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Kultur: Die Natur und ihr Dahinter

Die israelische Künstlerin Yehudit Sasportas stellt erstmals in Potsdam aus

Eine Welt im Aufbau. In der Natur draußen spielt die Sonne am Freitagmorgen schon mal Frühling, drinnen in der Villa Schöningen hängen, liegen, stehen großformatige Landschaftsbilder in SchwarzWeiß. Sie warten darauf, aufgehängt zu werden, am Sonntag eröffnet hier die neue Ausstellung. Nein, keine Landschaftsbilder, wird die Künstlerin Yehudit Sasportas später sagen. Sondern: Innere Landschaften, mental landscapes. Seelenlandschaften könnte man sie auch nennen. Es sind Bilder, die der Natur, dem Menschen, der Gesellschaft hinter die Fassade sehen wollen. Röntgenbilder eigentlich. Ebenso wird Yehudit Sasportas sie später beschreiben – als Antwort auf die Frage, warum die Welt, die sie zeigt, immer schwarz-weiß ist.

Yehudit Sasportas, geboren 1969 in Ashdod, gilt als eine der wichtigsten zeitgenössischen Künstlerinnen Israels. Als sie an diesem Freitag durch die noch halbleeren Museumsräume der Villa Schöningen streift, verbreitet sie eine Stimmung, als hätte man alle Zeit der Welt. Vielleicht ist schon diese Gelassenheit Teil der Weltsicht von Yehudit Sasportas: eine Weltsicht, die mehr kennt als nur einen Ort, nur eine Zeit. In den Arbeiten von Yehudit Sasportas umgarnen und durchdringen sich veschiedenste Ebenen: Sie zeigen wiedererkennbare Umrisse von Bäumen und Seen, Zweigen und Blattwerk – und wirken doch fern, traumverzerrt, surreal. Als würde man so lange in das Erkennbare hineinsehen, bis es einem wieder fremd wird.

Dieser abstrahierende Blick auf Vertrautes ist ein wesentlicher Impuls für ihre Arbeit, erzählt Yehudit Sasportas in der Bibliothek der Villa Schöningen, oben unterm Dach. Das ganz Nahe verstehen, indem man versucht, es zu neutralisieren. Ja, neutralisieren: Für Sasportas ergab sich das Bedürfnis danach aus dem Bedürfnis, mit Erlebtem, Bedrückendem umgehen zu lernen. Das erste Versuchsfeld war ihre eigene Familie. Jahrelang nahm sie Gespräche ihrer Eltern und Geschwister auf, ohne deren Wissen. „Ich hatte intuititiv das Gefühl, ein Recht darauf zu haben“, sagt sie. Diese Aufnahmen wurden später Bestandteil ihrer Bilder und Filme: allerdings nicht der Inhalte der Gespräche, sondern die in eine graphische Form gegossene „Mitschrift“, was aussieht wie die Elemente eines Lautstärkepegels. Aus den Worten wurden Zeichen, aus einem Streit zwischen den Eltern pure Dateninformation. Verarbeitbar. Und, in Verbindung mit den fein ziselierten Naturzeichnungen, zu einer Kunst, die auch in ihren Sog zieht, wenn man die Geschichte dahinter nicht kennt.

Yehudit Sasportas lehrt seit 1993 an der Bezalel Academy of Art and Design in Jerusalem, sie kann auch über ihre eigenen Arbeiten druckreif sprechen. Über die Wahrnehmungsebenen, die sie durchbrechen will, das Unterbewusste, das sie erreichen und darstellen möchte. Über das Eigene, das man kennen muss, um das Andere, was einen umgibt, auch nur ansatzweise zu verstehen. Über das Nicht-Verstehen, um das es eigentlich und letztendlich ja immer geht. Und über die Sonne, über die Derrida sagte, man könne in ihr einen strahlenden Himmelskörper sehen, oder aber das Fenster zu etwas anderem, das dahinter liegt. Mit ihrer eigenen Arbeit, sagt Yehudit Sasportas, möchte sie beides: den Sonnenkörper zeigen und das Dahinter zugleich. Den Röntgenblick eben.

Dass ihre Arbeiten jetzt an der Glienicker Brücke gezeigt werden, wirkt wie eine glückliche Pointe auf dem bisherigen Schaffensweg. Sasportas selbst lebt zwischen Tel Aviv und Berlin, wo sie von der Galerie Eigen + Art vertreten wird – das Brückenhafte ist ihrem Leben also eingeschrieben, sie sucht es sogar. „Ich glaube, dass ich immer besser von dort drüben auf das Hier sehen kann, und auf das Drüben besser von dort hier.“ Überhaupt sind Parallelräume noch so ein Lieblingsthema von ihr. Immer wieder entdeckt man in ihren Bildern schwarz umrundete Kreise, die wie Gucklöcher in eine andere, hinter der gezeigten Landschaft liegende Welt wirken können. Oder Einschusslöcher, je nachdem.

Deutschland kennt Yehudit Sasportas gut, hat hier mehrfach ausgestellt, lebt schon lange in Berlin und findet in diesem Land hinreichend Material für ihr Lieblingsmotiv: den Wald. Bäume, sagt sie, eignen sich deshalb so gut für ihre Seelenbilder, weil auch bei ihnen der Großteil, ihre Wurzeln, verborgen läge. In einem Moor bei Oldenburg hat sie besonders viel Zeit verbracht, hat stundenlang die Stille des Moors aufgenommen und entdeckt, dass es natürlich gar nicht still ist. Das ist letztlich wohl auch die Lektion der Arbeiten von Yehudit Sasportas: Man muss nur den Mut haben, sich hineinzubegeben in den Raum des Schweigens, dann erzählt es Bände.

„Yehudit Sasportas: Rifts of Absence“ in der Villa Schöningen, Berliner Str. 86, eröffnet am Sonntag, 5. März um 18 Uhr. Regulär zu sehen vom 9. März bis 31. Mai

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