino sieht oder auch im Fernsehen, immer das Abbild einer Wirklichkeit plus Kamera. Es ist auch immer gestaltete Wirklichkeit, weil auch wir entscheiden, was wir wie filmen und zeigen.

Es ist umgekehrt ja auch so, dass etwa bei Parteitagen die Bühnen und Rednerpulte und die Hintergründe komplett für die Medien und die Wahrnehmung des Zuschauers durch die Medien inszeniert werden. Wenn man die Perspektive wechselt und weit zurück geht in der Betrachtung, dann sieht man, dass dort auf einer Bühne nur noch Inszenierungen laufen, die für die Kameras gedacht sind. Wie viel haben bei ihnen Akteure inszeniert?

Bei uns hat die Anwesenheit der Kamera natürlich einzelne Situationen verändert. Bei der Diskussion um die Schreiadler wie ich glaube zum Guten, weil die Leute ein bisschen weniger polemisch waren und bereiter, Problemlösungen zu finden.

Auch, wenn bei diesem Fitzelchen Radweg ein Erfolg heraus kam. Wie machtlos ist ein Politiker nach ihren Erfahrungen mit Wichmann eigentlich?

Ich glaube letztendlich ist er so machtlos wie wir alle, die wir gefangen sind in Umständen, die wir uns selber geschaffen haben. Man kann versuchen, die Umstände zu ändern – von daher haben wir alle die Möglichkeit, die Welt umzugestalten. Nur, dass das in der Politik ein mühseliger Prozess ist, das sieht man anhand winziger Beispiele in dem Film. Und auf der anderen Seite stecken wir natürlich in einem Korsett unserer eigenen, selbst geschaffenen Institutionen und Umstände. Für mich ein Sinnbild war die Situation, die wir bei der Bundeswehr miterlebten. Dort sieht man, wie ein Festakt im Regen ertrinkt und trotzdem wird weitergemacht mit Marschmusik und dem Singen der Hymne. Dabei würde es die Vernunft gebieten, dass man das unterbricht und ins Trockene flüchtet – aber nein, man bleibt eisenhart stehen, weil das Ritual das erfordert. Das fand ich auch ein schönes Bild für die Situation, in der sich Henryk bewegt: Es sind ja ganz viele ritualisierte Prozesse, mit denen er es dort zu tun hat: Interessensbekundungen von irgendwelchen Verbänden, Gesetzesvorlagen, Beamte, die eine bestimmte Arbeit machen. Und dazwischen bewegt sich, wie in einem Spinnennetz, der Politiker. Das heißt aber auch nicht, dass er nichts machen kann. Er kann. Nur es ist verdammt mühsam. Je komplizierter das Räderwerk ist, desto komplizierter ist es dann auch, etwas auszurichten, zu verändern. Aber letzten Endes ist es das doch wert. Ich komme aus dem Osten, ich konnte miterleben, dass Veränderungen möglich sind. Insofern: Vergeblich ist es immer nur, wenn man es nicht versucht.

Sie haben in der Uckermark gedreht, einem Landstrich, der nach UN-Maßstäben als nicht besiedelt gilt. Wichmann hat einen verdammt großen Wahlkreis, für den er drei Bürgerbüros braucht, um tatsächlich noch erreichbar zu sein. Wie nah kann aus ihrer Erfahrung da Politik dem Bürger überhaupt noch sein, wie nahe ist der Bürger da noch der Politik und der Verwaltung und umgekehrt?

Das ist sehr kompliziert. Das merkt man ja auch bei der Polizeireform, die debattiert wurde, als wir drehten. Wo ist denn noch eine Polizeiwache in der Region, wenn Templin geschlossen werden sollte – was ja da dann nicht passierte? Letztendlich muss man sagen: Je größer die Verwaltungsbezirke und Wahlkreise werden, desto komplizierter wird es natürlich auch. Hinzu kommt, wie gesagt noch das Problem, dass Henryk sich selbst durch die Bürgerbüros immer mehr Arbeit auflädt und dann nur noch unterwegs ist – die Hälfte der Zeit, die er arbeitet, sitzt er ja im Auto.

Hatten Sie sich das so vorgestellt?

Nein. Ich dachte, dass so ein Abgeordneter manchmal auch einen Fahrer hat. Es ist auch ein großer Unterschied, ob man Abgeordneter ist in Brandenburg oder in Berlin im Abgeordnetenhaus, wo die maximal einen Arbeitsweg von einer halben Stunde haben. Aber wenn man leider Abgeordneter aus Lychen ist, dann fährt man mit dem Auto zwei, drei Stunden und das drei-, viermal die Woche nach Potsdam; das ist schon krass und macht die Arbeit nicht gerade leichter.

Wichmanns Familie taucht selbst nur ab der Haustür auf. Es gibt eine Szene, wie er zwei seiner drei Töchter von der Haustür zum Auto bringt und die kleinste anschnallt im Kindersitz. Ansonsten sieht man Frau Wichmann und die Kinder maximal bei der Eröffnung seiner Bürgerbüros. Wie nahe hat er Sie an seine Familie gelassen?

Also grundsätzlich war er bereit dazu, wir haben auch privat gedreht, auch mit den Kindern. Ich hatte aber schon beim Drehen das Gefühl, dass sich das nicht einfügt. Es war irgendwie so, dass es sich immer mehr in Richtung eines Personenportraits entwickelte und der Film sich vom Thema entfernte. Und ich hatte immer das Gefühl, es ist ein Film über einen Politiker und seine Arbeit; in dem Moment, wo ich eine Art von Homestory da rein bringe, wird es seltsam. Das war dann wie ein Fremdkörper – obwohl ich schönes Material habe. Deswegen haben wir uns im Schnitt entschlossen, das gesamte familiäre Umfeld ab der Haustür zu erzählen. Alles was außerhalb der Haustür mit der Familie passiert, das nehmen wir rein. Das war nicht so furchtbar viel.

