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In der Tradition konkreter Kunst. Die skulpturalen Arbeiten von Dagmar Weissinger korrespondieren im Kunstraum mit der Malerei des Berliners Klaus J. Schoen.

© Carlotta Thomas

Kultur: Die Suche nach der reinen Farbe

Der Kunstverein Kunsthaus kombiniert zwei konstruktivistische Positionen

Mit einem Zahneisen hat Dagmar Weissinger das Feld aus Schiefersteinen bearbeitet. Zu einem Rechteck zusammengefügt hängen die Platten an der Wand im Kunstverein Kunsthaus Potsdam. „Mit dem Zahneisen kann man Unebenheiten und Überstehendes an Skulpturen weghauen“, erklärt die Bildhauerin.

Die Fläche, die Weissinger aus dem bearbeiteten Travertin geschaffen hat, besteht aus einzelnen Platten. Auf denen sind die Spuren der Eisen zu erkennen. Es finden sich darauf aber auch weiße Flecken. Die rühren offenkundig nicht vom Stein her und sind nachträglich aufgebracht. Es könnten zufällige Verunreinigungen sein. Das aber würde der an sich sehr präzisen Arbeitsweise Weissingers wiedersprechen. „Das ist mit dem Computer digital gedruckt“, erklärt die in Berlin lebende Künstlerin. Die Spuren des Zahneisens hat sie von einer der Platten gescannt und dann mit einem Digitaldruck das weiße Muster der Spuren auf die unebenen Platten übertragen. Ein sehr aufwendiger Prozess.

Das rechteckige Feld aus Schieferplatten ist eine Hommage an Hans Marek, einen Künstler und verstorbenen Freund Weissingers. Sonnenlicht speichere sich besonders gut in Schiefer, die Steine würden im Sommer sehr warm, erklärt Weissinger. Mit der Form der Rechtecke habe sie das Atelierfenster des Künstlers in verkleinerter Form nachgebildet. Das Helle und das Licht, das an sich durch die einzelnen Scheiben falle, sei ins Dunkel gekehrt.

Sehr genau beachtet die Künstlerin die Inszenierung ihrer Arbeiten. Jede Ausstellung sei neu und anders, so Weissinger. Mit der gegenwärtigen im Kunstverein Kunsthaus allerdings ist sie recht glücklich. Denn hier korrespondieren ihre skulpturalen Arbeiten bestens mit der Malerei des 1931 geborenen Klaus J. Schoen, der ebenfalls in Berlin lebt. Die Werke beider Künstler sind der Tradition konkreter Kunst verhaftet. Klaus J. Schoen experimentiert mit der Form der Leinwände, mit verschiedenfarbigen und unterschiedlich formatierten Flächen. Aber er vermeidet ebenso wie Weissinger jede naturalistische oder narrative Formgebung. Es geht um den reinen Klang, die reine Farbe, den Dialog aus der Fläche heraus mit der Umgebung, um die Frage, wie weit sich eine Form reduzieren lässt und dennoch als eigenständiges Kunstwerk bestehen und mit anderen Werken korrespondieren kann. In ihrer Reduktion auf zumeist eckige Formen treffen sich die beiden Künstler.

Weissingers Arbeiten allerdings lassen stets auch weitere Bezüge erkennen, die sich aus dem Material und dem Ort ergeben, für den die meist flächigen Skulpturen entstehen. Häufig schafft sie große Plastiken im öffentlichen Raum. Das Material besorgt sie sich aus Steinbrüchen, arbeitet mit den Überresten, mit den Steinen, die für die industrielle Verwertung nicht passend sind. Der meist verwendete Schiefer mit seinem dunkelgrauen, fast schwarzen Farbton mutet schon an sich ein wenig sakral an. Vielleicht deshalb hat Weissinger mehrfach Skulpturen mit religiösem Bezug geschaffen. Zwei Paare von kombinierten Schiefertafeln, in deren Mitte jeweils ein Spalt freigelassen ist und die in der Zusammenstellung ein Kreuz ergeben. Eine Platte, aus der mit Wasserstrahltechnik das Wort „Dekalog“ als Verweis auf die zehn Gebote herausgefräst ist – und die sie mit Tafeln kombiniert, auf denen mit einer Punktnotierung Verweise auf den Dekalog stehen. In einen anderen Stein hat sie eine schmale Rinne gefräst und diese dann mit der Hand geschliffen und poliert. Die Rinne glänzt wie ein schnurgerader Bach, der sich durch ein Feld aus unregelmäßigen Ackerfurchen frisst.

Die 1942 geborene, ehemalige Lehrerin Weissinger war sich anfangs gar nicht so sicher, ob die Bildhauerei denn auch der richtige Beruf für sie sein würde. Aber sie beteiligte sich an Wettbewerben, Freunde rieten ihr, den Lehrerberuf an den Nagel zu hängen und sich ganz auf ihre Kunst zu konzentrieren. Den Entschluss bestätigten weitere gewonnene Wettbewerbe. Die Arbeit mit dem schweren, unbehauenen Stein, die Konzentration auf die reduzierte Form fällt auf in der meist männlichen Bildhauerzunft. Vielleicht wegen der scheinbaren Simplizität der Form umgibt einige der Arbeiten eine nahezu metaphysische Aura.

Im Gespräch allerdings ist von der verinnerlichten Komplexität der Skulpturen Weissingers nichts zu spüren. Eine sehr lebhafte, kraftvolle, kompakte Frau erklärt fröhlich, wie sie an ihre Arbeiten herangeht und wo die Schwierigkeiten der Materialbeschaffung und Konzeption der Arbeiten liegen. Sie weist auf eine Reihe von Blöcken, die sie aus einem großen Quader herausgebrochen hat und an deren Seiten noch die Spuren des Steinbruchs und der maschinellen Schleifarbeiten zu sehen sind. Die schräg stehenden Blöcke wiegen mehr als zwei Tonnen. Eine spezielle Verstärkung auf dem Boden des Kunstverein Kunsthaus war notwendig, damit die Arbeit dort aufgestellt werden konnten, ohne weitere Schäden zu hinterlassen. Ein Statiker hat die Stabilität der sehr schräg stehenden Skulptur untersucht und nachgerechnet. Die Komplexität des Herstellungsprozesses ist der Arbeit dennoch nicht unmittelbar anzusehen. „Soll das doch einer nachmachen“, sagt Weissinger. „Da wird er schon sehen, wie schwierig das ist.“ Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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