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Kultur: Die Rübe der Revolution

Eine Ausstellung im ZZF zeigt politische Plakate aus den ersten Jahrzehnten der Sowjetunion

Die sowjetische Rübe steckt fest im Boden. Jetzt greift das Kapital nach ihr, fasst in das Laub der Knolle und möchte sie herausziehen. Doch die rote Rübe lässt das nicht mit sich machen. Sie bleibt im Boden verwurzelt. Nun eilt die Konterrevolution dem Kapital zur Hilfe, es folgen die Sozialdemokraten und schließlich auch die Saboteure. Mit vereinten Kräften versuchen sie alle, der sowjetischen Rübe zu Leibe zu rücken. Endlich guckt die Knolle ein großes Stück aus dem Boden – die hartnäckige Pflanze entpuppt sich dabei jedoch als ein menschlicher Kopf mit Uniformmütze – was sich als gefährlich erweist für die Angreifer: Denn mit einem kräftigen Luftstoß aus dem Mund pustet das soldatische Rübengemüse eins, zwei fix seine Gegner weg, die dabei regelrecht durch die Luft gewirbelt werden.

Gezeichnet hat diese Szenen der russisch-sowjetische Grafiker Dmitri Moor im Jahre 1920, mitten im russischen Bürgerkrieg. Der Künstler, einer der Begründer des politischen Plakats in Russland, hatte in jener Rübenzeichnung Anleihe bei einem bekannten russischen Märchen genommen. Ein Druck dieses Plakats ist derzeit im Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschungen (ZZF) zu sehen. In der Bibliothek der Forschungseinrichtung am Neuen Markt sind insgesamt 28 Propagandaplakate aus Russland und der Sowjetunion ausgestellt. Die Drucke stammen aus einer Mappe, die der Historiker und frühere Potsdamer Universitätsprofessor Christoph Kleßmann vor Jahrzehnten in der alten Bundesrepublik erworben hatte. Der Verein der Freunde und Förderer des ZZF hat jetzt diese Ausstellung ermöglicht. Der Titel der Schau: „OKHA – Fenster – Sowjetische Plakate als Fenster zum Kommunismus“.

Genau 100 Jahre nach der Oktoberrevolution in Russland ist damit nun in Potsdam Propaganda aus der einstigen Zentrale des Sozialismus zu sehen. Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen scheint das Geschehen nicht sonderlich stark präsent zu sein, jedenfalls ist im Grundrauschen der Gedenkkultur hierzulande eher wenig davon zu vernehmen. Dabei hatten die Folgen der russischen Revolution bekanntlich mehrere Jahrzehnte das Leben jedes Einzelnen im östlichen Teil Deutschlands geprägt. Und wäre jener sowjetische Vasallenstaat zwischen Elbe und Oder nicht vor 27 Jahren als Fußnote der Weltgeschichte dahingeschieden, so wären heute zwischen Ostsee und Erzgebirge Jubelfeiern und Massenaufmärschen zu erleben, Funktionäre in Feierlaune sowie Fahnenmeere. 100 Jahre Große Sozialistische Oktoberrevolution.

Schon in der Zeit der russischen Revolution waren die politischen Plakate ein Mittel der Agitation, um die Bevölkerung auf dem Weg zum Kommunismus mitzunehmen. Die russische Nachrichtenagentur Rosta gab von September 1919 bis März 1922 eine Vielzahl dieser Plakate heraus, zuerst nur in Moskau, später auch in anderen Orten wie Petrograd (heute Sankt Petersburg) oder dem ukrainischen Odessa. Schätzungen zufolge hat es zwischen 1500 und 1800 unterschiedliche Rosta-Plakate gegeben. Die Zahl der aufgehängten Exemplare war allerdings ungleich höher, „da die jeweiligen Ausgaben manuell vervielfältigt wurden“, wie die Sprachwissenschaftlerin Renate Kummer in ihrer Dissertation mit dem Titel „Nicht mit Gewehren, sondern mit Plakaten wurde der Feind geschlagen!“ schreibt. Die ersten dieser Propagandazeichnungen wurden in die Schaufenster leerstehender Läden in Moskau gehängt – daher der Name Rosta-Fenster. Die Idee, solche „Fenster“ zu produzieren, stammt, so Kummer, von dem russischen Grafiker Michail Tscheremnych. Die Nachrichtenagentur Rosta arbeitete dazu mit Künstlern zusammen, unter ihnen der Schriftsteller Wladimir Majakowski, die in schneller Folge die Plakate entwarfen. Die Zeichnungen waren ein Mittel, um in den frühen 1920er Jahren „die großenteils analphabetische städtische Bevölkerung agitatorisch-propagandistisch zu erreichen“, schreibt Kummer. Die abgebildeten Motive sind politisch, häufig wurde eine drastische Bild- und Textsprache gewählt. So zeigt beispielsweise das von Dmitri Moor 1920 entworfene Plakat „Wrangel lebt noch - erledige ihn ohne Gnade!“ einen Rotarmisten, der einen Dolch über seinen Kopf schwingt, um damit Pjotr Wrangel, einen Anführer der Weißen, zu töten.

Dieses Plakat ist in der Potsdamer Ausstellung ebenfalls zu sehen. Die maßgeblich von der Historikerin Ekaterina Akopyan gestaltete Schau widmet sich ebenfalls der sowjetischen Plakatkunst späterer Jahre. Aus dieser Zeit stammt die überwiegende Zahl der Potsdamer Exponate. Zeitlich endet die Ausstellung mit einem Plakat, das Juri Gagarin zeigt, der 1961 als erster Mensch ins Weltall flog.

„OKHA - Fenster“ ist bis 30.März 2018 in der Bibliothek des ZZF, Am Neuen Markt 9 d, zu sehen.

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