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Kultur: Die schöne Unbekannte

Die „Vagina-Monologe“ von Eve Ensler hatten auf dem Theaterschiff erfolgreiche Premiere

Nomen est Omen. Die korrekte Bezeichnung „Vagina“ klingt beinahe wie eine Infektionskrankheit. Völlig unerotisch. Das deutsche Wort „Scheide“ ist auch nicht viel besser. Zu funktional und einigermaßen männlich dominiert. Sinnlicher und um einiges liebevoller klingen zumindest das bayerische „Bitschigogerl“, das schwäbische „Mößle“ oder die im Jiddischen als „Schmende“ bezeichnete Weiblichkeit. Es gibt auch ziemlich viele derbe oder gar vulgäre Bezeichnungen dafür.

Die amerikanische Journalistin Eve Ensler führte in den 90er Jahren über 200 Interviews mit Frauen aller Altersstufen, aus unterschiedlichen Kulturkreisen und Professionen über das weibliche Geschlecht, denn sie machte sich „ernsthafte Sorgen“ um unser aller Verhältnis zu ihr. Aus diesen Gesprächen entstanden ihre inzwischen weltweit berühmten „Vagina-Monologe“, die seit 1997 ihren Siegeszug auf Theaterbühnen antraten. Auf dem Theaterschiff kamen diese unter der Regie von Constanze Jungnickel zur Premiere. Und konnte man in den Kritiken von Aufführungen früherer Jahre noch lesen, dass Männer in der absoluten Minderheit unter der Zuhörerschaft waren, ergab sich hier vor Ort ein völlig anderes Bild. Männer von 20 bis etwa 70 saßen neben ihren Frauen oder waren allein gekommen und machten etwa ein Drittel des Publikums aus.

Constanze Jungnickel hatte drei junge Spielerinnen – Doerthe Bandt, Karen Schneeweiß und Diana Wintrich – ausgewählt, die entweder solo oder gemeinsam Passagen wie „Haare“, „Meine Vagina war ein Dorf“ oder „Ich war zwölf“ gestalteten. Zu jeder neuen Szene kleideten sie sich vor aller Augen um, schlüpften in weiße Kleider oder ebensolche Kostüme und zwischenzeitlich in rote Bademäntel. Auf verschiedenen Podesten, die sich über den ganzen Schiffsrumpf verteilten, nahm dann jeweils eine von ihnen Platz und erzählte ihre ganz „persönliche“ Geschichte: Die alte Frau – wunderbar brüchig, manchmal ein wenig zu „nörglig“ Doerthe Bandt, die in ihrer Jugend ein geradezu überwältigendes, aber ebenso traumatisches Erlebnis hatte und ihre Sexualität danach nur noch in Träumen auslebte. Eine bosnische junge Frau – großartig Karen Schneeweiß – die von ihren Gefühlen vor und nach der brutalen Vergewaltigung durch Soldaten in einprägsamen Bildern erzählt und dabei verloren hin- und herschaukelt. Oder die Lesbierin – supercool Diana Wintrich – die von ihren Sexpraktiken berichtet und dabei genüsslich frische Erdbeeren verspeist.

Constanze Jungnickel hatte schöne Ideen, um den manchmal provokanten aber niemals zudringlichen Text in seiner Gefühlsbreite und –tiefe spielerisch umzusetzen. Klasse, die Passagen als sich alle drei Frauen fast beiläufig beim Auswickeln von Bonbons mit der ersten Menstruation und den Reaktionen ihrer Umwelt darauf beschäftigen. Und locker und zugleich nachdenklich machend die Antworten, die auf die Fragen „Was würde deine Vagina sagen, wenn sie sprechen könnte“ oder „Was würde sie anziehen“ vom Band eingesprochen werden. Wunderbar anzusehen war auch das stille Lächeln eines etwa 70-jährigen Mannes im Publikum, als die Teilnehmerin eines sogenannten Vagina-Workshops (Diana Wintrich) von ihren Entdeckungen und der besonderen Schönheit der Unbekannten erzählte. Greifbar wurde, dass Enslers Text gerade auch in unseren „aufgeklärten“ und anscheinend tabulosen Zeiten, man denke an Charlotte Roches „Feuchtgebiete“, noch eine Menge Stoff zum Nachdenken und auch Fühlen bietet. Herzlicher Applaus für eine überraschende und berührende Inszenierung. Astrid Priebs-Tröger

Nächste Vorstellungen am 18. und 25. Juni, 19 Uhr, auf dem Theaterschiff

Astrid Priebs-Tröger

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