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"Die Wölfe sind zurück" in Potsdam: Im Schock begegnet

Die aggressiv anmutende Skulpturengruppe „Wolfsmenschen“ belebt den Alten Markt auf eine Art, die bisher undenkbar schien. Hier zeigt sich die Kraft der Kunst im öffentlichen Raum.

Potsdam - Der Platz ist so feindlich wie die Skulpturen. Wobei, bei den bronzenen Wölfen, die da auf den Hinterläufen stehen, die Pfoten nach vorne gestreckt, ist man sich nicht ganz sicher. In ihrer gierig-aggressiven Pose können sie fast etwas Mitleiderregendes haben. Wer hier wem ein Wolf ist, fragen auch die, die hier am Mittwochnachmittag vorbeikommen.

Touristen vor allem, ein paar Potsdamer auf dem Heimweg von der Arbeit. „Die heben alle den rechten Arm“, sagt einer, der gerade sein Kind aus der Kita abgeholt hat, er wirkt beunruhigt. Da ist ja auch noch der einzige goldene Wolf inmitten der Schwarzen, er scheint ein Anführer zu sein: „Das hatten wir doch schon mal – aber die Menschen werden auch nicht schlauer.“ „Blasphemie“, schimpft ein älterer Mann, der vor den beiden Schildern steht. „Wir schießen ja auch nicht auf Sie“, steht auf dem einen, „Wir sind harmlos“, auf dem anderen. Sie flankieren einen Wolf mit gezogener Waffe. Was genau er meint, erklärt der Mann nicht mehr, er stapft davon.

Viele bleiben stehen, machen Fotos von den Wölfen

Dabei ist es überhaupt erstaunlich, wie viele hier stehen bleiben, die Handys herausziehen, Fotos aus allen Perspektiven machen – und mit völlig Fremden ins Gespräch kommen. Aber vielleicht braucht es eben genau so eine Schockstarre, wie sie diese Skulpturengruppe auslöst, damit hier etwas Menschliches entsteht. Auf diesem Platz nämlich, wüst und weit und doch von Fachhochschule, Nikolaikirche, Potsdam-Museum und Landtagsschloss irgendwie eingeklemmt, hält sich niemand gerne auf. Nicht mal die FH-Studenten lungern hier herum – wo auch. Außer dem Wind, der hier um alle Ecken pfeift, und ein paar Stufen, gibt es hier nichts. Keinen Baum, keinen Strauch, keine Bänke, nicht mal ein Café.

Die Wölfe aber, die – mehr wie eine Armee denn ein Rudel – den Platz einnehmen, lösen so viel Verstörung und Ratlosigkeit aus, dass sie die Regeln dieses Nicht-Ortes brechen. Auch die Regeln des Miteinanders im Angesicht von Kunst übrigens. Oder wann hat man es je erlebt, dass sich Museumsbesucher vor einem Gemälde fragend angucken, um dann den schlimmsten Fauxpas aller Kunstbeflissenen zu begehen und den Nachbarn fragen: „Was soll’n das?“ Eher würde man sich ja die Zunge abbeißen als die eigene Ratlosigkeit einzugestehen. Schade eigentlich.

Ein Ort der Begegnung auf dem Alten Markt

Aber genau hier zeigt sich die Kraft der Kunst im öffentlichen Raum – auch wenn öffentlich hier nur ein toter Platz gelebten Historismus ist. Es zeigt auch, was dieser Platz sein könnte: ein Ort der Begegnung.

Was es tatsächlich mit den Wölfen auf sich hat, wird ab dem heutigen Donnerstag unter anderen Mohammed Ahmed erklären. Der 28-Jährige ist vor zwei Jahren aus Ägypten nach Deutschland geflohen. Von dort hat er einen Abschluss in Sozialpädagogik mitgebracht, jetzt studiert er weiter – hier an der FH. Vor allem dadurch, sagt er, habe er gelernt, Deutschland zu verstehen. „Jetzt will ich das vermitteln, an andere Flüchtlinge“, sagt er. Es gebe viele Probleme – die Übergriffe auf Frauen in der Kölner Silvesternacht etwa – und die könne man nur mit richtiger Integration bekämpfen. Im vergangenen Oktober sei er deshalb auch in die SPD eingetreten, sagt er. Und deshalb arbeitet er bei dieser Kunstaktion des Künstlers Rainer Opolka mit.

Der will genau das: dass die Menschen ins Gespräch kommen. Deshalb waren seine 63 „Wolfsmenschen“ – sie tragen Namen wie „NSU-Mann“, „Mitläufer“, „Blind Soldier“ – auch zuerst in Dresden zu sehen. Im Pegida-Land. Auch mit denen müsse man sich auseinandersetzen. Seine „Wolfsmenschen“ stehen Opolka zufolge symbolisch für „Hasser, Brandsatz-Werfer, Neo-Nazis, wütende Pegidisten und AfDler, die auf Flüchtlinge schießen wollen“. Die Assoziation zu der rechten erhobenen Pfote war also richtig.

Rainer Opolka, ein großer, sehniger Typ mit Piratenkopftuch, war nicht immer Künstler. Zusammen mit seinem Zwillingsbruder Harald machte er mit Taschenlampen ein Vermögen, jetzt wollen sie der Kommerzkultur etwas entgegensetzen. Am Alten Markt in Potsdam ist ihnen das – schon einen Tag vor der offiziellen Ausstellungseröffnung – geglückt: Jeder kann hier kommen, denken, sich austauschen.

„Die Wölfe sind zurück“ ist als Wanderausstellung für alle Landeshauptstädte geplant. In Potsdam wird sie ab heute bis zum 1. Mai am Landtag zu sehen sein, Berlin ist für den Herbst eingeplant.

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