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In der Collage "Russkiy mir 1.0" verbindet Anna Moskalets ein realistisches Ölgemälde mit einem Foto der kriegsversehrten Ukraine.

© Anna Moskalets

Die ukrainische Künstlerin Anna Moskalets: Der Stoff, aus dem Herkunft ist

Anna Moskalets lebte 63 Tage lang mit dem Krieg, bevor sie ihr Land verließ. Morgen stellt sie ihre Kunst im Potsdamer sans titre vor: Gemälde, die die Tücher ihrer Großmutter zum Thema machen.

Potsdam - Die Großmutter von Anna Moskalets lebt 1500 Kilometer weit weg und doch ist sie jeden Tag da. Die Enkelin lebt seit April in Berlin, die Großmutter in der Nähe von Romny, nordwestlich von Charkiw. Auch Anna Moskalets wuchs in Romny auf. Sie verließ die Provinz als sie 13 war, aber weit weg ging sie nicht: nach Charkiw. Dort studierte sie an der Staatlichen Kunstakademie. Dort kam sie auf die Idee, die bunten Tücher ihrer Großmutter zum Thema ihrer Kunst zu machen. Dort brach am 24. Februar der russische Angriffskrieg über sie herein. 

63 Tage lebte Anna Moskalets mit dem Krieg. An ihren großformatigen Bildern konnte sie nicht mehr malen – zu gefährlich. Das Atelier liegt im oberen Stockwerk eines Hauses. Die Gemälde zeigen mysteriöse, in geblümten Stoff gehüllte Figuren, die Gesichter verdeckt von den Stoffen, aus denen die Tücher ihrer Großmutter gemacht sind. Traditionelle bunte Muster, assoziiert mit Geburt, Heirat, Frausein – und ukrainischer Herkunft. 

Ein Ölgemälde, das traditionelle ukrainische Muster mit zeitgenössischen Elementen und feministischem Gestus verwebt.
Ein Ölgemälde, das traditionelle ukrainische Muster mit zeitgenössischen Elementen und feministischem Gestus verwebt.

© Anna Moskalets

Wie sich der Krieg in die Kunst einschrieb

Als Anna Moskalets nicht mehr in Öl arbeiten konnte, wandte sie sich digitalen Collagen zu, dazu reicht ein Laptop. Sie stellte ihre Gemälde vor Fotos, die die Realität in Charkiw und anderen ukrainischen Städten zeigen. Zerbombte Gebäude, zerstörte Straßen. So schrieb sich der Krieg in die Kunst von Anna Moskalets ein. Wenn sie arbeitete, schienen die lauten Sirenen, der ständige Bombenalarm, meist früh morgens, erträglicher.

„Die Kunst war wie eine Flucht für mich“, sagt Anna Moskalets. Sie sitzt im sonnigen Hof des Kunsthauses sans titre und zeigt auf dem Telefon, was ihr von ihrer Kunst im Berliner Exil geblieben ist: digitale Fotos. Es ist der Tag, bevor Kanzler Scholz das erste Mal in die Ukraine fährt. Der Angriffskrieg dauert bereits fast vier Monate. Kommentieren will Anna Moskalets die Politik von Olaf Scholz nicht. Sie sagt nur: „Es gut, dass er selbst sieht, was dort geschieht.“

Ölgemälde von Anna Moskalets, Jahrgang 1992, die in Charkiw lebte, und vor dem Krieg nach Berlin flüchtete.
Ölgemälde von Anna Moskalets, Jahrgang 1992, die in Charkiw lebte, und vor dem Krieg nach Berlin flüchtete.

© Anna Moskalets

Greetings from a bomb shelter

„Greetings from a bomb shelter in Kyiv!“, hatte sie am 3. März getwittert. „F*ck you, russkiy mir“, kommentierte sie dort eine ihrer Collagen. Sie zeigt ein zerstörtes Hochhaus, davor die Silhouette einer Frau mit einem Blumentopf in den Händen. Der Kopf steckt in einer schwarzen Plastikmülltüte. Das Gemälde hatte sie 2021 gemalt, in einer Zeit, als die politischen Spannungen zwischen der Ukraine und Russland größer wurden und Anna Moskalets das Gefühl hatte, zu ersticken.

Als der Angriffskrieg begonnen hatte, arbeitete sie nicht nur an ihrer Kunst. Sie wurde Teil einer „territorial defence group“, war zwischen Kiew und Charkiw unterwegs. Nicht mit der Waffe in der Hand, sondern als Botin, transportierte Kleidung und was eben nötig war. Irgendwann musste sie sich entscheiden, sagt sie: Bleiben und „bis zum Letzten gehen“? Oder Weggehen, um anderswo mit ihren eigenen Mitteln weiterzukämpfen, als Künstlerin.

Die ukrainische Künstlerin Anna Moskalets im Hof des Kunsthauses sans titre, wo sie am 19. Juni über ihre Arbeit spricht.
Die ukrainische Künstlerin Anna Moskalets im Hof des Kunsthauses sans titre, wo sie am 19. Juni über ihre Arbeit spricht.

© Andreas Klaer

Erfahrung auf der Biennale in Venedig, aber noch kein Atelier in Berlin

Sie rang lange mit sich, dann stieg sie in einen Zug. Nach drei Tagen war sie in Berlin. Die Verbindung nach Potsdam hat sich über zwei Künstler:innen ergeben, die hier ihr zuhause gefunden haben: Artem Volokitin und Tatyana Malinovskaya. Die beiden gehören in der Ukraine zu den bekanntesten zeitgenössischen Künstler:innen, jetzt arbeiten sie im Rechenzentrum. In Charkiw arbeitete Anna Moskalets zwei Jahre lang in deren Atelier mit, „eine große Ehre“, sagt sie. 

Auch Anna Moskalets hat schon bei der Biennale in Venedig ausgestellt, Werke von ihr befinden sich in Privatsammlungen nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Frankreich, Portugal, Polen, Großbritannien und den USA. In Berlin oder Potsdam hat sie noch kein Atelier gefunden. Am Sonntag werden Anna Moskalets, Tatyana Malinovskaya und Artem Volokitin mit der ukrainischen Fotografin Valeriia Buchuk im Kunsthaus sans sitre über ihre Kunst sprechen. Eine Ausstellung kann es nicht geben – die Werke der Künstler:innen mussten in der Ukraine zurückbleiben.

Stattdessen also: Austausch. „Sich solidarisch mit Künstlern in Not zu zeigen, gehört zur DNA des Kunsthauses“, sagt Werner Ruhnke vom Trägerverein sans titre e.V. „Und für uns ist das eine gute Gelegenheit, den weißen Fleck, der zeitgenössische Kunst aus der Ukraine für uns ist, mit Farbe zu füllen.“

„Ukrainische Künstler:innen zu Gast“, am Sonntag, den 19. Juni um 19 Uhr im Kunsthaus sans titre, Französische Straße 18

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