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Verletzt. Das beschädigte Antlitz des Kaisers wird im Neuen Palais gezeigt.

© SPSG

Kultur: Die tiefen Narben des Kaisers

Kieler Matrosen stürmten mit zerstörerischer Wut das Berliner Schloss, und auch das Porträt Wilhelms II. erhielt Risse. Im Neuen Palais blieb es ruhig

Das Porträt ist von Messern beschädigt. Vier große Schnitte gingen durch Gesicht und Schulterpartie. Wilhelm II. – so wie er sich gern inszenierte, mit operettenhafter Uniform, einem weißen Adlerhelm, den glänzenden Schaftstiefeln und dem fein gezwirbelten Schnurrbart, dazu Pferd und Hund – hat Löcher bekommen. Das großformatige Gemälde mit dem Gebieterischen und der markant-männlichen Botschaft musste für den Hass herhalten, mit dem man das deutsche Staatsoberhaupt ab November 1918 bedachte.

Kieler Matrosen, die unbedingt das Ende des Ersten Weltkrieges herbeisehnten und die Novemberrevolution entfachten, die die Abdankung des Kaisers forderten sowie die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten befürworteten, kämpften 1918 auch in der Machtzentrale Berlin auf eigene Rechnung. Unterstützung fanden sie bei den Arbeitern der Reichshauptstadt. Den Start für eine politische Neuordnung wollten sie mit allen Mitteln durchsetzen. Das Berliner Schloss, die Residenz des Ex-Monarchen, durchstreiften die Aufständischen mit unberechenbarer zerstörerischer Wut. Der Kaiser war seit dem 10. November nicht mehr in Deutschland, sondern im holländischen Exil. Sein Reichskanzler Max von Baden erklärte ohne Rücksprache mit dem Kaiser dessen Verzicht auf die Krone nach 30 Jahren Herrschaft. Am 9. November 1918 verkündete der SPD-Politiker Philipp Scheidemann vom Berliner Schloss aus das Ende der Monarchie. Einige Tage später erklärte Karl Liebknecht, Deutschland sei von nun an eine „freie sozialistische Republik“.

Auch das großformatige Gemälde mit dem Porträt Wilhelm II. geriet in die Hände der Revolutionäre. Der Respekt vor ihrem einstigen Souverän war dahin und der Maler Philip Alexius de Laszlo (1869-1937) geriet natürlich in die monarchistische Schublade. Der gebürtige ungarische Künstler war um 1900 an fürstlichen Höfen und beim Geldadel Europas einer der gefragtesten Porträtisten. Das Gemälde findet man nun restauriert in der Sonderausstellung „Kaiserdämmerung – das Neue Palais 1918 zwischen Monarchie und Republik“ im größten Schloss des Parks Sanssouci. Der Bauherr Friedrich der Große nannte es bekanntlich selbst ironisch Fanfaronade. Wilhelm II. hätte dagegen seine öffentlichen Gebaren nie als Fanfaronade bezeichnet. Sie gehörten zu seiner Lebensphilosophie.

Während die Aufständischen bis zum 24. Dezember 1918 das Berliner Schloss besetzt hielten, wurde das Neue Palais, das letzte und bevorzugte Residenzschloss des Kaiserpaares, weitgehend von Unruhen verschont. Zwar wählte am 10. November die Wache des Neuen Palais einen Soldatenrat, der die Standarte der Kaiserin Auguste Victoria vom Neuen Palais einholte, doch im Schloss war es weitgehend ruhig. Angespannt waren aber die Nerven der Monarchin, der Familie und des Hofes. Doch die Potsdamer Garnison übernahm den Schutz des Neuen Palais und der Kaiserin. Auguste Victoria setzte alles daran, ihrem Mann ins Exil zu folgen. Am 27. November erhielt sie die Erlaubnis Deutschland zu verlassen. Sofort reiste sie vom Kaiserbahnhof Richtung Holland, wo ihr Mann sie im Schloss Amerongen erwartete. Dort unterzeichnete er am 28. November seine Abdankungsurkunde. Auguste Victoria sollte aber nach Potsdam zurückkehren. Für immer. Am 11. April 1921 starb sie im Huis Doorn nach schwerer Krankheit. Im Antikentempel am Neuen Palais wurde sie beigesetzt. 200 000 Menschen säumten die Straßen Potsdams, um Abschied von ihr zu nehmen.

Das prachtvolle Gemälde von Philip Alexius de Laszlo, sieben Jahre vor dem Ende der Monarchie entstanden, erscheint heute wie ein letztes Aufbäumen von protzigem Machtgebaren und Borniertheit. 1911 fühlte sich Wilhelm noch sicher. Klaus Büstrin

„Kaiserdämmerung – das Neue Palais 1918 zwischen Monarchie und Republik“, Neues Palais, bis 12. November, Mittwoch bis Montag, 10 bis 17.30 Uhr

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