Inwieweit kommt Familie denn überhaupt noch vor in so einem Politikeralltag?

Er versucht sich schon Zeit zu nehmen, aber das ist natürlich schwer. Er hat ja auch häufig Wochenendtermine. Da liegt schon sehr viel Last auf den Schultern seiner Frau, die die meiste Zeit mit den drei Kindern allein ist, zum Glück für ihn aber ein großes Verständnis mitbringt. Da ist nicht sehr viel Raum für viele gemeinsame Unternehmungen. Wenn, bleibt nur der Urlaub. Und auch an den Wochenenden versucht er Termine so zu machen, dass er die Familie dann noch mitnehmen kann, sodass da noch ein bisschen Gemeinsamkeit ist. Es ist kein komfortables Familienleben, wo der Vater auch abends mal pünktlich zuhause ist – meistens sind ja gerade abends noch Termine.

Wichmann fährt – auch sichtbar in ihrem Film – durch sehr schöne, aber auch sehr leere Landschaften. Wenn man die Themen sieht, mit denen er sich bei seiner Vorortarbeit beschäftigt, dann sind es der Schreiadler, ein Stichkanal zwischen zwei Seen, an dem eine Bartmeise brütet, dann geht es um Moore, um eine illegale Müllkippe in der schönen Landschaft – man hat abgesehen von der Posse um die Bahn, die die Türen in Vogelsang nicht öffnete, den Eindruck, dass da Menschen kaum noch vorkommen.

Es hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass Henryk von der CDU ist und da mehr damit konfrontiert ist, wo der Naturschutz wirtschaftliche Entwicklungen behindert. Das war im Holzwerk in Templin so, das spielt bei dem Kanal eine Rolle im Zusammenhang mit der Tourismusnutzung, das ist auch ein Aspekt beim Radweg/Schreiadler-Konflikt. Es scheint aber dort in der Region eine Kardinalfrage zu sein, dass dort durch Umweltschutzmaßnahmen immer weniger Bewegungs- und Spielraum ist für die Menschen die dort wohnen. Da ein richtiges Verhältnis zu finden, darum geht es an vielen Stellen des Films. Man merkt, wie die Menschen miteinander ringen. Dieser Kanal zum Beispiel, um den es geht, der wurde seit dem Ausbaggern Ende des 19. Jahrhunderts 80, 90 Jahre von Motorbooten befahren und da hat es die Bartmeise auch gegeben – jetzt sollen da keine Segelboote durch. Man fragt sich da wirklich manchmal, worüber dort so lange verhandelt wird, zumal sich da in dem Fall alle parteiübergreifend einig sind, dass dies anders sein soll. Nur da sieht man, dass es ein ganzer Landtag, die gesamte Politik nicht schafft, sich gegen einen Umweltverband, der durch niemanden demokratisch gewählt wurde, durchzusetzen. Und das ist dann für den Bürgermeister von Prenzlau extrem ärgerlich, weil er natürlich auf Tourismus setzt, wenn es schon sonst keine wirtschaftliche Entwicklung gibt. Letzten Endes geht es immer darum, da das richtige Verhältnis zu finden. Aber dafür sind dann die Politiker ja auch da, dafür werden sie auch bezahlt und gewählt.

Das klingt aber alles nicht so, als könnten Sie sich vorstellen da einmal tätig zu werden.

Ich als Politiker? Nein. Ich weiß nicht, ob ich die Nerven dazu hätte. Ich habe einen hohen Respekt vor der Arbeit der Politiker gewonnen. Ich habe aber zum Glück die Möglichkeit, mich durch meine Arbeit politisch zu äußern – das ist ein großes Privileg. Ich kann mich so auf eine andere Art einbringen; allerdings auch, ohne mich diesen alltäglichen Fragen stellen zu müssen wie Henryk. Für mich war das schon beim ersten Wichmann-Film so, dass ich gemerkt habe, dass man als Bürger auch verdammt noch mal verpflichtet ist, die Demokratie anders wahrzunehmen – als Möglichkeit im Alltag.

Als Verpflichtung zur Teilhabe und Teilnahme?

Ja – und das macht man viel zu selten. Ich merke das ja schon im Wahlkampf, dass ich gar keine Lust habe, mal an so einem Wahlkampfschirm stehen zu bleiben und mich wenigstens mal mit einem Politiker zu unterhalten. Dabei stehen die ja da, damit man sich mal über die politischen Inhalte auseinandersetzt. Da kann man auch seine Meinung sagen – nur: Warum tut man das so selten? Möglichkeiten, Demokratie wahrzunehmen, gibt es eine ganze Menge – für jeden. Diese Möglichkeiten sollte man auch jenseits seiner Partikularinteressen stärker suchen. Davon lebt die Gesellschaft. Wenn wir das nicht füllen, dann ist alles in einer Demokratie nur eine hole Blase. Nur, warum sind Bürger eigentlich nur bereit, sich politisch zu engagieren, wenn es um ihre Partikularinteressen geht?

Vielleicht weil in uns allen irgendwo auch ein großes Stück von den schimpfenden, merkenden uckermärkischen Landfrauen steckt - mehr als wir wahr haben wollen?

Ja. Es ist glaube ich so, dass wir alle kleine Egoisten sind und an die Politiker sehr, sehr hohe Erwartungen haben und sie auch an anderen Maßstäben messen – so wie beim Bundespräsidenten. Dabei würden wir doch eigentlich alle auch gern Business Class fliegen.

--Das Interview, das am Rande der Berlinale stattfand, führte Peter Tiede

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