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Armand Guillaumin beim Malen von „Badende bei Crozant“, fotografiert 1907 von Antonin Personnaz.

© Société française de photographie

Die Revolution der Realität: Als die noch junge Fotografie der impressionistischen Malerei voraus ging

Am Samstag startete die Ausstellung „Eine neue Kunst. Photographie und Impressionismus“ im Potsdamer Museum Barberini.

Potsdam - „Von heute an ist die Malerei tot“, soll der französische Maler Paul Delaroche ausgerufen haben, als er bald nach 1839 erstmals eine Daguerreotypie sah, die eben erfundene erste, mit einer Kamera aufgenommene Fotografie. Ihn selbst muss die sensationelle Neuschöpfung noch am wenigsten tangiert haben, gefeierter Maler von Historienbildern, der er war. Aber die Rolle der Malerei als Aufzeichnungsmedium für die physische Wirklichkeit war ein für alle Mal erschüttert und nach wenigen Jahrzehnten erledigt.

Die Impressionisten, die erst dreißig Jahre nach Delaroches Diktum auftraten, waren bereits mit der Fotografie aufgewachsen. Sie mussten sich als Maler nicht mehr mit der Fotografie um das Vorrecht der Wirklichkeitsabbildung streiten. Das heißt nicht, dass die Malerei ihr angestammtes Feld kampflos geräumt hätte. Im späten 19. Jahrhundert stand „realistische“ und „naturalistische“ Kunst in hoher Blüte, und die Fotografie wurde von den Hütern der Tradition als unwürdig missachtet. Aber die jungen, teils auf der Sonnenseite der Gesellschaft aufgewachsenen Künstler kannten natürlich die Fotografie und das Bestreben ihrer besten Vertreter, ihr Handwerk als Kunst von musealem Rang anerkannt zu sehen. Sie tauschten sich mit Fotografen aus und beobachteten die neuen Blickwinkel, die die Fotografie ermöglichte.

Was aber die Fotografie leistete, wie sie sich ihr Terrain eroberte und mit der Fortentwicklung der Technik immer umfassender bestellen konnte, davon handelt die Ausstellung „Eine neue Kunst. Photographie und Impressionismus“ mit der das Potsdamer Museum Barberini diesmal den Fokus ganz auf die Lichtbildnerei lenkt. 156 Arbeiten von 70 verschiedenen Autoren sind zu sehen, darunter Inkunabeln wie die Wolkenbilder Gustave Le Grays oder die Waldszenen von Henri Le Secq. Den Vergleich mit entsprechenden Gemälden unternimmt die Ausstellung allerdings nicht. Das leisten einige der Beiträge im Katalog; anders als in Madrid, wo das Museo Thyssen-Bornemisza 2019 beide Medien nebeneinander gezeigt hatte.

[„Eine neue Kunst. Photographie und Impressionismus“, Potsdam, Museum Barberini, bis 8. Mai. Katalog bei Prestel, 34 €.]

Für den Privatgebrauch blieb die Fotografie bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zu unhandlich und teuer. Nur wohlhabende Amateure wagten sich auf dieses Gebiet mit seiner bisweilen die Malerei bis in die Haptik nachahmenden Technik. Noch auf Jahre hinaus war es einfacher, mit dem Skizzenblock, ja selbst mit Staffelei und Palette in die Natur zu ziehen, als mit Plattenkamera und Glasnegativen. Mit was für Ungetümen die ersten Fotografen sich abplagen mussten, einschließlich der am Ort in einem zeltartigen Überwurf zu bewerkstelligenden Entwicklung der Glasnegative, das zeigt der zweite Raum des Rundgangs. Eigentlich hätte diese Sammlung wundersamer Gerätschaften an den Anfang gehört, um zu unterstreichen, dass die frühe Fotografie Ergebnis präziser Planung und harter Arbeit war und keine Knipserei nebenher.

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Natürlich setzten die Protagonisten der Fotografie alles daran, immer schnellere Bewegungen, immer flüchtigere Erscheinungen festzuhalten, der Malerei zumal in ihren Gebieten von Landschaft und Stillleben Konkurrenz zu machen. Nach solchen Themen gegliedert und auf die impressionistische Perspektive ausgerichtet ist die Ausstellung des Barberini: „Himmel und Meer“, „Waldbilder“ und „Land und Fluss“; demgegenüber steht Paris als „Zentrum der Moderne“. So wird deutlich, dass sich Fotografie und Malerei nicht etwa die Aufgaben nach objektiver Dokumentation und subjektivem Eindruck geteilt hätten, sondern dass die Fotografie aller Kunst Konkurrenz machte, auch dem Impressionismus.

