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Böse, böse. Grace (Denia Nironen) sucht Schutz im titelgebenden Städtchen Dogville – und lernt dort statt christlicher Nächstenliebe die bestialischen Abgründe der menschlichen Seele kennen. Ihr Leidensweg beginnt als Putzhilfe und endet als Sexsklavin.

© HL Böhme

"Dogville" am Hans Otto Theater: Lehrstück in Bösartigkeit

Premiere im HOT: „Dogville“ in der Regie von Christoph Mehler arbeitet sich wie die Vorlage von Lars von Trier am Mittel der Verfremdung ab – dreht aber vor allem den Geräuschpegel hoch.

Potsdam - Bei der jüngsten Premiere am Hans Otto Theater handelt es sich um einen Versuch der Heimholung: Lars von Triers theaterhafter Film „Dogville“ (2003) sollte wieder auf die Bühne. Der Film erzählt die haarsträubende Geschichte um eine geheimnisvolle Schöne namens Grace (auf Deutsch: Gnade), die in dem titelgebenden Provinznest landet, dort um Hilfe bitte und dafür ausgesprochen gnadenlos ausgenutzt wird. Der Film spielt in einem Theaterdekor. In einem schwarzen Raum, in dem die Häuser des Städtchens durch einige Requisiten nur angedeutet sind. Es gibt keine Wände, keine Türen, Häusergrenzen sind als weiße Markierungen auf dem Boden aufgemalt und werden – wie im Theater – ganz selbstverständlich „mitgespielt“. Ein Erzähler sagt die Kapitel an und schlimmste Gewalttaten werden von Vivaldi-Musik begleitet.

Bei von Trier sorgte das für einen Effekt, der im Filmwesen eine absolute Ausnahme, im Theater seit Brecht aber gang und gäbe ist: Verfremdung. Ziel dabei ist ein Abstand zum Geschehen, der einem beim Betrachten einen innerlichen Schritt zurück, ein Darüber-Nachdenken ermöglichen soll. Im besten Fall schüttelt einen ein solcher Ansatz, wie bei von Trier, zwischen Analyse von Empfindung hin und her und am Ende sieht man auch die eigene Welt mit neuen Augen. Im schlimmsten Fall wirkt das nur lehrmeisterlich.

Mehler nimmt die Sache mit der Verfremdung sehr ernst

Womit wir bei der Inszenierung von Christoph Mehler wären, der bereits an vielen großen Häusern gearbeitet hat und sich mit der „Dogville“-Premiere am Samstag erstmals in Potsdam vorstellt. Die Sache mit der Verfremdung nimmt auch Mehler sehr ernst. Wie er im Programmheft völlig richtig erklärt, macht es keinen Sinn, von Triers meisterlicher Vorlage hinterherzulaufen. Also hat man sich offenbar entschieden, das Gegenteil des Films auszuprobieren: Lars von Trier lässt die größte menschliche Grausamkeit leise, in intimen Dialogen, auftreten – bei Christoph Mehler tritt sie fast durchgängig brüllend zutage. Mehler hält sich nicht mit der zivilisierten Oberfläche der Protagonisten auf, sondern zeigt uns die Einwohner des Städtchens Dogville sofort als das, was sie im Grunde sind: ein bizarres Gruselkabinett. Lauter erschreckende Fratzen.

Wie präparierte Insekten in einem Glaskasten, unbeweglich und unheimlich, stehen sie zu Anfang in der aus vier Kästen bestehenden Bühne von Nele Balkhausen. Vier weiße Quader auf schwarzem Grund: Ein bisschen erinnert die Bühne an die Anfangssequenz des Films, in der Dogville von oben zu sehen ist. Aufgereiht wie Schießbudenfiguren, und bis auf das hässliche chorische Gelächter, in das sie plötzlich ausbrechen ebenso leblos, sind hier: Der blinde Jack McKay (René Schwittay), der später Grace bedrängen wird. Die junge Liz (Juliane Götz), die später Grace bespucken wird. Der Trinker und Trucker Ben (Raphael Rubino), der Grace vergewaltigen wird. Der brutale Chuck, der Grace erst beschimpfen und dann missbrauchen wird. Chucks Frau Vera (Melanie Straub), die für Grace erst eine Freundin, dann eine Verräterin wird. Die gehässig-lüsterne Kirchenmaus Martha (Michael Schrodt). Die eiskalte Ma Ginger (Rita Feldmeier), die Grace als Erstes in die dornigen Stachelbeeren schicken wird. Der alte Thomas Edison, der Grace später eine Eisenkette anlegen und sagen wird: „Wir tun das wirklich nicht gern.“

Man bedient sich des Offensichtlichen

Sogar der Möchtegern-Schriftsteller Tom (Moritz von Treuenfels), der vorgibt, Grace zu beschützen und ihr bei der „Integration“ in dem Ort Dogville helfen will, ist von Anfang an ein böser Bengel in kurzen Hosen, dessen sadistisches Grinsen verrät, wie er eigentlich tickt. Nur Grace (Denia Nironen) versucht sich in der Disziplin, die sie im Namen trägt: Güte, Geduld, Verständnis. Um sich bei den Dogvillern beliebt zu machen, macht sie sich, immer im kurzen Glitzerfummel und auf hohen Hacken, zur Sklavin. Dass die Regie sie dann in die Pose der Leidensfrau am Kreuz stellt, zeigt ein Grundproblem dieser Inszenierung: Man bedient sich des Naheliegenden, Offensichtlichen. Böse, ganz böse sind sie alle, und das freilich ziemlich virtuos.

Böse, böse ist auch die Welt, in der wir leben. Wäre sie aber nur das, sie wäre nicht so kompliziert, und nicht so interessant. Interessant ist auch diese Inszenierung nur da, wo die Regie ihre Figuren auch erbärmlich sein lässt. Wenn Melanie Straubs Vera piepsend auf Knien durch den Bühnenbau robbt. Wenn Raphael Rubino an der Rampe einen Selbstmitleidsmonolog hält, der übergangslos in die simulierte Vergewaltigung von Grace kippt: Dann geht das unter die Haut. Leider nur wenige Minuten sind das in einem Abend, der vor lauter illustrierender Bösartigkeit sonst nicht zu wissen scheint, was er sonst noch will.

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