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Immer mit Wärme. Tagesspiegel-Kolumnist Harald Martenstein.

© dpa

Kultur: Doppelt pointierter Witz

Tagesspiegel-Kolumnist Harald Martenstein las zur Premiere einer neuen Reihe in der Bibliothek

Harald Martenstein fühlt sich als Vorleser sichtlich und hörbar wohl. Der „Zeit“-Kolumnist und Redakteur des Tagesspiegels weiß offensichtlich, wie man das Publikum für sich einnehmen kann, nämlich durch ein souveränes Auftreten, eine kluge Auswahl von Texten, die die Zuhörer ohne Umschweife erreichen. Texte, die seinen spöttischen Ton, der jedoch nicht ohne Wärme ist, sofort erfassen.

Die zahlreichen Besucher der Premiere von „Text & Ton – Literatur und Musik im Dialog“ im Veranstaltungssaal der Stadt- und Landesbibliothek hingen Harald Martenstein regelrecht an den Lippen, reagierten auf die Betrachtungen sofort mit herzhaftem Lachen und spendeten ihm schließlich langanhaltenden Beifall, den er mit einer Lesezugabe beantwortete. Seine im Oktober des vergangenen Jahres erschienenen unartigen Beobachtungen zum deutschen Alltag, die er in dem Buch „Die neuen Leiden des alten M.“ zusammenfasste, standen im Zentrum des Abends.

Die Bibliotheks-Verantwortlichen konnten für die „Text & Ton“-Reihe, die im Herbst fortgeführt werden soll, die Kammerakademie Potsdam gewinnen. Ihre Musiker sollen stets für den guten Ton sorgen. Harald Martenstein war sich zunächst nicht sicher, ob sich zwischen seinen Texten und den musikalischen Beiträgen ein Dialog entspinnen könne. Doch es hat geklappt, Texte und Töne haben ein gut gelauntes Gespräch in Gang gesetzt, bei dem Vorleser und Instrumentalisten gleichrangig fungierten. Martenstein ist anscheinend nicht so eitel, dass er allein im Mittelpunkt stehen muss und die Musiker nur eine Begleitfunktion ausüben sollten. Ein großzügiges Geben und Nehmen ist Voraussetzung für den Erfolg solch einer Veranstaltungsreihe.

Das Bläsertrio mit Jan Böttcher, Oboe, Markus Krusche, Klarinette, und Christoph Knitt, Fagott, wählte französische Werke des 20. Jahrhunderts, von Ange Flégler, Jacques Ibert und Georges Auric. Mit Esprit, virtuoser Behändigkeit und nie nachlassender Freude am Musizieren haben die drei von der Kammerakademie keine beschauliche Heiterkeit aufkommen lassen, sondern den in allen Stücken vorhandenen Witz, der auch durchaus Biss hat, der Nachdenklichkeit, die alles andere als schwermütig ist, sowie die motorische Vitalität und die durchaus feinsinnige Erfindungen lebendig werden lassen. Darin begegneten sie sich wunderbar mit Harald Martensteins Geschichten.

Der Kolumnist hat in seinem Buchtitel „Die neuen Leiden des alten M.“ gleich auf zwei deutsche Dichter angespielt auf Goethe und Ulrich Plenzdorf. „Viel Ernstes, ja Unangenehmes finde sich auf den Seiten des Buches und an manchem habe ich beim Schreiben tatsächlich gelitten“, sagte Martenstein später im Gespräch. Nun, leiden kann man wohl zu allen Zeiten, wenn man den Alltag nicht nur oberflächlich betrachtet. Und ja, auch meckern kann man fast über alles, was das aktuelle Leben so bietet.

Bei Harald Martenstein ist es vor allem die Bildungspolitik, die ihn auf die Palme bringt, sind es bürokratische Hemmnisse, wenn jemand die deutsche Sargpflicht umschiffen möchte, ist es die verzweifelte Suche nach einem Lichtschalter im Zimmer eines Luxushotels. Pointiert sind seine Kolumnen, etwas überhöht im Gestus und geistreich – so wie die Musik, die an diesem Abend erklang. Nur die ist etwas älter. Martenstein kann dafür aktuell auf Heutiges reagieren. Klaus Büstrin

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