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Musik zum Fühlen. Die Intersonanzen 2017 wurden am Freitag mit einer Ausstellung von Klangkunstwerken eröffnet. Leiter Thomas Gerwin stellte sein Fühlklavier vor.

© Sebastian Gabsch

Kultur: Die Posaune dräut, das Käutzchen klagt

Humorvoll und technizistisch, analog und digital: Der Auftakt der Intersonanzen 2017

Eine lebhafte Truppe ist das, die sich da am Freitagabend zur Eröffnung des Brandenburgischen Festes der Neuen Musik im oberen Stockwerk des Kunsthauses Sans Titre versammelt. Es wird geplaudert wie bei einem Familientreffen. In der Tat gehören viele Anwesende schon seit der Gründung des Festivals Intersonanzen vor 17 Jahren dazu. Dass die Neue Musik einen festen Platz im musikalischen Angebot des Landes hat, betont auch Staatssekretärin Ulrike Gutheil und findet, dass sich das Festival nicht aktueller positionieren könne. Auch die neue Potsdamer Beigeordnete des Oberbürgermeisters Noosha Aubel findet freundliche Worte und zitiert den Geiger Yehudi Menuhin: „Die Musik spricht für sich allein, vorausgesetzt, wir geben ihr eine Chance.“

Die erste Gelegenheit dazu gibt die Flötistin Sabine Vogel. In ihrem Stück „Cairn“ führt sie einen audiovisuellen Dialog mit sich selbst. Auf einer Wandprojektion sieht und hört man die Musikerin in einem herben und windigen Gelände. Im Boden stecken eine ganze Reihe von hölzernen Stäben. Es rauscht und pfeift ganz beträchtlich. Die davorstehende Flötistin spielt live diverse fragmentierte Laute – ein solipsistisches Spiel mit der Natur, denn bei den Stäben in der Erde handelt es sich um indische Bambusflöten, die vom Wind intoniert werden.

Anschließend kann man sich im Kunsthaus Partituren, Gemälde und Installationen ansehen. Da gibt es etwa das kuriose Fühlklavier von Thomas Gerwin, dem neuen Leiter der Intersonanzen. Wenn man auf eine der großen, mit unterschiedlichen Materialien bezogenen Tasten drückt, erklingen Geräusche, die möglichst im Gegensatz zu dem erfühlten Stoff stehen. Gerwin berichtet von einem blinden Organisten, der ein einstündiges Konzert damit gegeben habe. Von dem US-amerikanischen Künstler Benoit Maubrey werden atmende Koffer gezeigt, zudem gibt es eine ausgeklügelte elektroakustische Installation von Lothar Voigtländer, Partituren von Stefan Lienenkämper, der auch mal den Dirigierstab als Toninstrument einsetzt, oder Bilder von Irina Emeliantseva, die zu ihren synästhetischen Kompositionen passen. Philosophische, humorvolle, technizistische, analoge und digitale, große Opern und kleine Werke finden sich hier nebeneinander.

Das weite, intellektuelle Spielfeld der Interessen und Themen setzt sich im Eröffnungskonzert fort. Es wird von den fünf Mitgliedern der Band Lux:nm bestritten, die in verschiedenen Kombinationen auf Saxofon, Posaune, Akkordeon, Violoncello und Keyboard/Toypiano spielen und ihre Stimmen einsetzen. Der Komponist Alex Nowitz schrieb ein Lamento über den Ausgang der amerikanischen Wahlen 2016, das auf einem eigenen Text basiert. Die Musiker flüstern und rezitieren mit Aplomb, die Posaune dräut wagnerisch, ein Käuzchen klagt – alte Formen mit gar nicht so neuen Mitteln.

Konservativ mutet auch das Ambiente an: Andächtiges Lauschen scheint gefordert zu sein, der strenge Theodor W. Adorno, der der Musik jeden Unterhaltungswert austreiben wollte, blickt von oben in die Runde der Eingeweihten. Ob er jedoch bei manchen Darbietungen von Musik sprechen würde, ist eine offene Frage. Arne Sanders Stück „ETYM III“, das von Arno Schmidts elitärem Megatext „Zettels Traum“ inspiriert wurde, treibt in oszillierenden Höhenflügen von Akkordeon und Saxofon dahin. Anton von Weberns konzentrierte Klangsprache lässt grüßen. Die Fluxus-Bewegung spiegelt sich in Jef Chippewas „cabinet de curiosité“ (Kuriositäten-Kabinett), in dem die Musiker die heterogensten Dinge und Klänge dem Publikum präsentieren: knarzender Celloton, Pingpongbälle, Hupe, Nussknacker oder eine Hotelklingel. Wer wird hier zum Narren gehalten, die Musiker, das Publikum oder alle zusammen?

Was die fünf Musiker wirklich können, zeigt sich in den folgenden Werken. Ralf Hoyers „fünfspiel“, eine Reminiszenz an Dave Brubecks „Take five“, wirkt ambitioniert und entpuppt sich als überlanges Stück mit wabernden Tremoli und blubbernden Bässen, dem gegenüber die knappe Nonchalance des Originals umso mehr auffällt. Formstrenge und Innovation prägen das Werk „Dimension 5“ von Péter Köszeghy. Hier kommen die Qualitäten der fünf Instrumente zur Geltung, aber Köszeghys Werk hat auch einen reellen, individuellen Sound, irgendwo zwischen Postminimalismus, ungarischem Groove und düsteren Grabesklängen – da steigen die Zombies aus der Gruft oder die Aliens aus dem Weltall herab.

Im folgenden Konzert stand dann das Akkordeon im Zentrum. Die vielfach ausgezeichnete junge Solistin Nea Torkar zeigte mittels moderner Kompositionen, was alles in der alten Quetschkommode drin steckt, wenn sie von einer begnadeten Musikerin wie ihr gespielt wird. Da hätte sicherlich auch Adorno wohlwollenden Beifall gespendet. B. Kaiserkern

B. Kaiserkern

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