Die grandiosen Studien von Wolken, Wellen und Sonnenschein, die Gustave Le Gray in den 1850er Jahren anfertigte, die gleichzeitigen Waldszenen von Henri Le Secq oder etwas später von Eugène Cuvelier gehen jedenfalls der impressionistischen Malerei zeitlich weit voraus. Ebenso mag man rätseln, ob Claude Monet die 1870 entstandene Fotografie der „Heuhaufen“ von Alphonse Taupin kannte, als er anderthalb Jahrzehnte später begann, ebendieses Motiv zu malen – um zu erproben, was die Fotografie noch nicht vermochte, nämlich das Wechselspiel der Farben in Licht und Schatten. Es ist gut, dass das Barberini ausschließlich auf Fotografie setzt: Eine solche Ansammlung von Himmelsbildern Le Grays oder Landschaften von André Giroux hat man kaum je besichtigen können. Da hat die Fotografie, ungeachtet ihrer Jugend, bereits in ihre Frühzeit eine nie wieder übertroffene Qualitätsstufe erklommen.

Aus der Kinderstube der Fotografie: Gustave Le Grays Aufnahme "Große Welle" von 1857.
Aus der Kinderstube der Fotografie: Gustave Le Grays Aufnahme "Große Welle" von 1857.

© Céline, Aeneas, Heiner Bastian

Ähnliches gilt für die Dokumentation der Pariser Bauten und Projekte. Dank der Verwendung großformatiger Plattenkameras konnte bis ins kleinste Detail festgehalten werden, wie grundstürzend sich das Inventar der Stadt wandelte. Die gezeigten Aufnahmen von Charles Marville oder Auguste Collard bilden nur die Spitze der enormen Bestände, die in Pariser Bibliotheken, Archiven und Museen bewahrt werden – und die der Interessent sich vorlegen lassen kann.

Bleibt das Problem der Farbe. Der überwiegende Teil der ausgestellten Werk ist schwarz-weiß. Erst mit dem 1907 vorgestellten, technisch anspruchsvollen Autochromeverfahren der Gebrüder Lumière ließen sich wirklichkeitsnahe Farbbilder schaffen. Aufgrund der langen Belichtungszeiten boten sich bewegungslose oder gestellte Motive an. So hat Antonin Personnaz, einer der ersten Anwender der Autochromie und wohlhabender Amateur, stille Gewässer oder Heuschober aufgenommen, aber auch Fabriken mit gleichmütig rauchenden Schloten und, witzigerweise, den Impressionisten der ersten Stunde, Armand Guillaumin, beim Malen en plein air. In Deutschland wurde Heinrich Kühn zum bedeutendsten Vertreter der weich zeichnenden Richtung des Piktorialismus, die denn auch bald als eigenständige Kunstform anerkannt wurde.

Im Barberini werden die Autochrome, die so etwas wie Diapositive sind, im Mittelsaal des Obergeschosses in größtem Format digital projiziert, dazu an den Seiten in Formaten bürgerlicher Malerei. Das hat man so eindrucksvoll noch nie gesehen; es soll aber zur Blütezeit der Autochromie um 1910 ähnlich gehandhabt worden sein, sogar in diesem Gebäude, das einst auch einen Vorführsaal beherbergte. Die von der Technik vorgegebenen blässlichen Farben und weichen Konturen bildeten Künstler wie Heinrich Kühn zu Kompositionen aus, die den Zeitgeist von Jugendstil und Lebensreform in sich tragen.

Den Rang der Fotografie als Kunst bestätigt die Potsdamer Ausstellung aufs Schönste. Sie geht über den titelgebenden Impressionismus hinaus; jedenfalls, wenn man ihm das berühmte Wort von Charles Baudelaire unterlegt: „Die Moderne ist das Flüchtige, das Vergängliche, das Zufällige, die Hälfte der Kunst, deren andere Hälfte das Ewige und Unveränderliche ist.“ Die Fotografie hat von Anfang an beide Hälften der Baudelaire'schen Definition erstrebt – und sie erreicht.

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